»Wie bitte?«
Vala lächelte.
»Einige dieser Zisternen funktionieren sogar noch. Sie sammeln Wasser aus der Luft. Aber nicht genügend Wasser. Wir pumpen Wasser aus dem Fluß in die Stadt hinauf. Wenn wir uns über politische Grundsätze streiten, müssen sie in der Stadt dursten; und wir müssen ohne die Informationen auskommen, die sie in der Stadt zusammenstellen, bis wir uns auf einen Kompromiß geeinigt haben.«
»Informationen? Wie beschaffen sich die Stadtbewohner diese Informationen? Mit Teleskopen?«
»Mein Vater hat mir mal etwas davon erzählt. Sie haben einen Saal, in dem sie alles beobachten können, was auf dieser Welt geschieht. Viel besser als du mit deiner Schutzbrille. Schließlich haben sie ja aus ihren Gebäuden eine viel größere Weitsicht als wir.« »Ich sollte mich mit deinem Vater darüber unterhalten. Wie.«
»Das wäre keine sehr gute Idee. Er ist sehr. er gibt sich nicht.«
»Ich habe nicht die richtige Gestalt und Hautfarbe, wie?«
»Ja, er würde dir nicht glauben, daß du die Dinge herstellen kannst, die sich in deinem Besitz befinden. Er würde sie dir wegnehmen.«
Tanj! »Was geschieht, wenn die Touristen das Gebäude auf dem Hügel passieren dürfen und die Stadt betreten?«
»Mein Vater kommt von diesen Besuchen mit einer Tätowierung auf dem linken Arm nach Hause. Sie ist in einer Sprache verfaßt, die nur die Städtebauer verstehen. Diese Tätowierung glitzert wie Silberdraht. Sie läßt sich nicht abwaschen, aber sie verblaßt in ein oder zwei Falans.«
Das hörte sich nicht nach einer Tätowierung an, sondern nach einer gedruckten Schaltung. Die Städtebauer hatten vielleicht eine viel größere Macht über ihre Gäste, als diese glaubten. »Okay. Was machen die Gäste in der Stadt?«
»Sie diskutieren über Politik. Sie machen sich Geschenke: große Mengen Nahrungsmittel und zuweilen auch Werkzeuge. Die Städtebauer zeigen ihren Besuchern die Wunder der Stadt und praktizieren Rishathra mit ihnen.« Vala stand abrupt auf. »Es ist besser, wenn wir jetzt wieder weiterfahren.«
Sie hatten die Gefahrenzone, die von Banditen beherrscht wurde, längst hinter sich gelassen. Louis saß jetzt auf dem Beifahrersitz neben Vala. Das Motorengeräusch war genauso lästig wie die schlechte Federung; sie mußten sehr laut sprechen, um sich verständlich zu machen. Louis rief: »Rishathra?«
»Nicht jetzt. Nicht jetzt, wenn ich am Steuer sitze.« Vala entblößte breite, kräftige Zähne. »Die Städtebauer sind sehr gut, was Rishathra anbetrifft. Sie können es mit fast jeder Rasse treiben. Das half ihnen früher, ihr Imperium zusammenzuhalten. Wir benützen Rishathra nur, um Handelsverträge abzuschließen und um eine Schwangerschaft zu vermeiden bis wir uns ernsthaft paaren und eine Familie gründen wollen. Aber die Städtebauer üben Rishathra bei jeder Gelegenheit aus.«
»Kennst du jemand, der mir eine Einladung als Gast beschaffen kann? Vielleicht unter dem Vorwand, weil ich wertvolle Maschinen besitze?«
»Das könnte nur mein Vater erreichen. Und er würde es nicht tun.«
»Dann muß ich in die Stadt hinauf fliegen. Okay, was befindet sich unter der Stadt? Kann ich nicht einfach unter die Stadt gehen und dann zu einem Haus hinaufschweben?«
»Unter der Stadt befindet sich die Schatten-Farm. Du könntest als Farmer gelten, wenn du deine Werkzeuge zurückläßt. Farmer werden aus allen Rassen rekrutiert. Es ist eine schmutzige Arbeit. Über der Farm befinden sich die Abflußröhren der Stadt, und die Abwässer werden als Dünger für die Pflanzen verwendet. Die Pflanzen sind ausschließlich Höhlenbewohner, also Gewächse, die im Dunkeln gedeihen.«
»Aber. Oh, sicher, ich verstehe jetzt. Die Sonne bewegt sich ja nie, also ist es immer dunkel unter der Stadt. Höhlenbewohner, wie? Pilze?«
Sie starrte ihn an.
»Louis, wie kannst du nur erwarten, daß sich die Sonne bewegt?«
»Ich vergaß, wo ich bin.« Er schnitt eine Grimasse. »Entschuldigung.«
»Wie kann sich die Sonne bewegen?«
»Selbstverständlich ist es nicht die Sonne, die sich bewegt, sondern der Planet. Unsere Welten sind rotierende Bälle, verstehst du? Wenn ich auf einem Punkt einer Kugel lebe, die sich bewegt, dann scheint die Sonne an einer Seite in den Himmel aufzusteigen und auf der anderen Seite wieder hinunter. Dann ist es Nacht, bis die Sonne wieder aufgeht. Weshalb, glaubst du wohl, haben die Ringwelt-Ingenieure die Sonnenblenden erfunden?«
Der Wagen begann zu schlingern. Valas Gesicht war blaß, und sie zitterte am ganzen Körper. Louis fragte mit sanfter Stimme: »Habe ich dir wieder zuviel zugemutet?«
»Das nicht.« Sie gab einen seltsam bellenden Laut von sich. War das ein verlegenes Lachen? »Die Sonnenblenden. Selbst die dümmsten Leute begreifen das. Die Sonnenblenden sollen auf künstliche Weise einen Nacht- und-Tag-Zyklus erschaffen, an den die Bewohner der sphärischen Welten gewohnt sind. Louis, ich wollte wirklich, du wärst verrückt. Louis, was können wir tun?«
Er mußte ihr irgendeine Antwort darauf geben. Er sagte: »Ich dachte daran, ein Loch in den Boden eines der Großen Ozeane zu bohren, ehe er den sonnennächsten Punkt erreicht. Dann könnte eine Wassermasse von der Größe mehrerer Planeten in das Vakuum entweichen. Die dabei freiwerdenden Kräfte würden die Ringwelt wieder von der Sonne wegdrücken und sie in ihre ursprüngliche Umlaufbahn zurückbringen. Hinterster, hörst du mir zu?«
Die zu perfekte Altstimme erwiderte: »Das scheint mir nicht machbar zu sein.«
»Natürlich ist es nicht machbar. Wie sollten wir nämlich dann, wenn die Ringwelt wieder auf Kurs liegt, das Loch im Meeresboden verstopfen? Außerdem käme die Ringwelt bei dieser Operation furchtbar ins Schlingern. Das Schlingern würde so kräftig sein, daß wahrscheinlich alle Lebewesen auf der Ringwelt dabei getötet würden und der Kunstplanet noch dazu seine Atmosphäre verliert. Aber ich muß mir etwas einfallen lassen. Vala, ich werde nicht locker lassen.«
Sie wiederholte diesen seltsamen, bellenden Laut und schüttelte dazu heftig den Kopf. »Eines muß man dir lassen. Kleinkariert bist du nicht bei deinen Überlegungen!«
»Was hätten die Ringwelt-Ingenieure an meiner Stelle getan? Was wäre geschehen, wenn feindliche Invasoren die Steuerdüsen von der Ringwand heruntergeschossen hätten? Sie können doch unmöglich die Ringwelt gebaut haben, ohne an solche Eventualitäten zu denken. Ich muß mehr über die Ringwelt-Ingenieure wissen. Verschaffe mir Zutritt zur schwebenden Stadt, Vala!«
18. Die Schatten-Farm
Sie passierten jetzt andere Fahrzeuge: große oder kleine Kastenwagen, die alle noch einen kleineren Kasten am Heck mit sich führten. Die Straße wurde breiter und der Belag besser. Auch die Tankstationen waren jetzt dichter gesät und zeigten alle die gleiche kantige, solide Architektur der Maschinenleute. Als der Verkehr auf der Straße zunahm, mußte Vala mit der Geschwindigkeit heruntergehen. Louis hatte das Gefühl, daß er unangenehm auffiel.
Die Straße führte über einen Hügel, hinter dem sich die Stadt öffnete. Vala betätigte sich als Fremdenführer, als sie wieder hügelwärts fuhren und der Straßenverkehr zu einem Gewühl wurde.
Umkehr der Flüsse führte seine Entstehung auf ein paar Docks zurück, die am spinnwärtigen Ufer des breiten braunen Schlangenflusses errichtet wurden. Die Geburtsstätte der Stadt sah jetzt verwahrlost aus. Die Stadt hatte sich mit dem Bau zahlreicher Brücken auf das andere Ufer vorgeschoben und sich dort kreisförmig ausgebreitet. Nur im Zentrum des Kreises war ein Stück ausgespart worden. Dieses Stück war der Schatten, den die fliegenden Gebäude der Städtebauer warfen.