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»Zum Angeln ist es sehr praktisch, dass die Burg direkt am Meer steht«, sagte Maljok. »Wir können die Angelleinen von der Mauerbrüstung herunter ins Meer auswerfen. Die Mädchen kochen eine leckere Fischsuppe.«

Rosa glühte die Burg in der Sonne. In diesem Licht sah sie aus wie eine bemalte Spielzeugburg aus Holz.

Man müsste diese Außerirdischen vernichten und hier ein Feriencamp einrichten, dachte ich.

Das war natürlich ein absurder Gedanke. Wie sollten wir Außerirdische vernichten, die uns entführt und - mir nichts, dir nichts - auf einen anderen Planeten verfrachtet hatten? Sie waren uns Menschen gewiss technisch haushoch überlegen. Vermutlich konnte nicht einmal eine ganze Armee etwas gegen sie ausrichten. Nein, nein, dieses Spiel mussten wir nach ihren Regeln gewinnen.

Wir waren schon kurz vor dem Tor, als es sich plötzlich

»Maljok, Dima! Auf der Südbrücke...«, keuchte Rita, und mehr erfuhren wir nicht von ihr, denn vor lauter Schluchzen und Weinen konnte sie kein Wort herausbringen. Aber es war auch so klar, dass etwas passiert war. Ich folgte Maljok, der bereits durchs Tor gerannt war.

5

HOLZ UND STAHL

Die Brücke maß kaum mehr als zwei Meter in der Breite und war an ihren Rändern durch eine schmale, etwa einen Meter hohe Balustrade begrenzt, die aus demselben rosa Marmor bestand wie die Brücke selbst und unsere Burg. Der Marmor war höllisch glatt, man musste aufpassen, dass man nicht ausrutschte. Etwas mehr Halt fand ich näher am Rand, wo die Marmorplatten nicht ganz so blank poliert waren. Allerdings überkam mich so nahe an der Balustrade ein ziemlich mulmiges Gefühl, denn von dort sah man bereits in gähnender Tiefe die Meeresoberfläche glitzern.

Maljok und ich folgten schon seit geraumer Zeit dem ansteigenden Brückenbogen. Unsere Burg hatten wir weit hinter uns gelassen, und die besorgten Stimmen der Mädchen, die uns die besten Wünsche hinterherriefen und zur Vorsicht mahnten, waren längst in der Ferne verklungen. Das war auch gut so. Zwar hatten sie uns die Waffen gebracht, dann aber versucht, mich davon abzubringen, mit auf die Brücke zu gehen - mit der Begründung, am ersten Tag bräuchte ich ja nicht am Spiel teilzunehmen. Wofür hielten sie mich eigentlich, für einen Drückeberger?

Auf der Südbrücke, wo nur drei Jungen Wache hielten, war ein heftiger Kampf entbrannt. Tanja, die heute für den Wachturmdienst eingeteilt war, hatte es gesehen und Alarm geschlagen.

Es ging mir nicht aus dem Kopf, dass die Mädchen mich daran hindern wollten, den Jungen auf der Brücke zu helfen! Es spielte doch gar keine Rolle, ob man mit dem Schwert umgehen konnte oder nicht. Die anderen waren schließlich auch nur Spielzeugritter! Möchtegernmusketiere mit Holzschwertern, die sich im schlimmsten Fall gegenseitig ein paar blaue Flecken verpassen würden, pah! Guten Mutes rannte ich hinter Maljok her. An meinem Gürtel baumelte das Schwert, das er mir am Morgen gezeigt hatte.

Der Scheitelpunkt der Brücke, den wir nun fast erreicht hatten, wies die Form eines flach gewölbten Buckels auf. Der Anstieg führte zwar nicht allzu steil hinauf, trotzdem blieb uns das Kampfgeschehen bis zum letzten Moment verborgen. Der Wind blies immer stärker, was nicht weiter verwunderlich war, befanden wir uns inzwischen doch mindestens hundert Meter über dem Meer. Ich versuchte, nicht nach unten zu blicken, bemerkte aber mit Schaudern, dass die Brücke in den Windböen zu schwanken begann. Wie konnte man nur eine kilometerlange Brücke ohne einen einzigen Stützpfeiler bauen?

Mir blieb keine Zeit, länger darüber nachzusinnen, denn nun konnten wir den höchsten Punkt der Brücke sehen und begriffen sofort, was sich hier oben abspielte.

Unsere Gefährten hatten das Glück, dass auf der schmalen Brücke immer nur zwei Mann nebeneinander kämpfen konnten, sonst wären sie zahlenmäßig längst erdrückt worden. Denn von der feindlichen Insel stürmten mindestens zehn Kämpfer auf sie ein. Die Angreifer waren genauso braun gebrannt und spartanisch gekleidet wie wir. Einen wesentlichen Unterschied gab es aber

Mit eingefrorenem Blick starrte ich auf die scharf geschliffenen Klingen unserer Gegner, und mein Herz begann wild zu pochen. Was sollte das denn für ein Spiel sein? Das war doch der blanke Hohn! Die anderen kämpften mit echten, todbringenden Schwertern und wir mit Holzspielzeug. Am liebsten hätte ich meinen Frust über diese zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit herausgebrüllt, aber mir war klar, dass dies völlig sinnlos war. Im selben Moment ereignete sich etwas, das mir die Sprache verschlug: Einer der Angreifer holte aus, und sein Schwert zischte auf Chris herab, der sich in diesem Moment allein den Feinden in den Weg stellte. Seine Mitstreiter Janusch und Tolik standen aus irgendeinem Grund hinter ihm. Chris machte keinerlei Anstalten, dem Schlag auszuweichen, sondern hob seinerseits das Schwert, um ihn abzuwehren. Ich war mir sicher, dass die blitzende Stahlklinge das Holzschwert durchtrennen und Chris im Gesicht treffen würde.

Die beiden Schwerter, aus Stahl das eine, aus Holz das andere, rauschten klirrend ineinander. Funken flogen. Jetzt machte Chris einen Satz nach vorn und schlug seinerseits zu. Sein Schwert sauste auf den Gegner herab, drängte dessen Klinge zur Seite und traf ihn an der Schulter. Der Angreifer, ein Junge in meinem Alter, schrie plötzlich auf. Er brüllte wie am Spieß. So schreit man eigentlich nicht, wenn man von einem Holzstück getroffen wird. Selbst Chris wich einen Schritt zurück, und Maljok, der neben mir stand, saugte, die Zähne zusammengebissen, zischend Luft ein, als spürte er selbst den Schmerz. Langsam sank der getroffene Junge auf den

Chris zog sich zurück, und der Kampf hielt inne. Der blutüberströmte Junge kauerte auf dem Boden. Endlich stürzten seine Gefährten zu ihm und zogen ihn aus der Gefechtslinie.

Nun musterte ich Chris’ Kampfgefährten noch einmal aufmerksam, und da bemerkte ich, dass Janusch sein Schwert nicht zufällig in der linken Hand hielt. Seine rechte Hand war mit einem blutgetränkten Lappen umwickelt. Und Tolik hielt sich die Hand nicht zum Spaß an den Bauch, er tat es genau so, wie sich Soldaten in Kriegsfilmen eine Wunde zuhalten. Aber wir waren doch keine Soldaten!

Chris drehte sich um. Er sah sehr besorgt aus. Als er Maljok und mich bemerkte, hellten sich seine Züge auf, und er winkte uns erleichtert zu. Maljok lief zu ihm, während ich mich nicht von der Stelle rührte.

Wir waren doch keine Soldaten!

Die Ritter von der Insel Nr. 24 griffen erneut an. Chris und Maljok kämpften jetzt Seite an Seite. Es war äußerst beeindruckend, wie geschickt unser kleinster Kämpfer mit dem Schwert umgehen konnte. Natürlich fehlte ihm die Kraft, um den Schlag eines fast erwachsenen Kerls abzuwehren. Aber er versuchte das auch gar nicht, sondern wich einfach aus. Bereits zwei oder drei Mal war das gegnerische Schwert genau an der Stelle in den aufspritzenden Marmor gekracht, wo Maljok kurz zuvor noch gestanden hatte. Mit wieselflinken Bewegungen entwischte er den auf ihn niederzischenden Klingen im letzten Moment.

Janusch, das Schwert noch immer in der Linken, orientierte sich wieder nach vorn. Indessen ging ich zu Tolik hinüber, der mir gelassen zunickte. Er wunderte sich weder darüber, dass ich hier war, noch darüber, dass ich mich nicht gleich in den Kampf stürzte. Noch immer hielt er die Hand gegen den Bauch gepresst, und dunkelrotes Blut tropfte von seinen Fingern auf den Boden. Auf seiner ramponierten kurzen Jeans fraßen sich rote Flecken durch den Stoff, und an seinen Beinen erstarrten dünne Rinnsale trocknenden Bluts.

»Hat’s dich schlimm erwischt?«, fragte ich mit stockender Stimme, obwohl mir klar war, dass er kaum so seelenruhig dagestanden hätte, wenn die Wunde wirklich ernst gewesen wäre.

Tolik mochte etwa in meinem Alter sein. Gestern war er mir gleich aufgefallen, da er als einziger Junge auf der Insel weißblonde Haare hatte. Auch seine Augenbrauen waren fast völlig weiß. Sein Gesicht war von Schrammen übersät und trotz der Sonnenbräune kreidebleich.