Sie erklommen die Treppe mit dem Licht aus Louis Handscheinwerfer-Laser. Leute erschienen unter den Türen; Mär Korssil warnte sie, sich nicht einzumischen. Die meisten dieser Leute schienen Städtebauer zu sein; aber Louis sah auch noch andere Rassen, die ebenfalls in diesem schwebenden Wolkenkratzer wohnten.
Diese Leute hatten der Familie schon seit vielen Generationen gedient, erklärte ihm Laliskareerlyar. Die Mär-Familie der Nachtwächter waren Polizisten gewesen, als ihre Familien noch als Richter in dem Gebäude fungierten. Die Köche, die von den Maschinen-Leuten abstammten, hatten ihrer Familie fast ebenso lange gedient. Die Dienerschaft und Herren aus dem Geschlecht der Städtebauer betrachteten sich als eine einzige Familie, die durch uralte Treueschwüre und durch periodischen Rishathra miteinander verbunden war. Insgesamt wohnten in dem Gebäude der Lyar-Familie rund tausend Leute, die Hälfte von ihnen verwandte Artgenossen der Städtebauer.
Louis hielt an, um durch ein Fenster in halber Höhe des Treppenhauses zu blicken. Ein Fenster, das durch die Mitte eines Gebäudes verlief? Es war ein Hologramm, den Blick über eine riesige Ausdehnung der Ringwelt-Landschaft, wie man ihn nur von der Ringmauer aus genießen konnte. Einer der letzten Schätze, die dieses Gebäude noch beherbergte, erklärte ihm Laliskareerlyar voller Stolz und Bedauern zugleich. Alle anderen Hologramme und Schätze waren seit Hunderten von Falans verkauft worden, damit sie die Wassergebühren bezahlen konnten.
Louis ertappte sich dabei, daß er ebenfalls redete wie ein Wasserfall. Er war vorsichtig, wütend über den Verlust seines Fluggeschirrs und erschöpft; aber da war etwas an dieser alten Dame, das ihn zum Reden verleitete. Sie wußte über die Planeten Bescheid. Sie zweifelte nicht an seiner Glaubwürdigkeit. Sie hörte ihm aufmerksam zu. Sie sah Halrloprillalar so sehr ähnlich, daß Louis sogar von dieser alten Liebe zu ihr sprach; von dieser uralten, unsterblichen Schiffshure, die als eine halbverrückte Göttin in ihrem schwebenden Gebäude gelebt hatte, bis Louis Wu und seine seltsame Raumschiffbesatzung in ihre Wohnung eindrang. Wie Halrloprillalar ihnen geholfen, ihre entmachtete Zivilisation ihretwegen aufgegeben und mit ihnen zusammen die Ringwelt verlassen hatte. Und wie sie gestorben war.
Laliskareerlyar fragte: »Ist das der Grund gewesen, warum du Mär Korssil nicht tötetest?«
Die Frau der Nachtjäger blickte ihn mit ihren großen blauen Augen an.
Louis lachte: »Vielleicht.« Er erzählte von seinem Kampf und Sieg über die Sonnenblumen. Aber er sparte das gefährlichste Thema aus, denn er sah keinen Vorteil darin, wenn er Laliskareerlyar berichtete, daß ihre Welt in nicht sehr ferner Zeit mit ihrer Sonne zusammenstoßen würde. »Ich möchte diese Welt in dem Bewußtsein verlassen, daß ich keinen Schaden angerichtet habe. Ich habe auch noch ein Tuch, das dieser Stadt von großem Nutzen sein wird, unweit der Stadt vergraben. Tanj! Jetzt habe ich keine Möglichkeit mehr, dieses Versteck zu erreichen!«
Sie hatten endlich den Gipfel der Spiraltreppe erreicht, Louis war ganz außer Atem von der langen Kletterei. Mär Korssil sperrte eine Tür auf; dahinter lag eine zweite Treppe. Laliskareerlyar fragte: »Gehörst du zu den Lebewesen, die nachts aktiv sind?«
»Wie bitte? Nein.«
»Dann warten wir am besten den Tag ab. Mär Korssil, besorge uns ein Frühstück. Und schicke Whil mit Werkzeugen herauf. Dann leg dich zum Schlafen nieder.«
Als Mär Korssil gehorsam wieder die Treppe hinuntertrottete, ließ sich die alte Frau mit gekreuzten Beinen auf einem uralten Teppich nieder. »Ich vermute, daß wir im Freien arbeiten müssen«, sagte sie. »Aber ich begreife nicht, warum du dich einer so großen Gefahr unterzogst. Du sagtest vorhin, um dein Wissen zu bereichern. Was willst du hier in der Stadt erfahren?«
Es war nicht einfach, diese Frau zu belügen; aber vielleicht, hörte der Hinterste ihrem Gespräch zu. »Wissen Sie etwas von einer Maschine, mit der man einen Stoff in einen anderen verwandeln kann, zum Beispiel Luft in Lehm oder Blei in Gold?«
Sie hörte interessiert zu. »Zauberer aus grauer Vorzeit sollen Glas in Diamanten verwandelt haben. Aber das sind natürlich Geschichten aus dem Märchenbuch für Kinder.«
Soviel zu dem Thema Materieumwandler. »Und wie steht es mit dem Reparaturzentrum für diese Welt? Gibt es auch Märchen, die davon berichten? Die vielleicht sogar ihren Ort angeben?«
Sie starrte ihn an. »Als ob diese Welt nichts anderes wäre als ein künstliches Gebilde, eine etwas größere Version dieser Stadt?«
Louis lachte.
»Eine viel größere Version als diese Stadt. Viel, viel größer. Gibt es so ein Reparaturzentrum?«
»Nein.«
»Und wie steht es mit dem Unsterblichkeits-Elixier? Ich weiß, daß es dieses Elixier gibt. Halrloprillalar hatte eine Flasche davon.«
»Natürlich gibt es so ein Elixier. Leider ist davon nichts mehr in dieser Stadt vorhanden. Ich wüßte auch nicht, wo man sonst danach suchen könnte. Diese Geschichte ist das Lieblingsthema von« .der Übersetzer benützte einen Begriff aus dem Interworld-Vokabular. »von Schwindlern und Betrügern.«
»Weiß die Sage von dem Lebenselixier auch zu berichten, wo es ursprünglich herkam?«
Eine junge Frau von der Rasse der Städtebauer kam keuchend die Treppe herauf und stellte zwischen ihnen ein flache Schale auf den Boden. Louis' Angst vor vergifteten Speisen verflüchtigte sich sofort. Das Zeug war lauwarm und erinnerte ihn an Haferbrei. Sie aßen zu zweit mit den Händen aus dieser einen Schüssel.
»Das Lebenselixier kam von spinnwärts hierher in diese Stadt«, berichtete die alte Dame. »Aber ich weiß nicht, wie weit der Ursprung dieses Elixiers von hier entfernt ist. Ist das eines der Geheimnisse, weswegen du hierher in die Stadt gekommen bist?«
»Eines von mehreren Geheimnissen. Die Aufklärung dieses Rätsels wäre für mich ein wertvoller Schatz.« Ganz bestimmt gab es noch Lebensbaum-Pflanzen im Reparaturzentrum, überlegte Louis. Ich frage mich nur, was sie mit dem Lebensbaum anfangen. Selbstverständlich würde kein menschliches Wesen sich gerne in einen Protektor verwandeln, nicht wahr? Aber es konnten menschenähnliche Wesen sein, — denen danach verlangte . — Nun, es war nicht das wichtigste Rätsel, das er aufzuklären versuchte.
Whil war ein stämmiger Hominider mit einem Affengesicht, in ein Laken gewickelt, das seine ursprüngliche Farbe längst verloren hatte. Es sah jetzt aus wie ein aus den Fugen gegangener Regenbogen. Whil redete nicht viel. Seine Arme waren kurz und dick und sahen sehr kräftig aus. Er führte sie, die Werkzeugkiste unter dem Arm, die letzten paar Stufen zur Turmplattform hinauf. Draußen brach die Morgendämmerung herein.
Sie befanden sich auf dem Rand eines Trichters, auf dem Dach des Kegels, der die obere Hälfte des Gebäudes bildete. Der Rand des abgestumpften Kegels war nur dreißig Zentimeter breit. Louis stockte der Atem in der Kehle. Ohne sein Fluggeschirr litt er an Höhenangst. Der Wind bauschte Whils Laken zu einer vielfarbigen Flagge auf.
Laliskareerlyar fragte: »Nun? Kannst du den Wasserkondensator reparieren?«
»Nicht von hier aus. Dort unten hinter der Trichterwand muß sich noch eine Maschine befinden.«
Das war der Fall; aber die Maschine konnte man nicht so leicht erreichen. Da war ein Schneckengang, der nicht viel breiter war als Louis Wu. Whil kroch vor ihm her und öffnete Klappen und Schieber, auf die Louis Wu deutete.
Der Kriechgang war so angelegt wie die Windungen eines Schneckengehäuses. Zweifellos führte er um die Maschine herum, die den Trichter umgab. Vermutlich sollte sich das Wasser auf der Oberfläche des Trichters niederschlagen. Aber wie funktionierte das Ding? Durch eine Kühlvorrichtung? Oder hatten sie etwas Raffinierteres für das Kondensieren für Wasser erfunden?
Die Anlage, die sich unter den Gehäuseplatten versteckte, war außerordentlich kompakt, aber für Louis Wu ein vollkommenes Rätsel. Nichts, was er an Maschinen kannte, ließ sich damit vergleichen. Die Anlage war blitzsauber. Bis auf. ja. Er hielt den Atem an und beugte sich tief über die Anlage. Eine drahtdünne Wurmspur aus Staub war auf dem blanken Metall zu erkennen. Louis versuchte herauszufinden, wo dieser zersetzte Draht ursprünglich befestigt gewesen sein mußte. Er ging von der Annahme aus, daß der Rest der Anlage immer noch betriebsfähig war.