Louis betrachtete den dunklen, von weißen Flecken unterbrochenen Himmel. Er war versucht, schon jetzt hinaufzufliegen. Aber er wollte doch lieber die Nacht abwarten. Er sprach in den Übersetzer: »Hinterster, hörst du mir zu?«
Offenbar tat das der Puppetier nicht.
Louis streckte sich unter der mächtigen Schieferplatte mit den Pilzen aus. Dicht über der Erde schien die Luft sauberer zu sein. Er nippte nachdenklich an der Nektarflasche, die Vala ihm überlassen hatte.
Was für Wesen waren diese Kobolde? Ihre Stellung in dieser Ökologie schien unangreifbar zu sein. Wie war es ihnen gelungen, ihre Intelligenz zu bewahren? Warum brauchten sie überhaupt Intelligenz? Vielleicht mußten sie zuweilen um ihre Privilegien kämpfen. Oder um Anerkennung. Und vermutlich stellten die tausenderlei lokalen Religionen auch einen hohen Anspruch an ihr Sprachvermögen.
Doch jetzt wieder zur Sache: Wie konnten sie ihm helfen? Gab es irgendwo eine Enklave der Kobolde, wo man sich an die Quelle des Unsterblichkeits-Elexiers erinnerte? Das nach seiner Hypothese aus der Wurzel des Pak-Lebensbaumes hergestellt wurde.
Immer eines nach dem anderen. Zuerst kam die Stadt an die Reihe.
Die Lichtsäulen wurden dünner und verblaßten schließlich vollends. Andere Lichter erschienen am verbauten Himmeclass="underline" Hunderte von beleuchteten Fenstern. Keines zeigte sich direkt über ihm. Wer wollte auch in einem Keller über einer Mistgrube wohnen? (Vielleicht jemand, der sich eine Beleuchtung nicht leisten konnte?)
Die Schatten-Farm schien verlassen. Louis hörte nur noch die Geräusche des Windes. Als er sich auf die Schieferplatte zwischen die Pilze stellte, sah er entfernte Fenster aufflackern, als würden Herdflammen dahinter brennen: das waren vermutlich die Behausungen der Farmer am Rand des Schattens.
Louis schaltete die Steigflug-Automatik an seinem Fluggeschirr ein und schwebte in die Höhe.
19. Die fliegende Stadt
Über dreihundert Meter über dem Boden wurde die Luft erst wieder richtig frisch. Die fliegende Stadt umgab ihn. Er umringte die stumpfe Spitze eines umgedrehten Turms: vier Etagen mit dunklen Fenstern, darunter eine Garage. Das große Garagentor war verschlossen und verriegelt. Louis suchte nach einer zerbrochenen Fensterscheibe. Er fand keine.
Diese Fenster mußten schon elfhundert Jahre überdauert haben. Vermutlich konnte er eine Scheibe einschlagen, wenn er es versuchte. Aber er wollte nicht gern die Stadt als Einbrecher betreten.
Statt dessen schwebte er dicht neben einem Abwasserrohr nach oben. Er hoffte, daß er im Schatten des Rohres unentdeckt blieb. Er sah jetzt Rampen in seiner Nähe; doch nirgends eine Straßenbeleuchtung. Er steuerte auf einen Bürgersteig zu und ließ sich darauf nieder. Jetzt kam er sich weniger auffällig vor.
Niemand war in seiner Nähe. Das breite Band aus gegossenem Stein schlängelte sich durch viele Gebäude links und rechts, hinauf und hinunter, schickte offenbar beliebig Seitenstränge aus, die nirgends zu enden schienen. Kein Geländer schützte die Gehsteige, obwohl ein leerer Raum von dreihundert Metern darunter lag. Halrloprillalars Rasse mußte sich von ihren Stammvätern, den Armfüßlern, viel weniger entfernt haben als die Menschen auf der Erde. Louis schlenderte auf ein paar Lichter zu und hielt sich dabei vorsichtig in der Mitte des Gehsteiges.
Wo blieben die Leute nur? Die Stadt machte einen insularen Eindruck, überlegte Louis. Es gab zwar Häuser in rauhen Mengen und Rampen, die ganze Häuserblocks miteinander verbanden; aber wo waren die Einkaufszentren, die Bars, die Theater, die Straßen zum Flanieren, die Parks, die Bürgersteig-Cafes? Nichts davon zeigte sich in seiner Nähe, nicht einmal durch Reklame. Alles schien sich hier hinter vier Wänden abzuspielen.
Entweder fand er jemanden auf der Straße, dem er sich vorstellen konnte, oder er mußte sich verstecken. Wie war das mit diesem Glasgebilde mit den dunklen Fenstern? Wenn er von oben her eindrang, konnte er ziemlich sicher sein, daß es sich um ein verlassenes Gebäude handelte.
Jemand kam auf der abschüssigen Rampe auf ihn zu. Louis rief: »Können Sie mich verstehen?« und hörte seine Worte in die Sprache der Maschinen-Leute übersetzt.
Der Fremde antwortete ihm in der gleichen Sprache: »Sie sollten nicht im Dunklen durch die Stadt gehen. Sie könnten abstürzen.« Er war jetzt viel dichter heran. Seine Augen waren riesig; er gehörte nicht zur Rasse der Städtebauer. Er trug einen schlanken Stab mit sich. Das er das Licht im Rücken hatte, konnte Louis nicht mehr von ihm erkennen. »Zeigen Sie mir Ihren Arm«, sagte der Fremde.
Louis entblößte den linken Arm. Selbstverständlich trug er keine Tätowierungen. Er sagte, was er sich von Anfang an zurechtgelegt hatte: »Ich kann eure Wasserkondensierer reparieren.«
Der Stab schlug nach ihm. Der Stock traf Louis wuchtig auf den Kopf und warf ihn nach hinten. Er überschlug sich und stand geduckt wieder auf den Beinen. Seine trainierten Reflexe arbeiteten ausgezeichnet. Doch seine Arme kamen eine Idee zu spät nach oben, um den Stock abzuwehren. Diesmal traf er ihn an der Schläfe. Lichter sprühten hinter seinen Augen auf und erloschen.
Er befand sich in freiem Fall. Der Wind brüllte an ihm vorbei. Selbst für einen Mann, der fast bewußtlos war, war der Zusammenhang deutlich. Louis schlug, von Panik ergriffen, im Dunklen um sich. Kurzschluß in einem Raumfahrzeug! Wo bin ich? Wo sind die Meteor-Dichtungen? Wo ist mein Druckanzug? Der Alarmschalter?
Schalter — jetzt erinnerte er sich zum Teil wieder. Seine Hände flogen an seine Brust, fanden die Kontrolleinrichtungen des Fluggeschirrs, drehten den Hebeknopf hart nach links. Das Fluggeschirr reagierte ebenfalls mit voller Kraft, schwang ihn herum, daß die Füße wieder nach unten zeigten. Louis versuchte, den Nebel aus seinem Kopf zu verdrängen. Er sah nach oben. Durch eine Lücke in der Dunkelheit entdeckte er die Korona der Sonne hinter einer Schattenblende; er sah harte Dunkelheit rasch auf ihn zukommen, um ihn zu vernichten. Er drehte wieder den Hebeknopf, um seinen rasenden Aufstieg zu verzögern.
Alles wieder in Ordnung.
Sein Magen rebellierte, und in seinem Kopf drehte sich ein Karussell. Er brauchte Zeit, um nachzudenken. Offensichtlich hatte er den falschen Einstieg in der Stadt gewählt. Aber wenn der Wächter ihn vom Bürgersteig gerollt hatte. Louis klopfte seine Taschen ab. Alles war noch da. Warum hatte der Wächter, ihn nicht zuerst beraubt?
Louis erinnerte sich auch vage an die Antwort auf seine Frage: er hatte ihn angesprungen, den Wächter verfehlt und sich dann überschlagen. Dann war er mitten im Sturz ohnmächtig geworden. Das ließ die Angelegenheit in einem anderen Licht erscheinen. Vielleicht wäre es besser gewesen, noch zu warten. Doch dafür war es jetzt zu spät.
Er mußte einen anderen Zugang zur Stadt wählen.
Er schwamm unter der Stadt hindurch zur Gemeindegrenze. Sie war nicht zu weit entfernt. Aber am Rande der Stadt waren viel zu viele Lichter. Im Mittelpunkt entdeckte er einen Doppelkegel, in dem überhaupt keine Lichter brannten. Die untere Spitze war grob: eine Tiefgarage mit einer Rampe aus gegossenem Stein. Louis schwebte die Rampe hinauf.
Er stellte den Restlichtverstärker in seiner Schutzbrille ein. Zu peinlich, daß er das nicht schon früher getan hatte. Hatte der Schlag gegen den Kopf sein Denkvermögen beeinträchtigt?
Prills Artgenossen, die Städtebauer, hatten Flugräder besessen, erinnerte er sich. Aber hier vermochte er keinen Wagen oder Krad zu entdecken. Er sah nur ein paar verrostete Metallschienen auf dem Boden und einen primitiven Stuhl ohne Armlehnen am anderen Ende. Und eine Art von Chorgestühclass="underline" drei Reihen von übereinander angeordneten Bänken zu beiden Seiten der Schienen. Das Holz war grau verwittert, das Metall zerbröckelte zu Rost.