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»Sind nur ein paar Kratzer«, sagte er heiser und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Nur Durst habe ich. Habt ihr kein Wasser mitgebracht?«

»Nein.«

»Schade. Sieh nur, wie Maljok die Feinde aufmischt!«

Maljoks Kampfkunst war in der Tat eine Augenweide. Nicht nur er selbst war klein, auch sein Schwert wirkte im Vergleich zu den übrigen geradezu mickrig. Dennoch wich gerade ein riesiger Kerl vor ihm zurück, fuchtelte hilflos mit seinem furchterregenden Krummsäbel, während Maljok vor ihm hin und her flitzte und mit ansatzlosen Hieben auf seine Beine zielte.

»Jetzt schlagen wir sie zurück. Er ist wirklich Gold wert,

Ich schüttelte heftig den Kopf, denn erneut durchfuhr mich der lähmende Gedanke: Wir sind doch keine Soldaten!

Tolik nickte mir verständnisvoll zu. »Am Anfang ist es immer schwierig. Aber das wird schon, du gewöhnst dich dran.«

Mich an so etwas zu gewöhnen, lag mir allerdings völlig fern. Während ich den Jungen zusah, die da wenige Schritte von mir entfernt verbissen gegeneinander kämpften, ergriff eine bleischwere Hoffnungslosigkeit von mir Besitz.

»Tolik, was soll denn das Ganze?«, rief ich. »Wir haben doch nur Holzschwerter, und …«

»Das ist nur eine optische Täuschung, dass sie aus Holz sind«, unterbrach er mich. »Für die anderen von der Nr. 24 sieht es genau andersherum aus.«

»Was?« Ich würgte an einem gewaltigen Klumpen im Hals. »Dann tötet ihr also tatsächlich?«

Tolik schaute mich nur betreten an und sagte nichts. Es war auch so völlig klar.

Der Angriff der gegnerischen Insel hatte inzwischen deutlich an Schwung verloren. Die Verteidigung der Brücken schien mir gar nicht so schwierig zu sein. Man brauchte nur genug Leute, um erschöpfte oder verwundete Kämpfer schnell ablösen zu können, dann würde es nie im Leben jemand schaffen, unsere Insel zu erobern.

Andererseits würden auch wir es nicht schaffen, eine andere Insel zu erobern!

Chris kam zu uns herüber und klopfte mir mit vor Erschöpfung

»Klasse, dass du gekommen bist«, sagte er, noch heftig keuchend. »Willst du’s auch mal versuchen?«

»Keine Lust«, brummte ich mit finsterer Miene.

Knallgelb wie eine überreife Zitrone brannte die Sonne am Himmel. Irgendwo ganz weit unten glitzerten die Gischtkämme ein paar kleiner, harmloser Wellen. In der Ferne lagen andere Inseln wie bunte Flecken im Meer verstreut. Und wie schwerelose Spinnweben spannten sich die Brücken zwischen den Inseln und formten ein hübsches Muster.

»Chris, es bräuchte ein Wunder, um auch nur eine einzige Insel zu erobern. Niemand wird jemals alle vierzig Inseln erobern können«, sagte ich deprimiert.

Chris schaute mir in die Augen. »Zieh keine vorschnellen Schlüsse. Wir reden darüber, wenn wir zurück in der Burg sind«, sagte er mit sanfter Stimme, wobei sich sein englischer Akzent stärker als sonst bemerkbar machte.

Maljok und Janusch hielten die Feinde souverän in Schach. Ohnehin griffen diese nur noch halbherzig und mehr der Form halber an. Auf der engen Brücke konnten sie ihre zahlenmäßige Übermacht einfach nicht nutzen. Und auch für virtuose Zweikämpfe, die sie mit herausragender Technik hätten gewinnen können, fehlte schlichtweg der Platz. An dieser Stelle hätten zwei Kämpfer eine ganze Armee zum Stehen bringen können wie die Spartaner die Perser bei den Thermopylen. Januschs blonde Locken glänzten in der Sonne, er kämpfte bedächtig und konzentriert. Maljok dagegen fuhrwerkte wie ein Berserker. Beide strahlten große Selbstsicherheit

Einer der Angreifer fiel mir besonders auf. Es war ein großer, hagerer, etwa vierzehn Jahre alter Junge. Immer wieder versuchte er zwischen Maljok und Janusch hindurchzuschlüpfen, jedoch ohne Erfolg. Eigentlich hatte er keine Chance, sein Vorhaben jemals zu verwirklichen. Aber plötzlich stellte er seine Attacken ein, machte ein paar Schritte rückwärts, als wollte er sich zurückziehen, sprang dann unvermittelt auf die Brückenbalustrade und spurtete los. Noch ehe Janusch und Maljok sich’s versahen, tauchte er bereits in ihrem Rücken auf.

6

INGA

Ein wenig schwankend stand der Junge auf der schmalen Balustrade, die Arme zur Seite gestreckt, um das Gleichgewicht zu halten. Er wirkte irgendwie unschlüssig, und es war mir ein Rätsel, warum er nicht einfach wieder auf die Brücke zurücksprang. Zweifellos würde daraufhin ein wildes Gefecht entbrennen, in dessen Verlauf wir, von zwei Seiten in die Zange genommen, in echte Schwierigkeiten geraten konnten. Trotz der prekären Situation war ich nicht sonderlich besorgt und empfand für einen Moment sogar so etwas wie Bewunderung für diesen mutigen Jungen. Dass eine Niederlage hier oben den Tod bedeuten konnte, hatte ich noch nicht verinnerlicht, der auf der Balustrade taumelnde Junge dagegen wusste es sehr wohl. Vermutlich war ihm klar, dass er den Sieg für seine Insel um den Preis seines eigenen Lebens erringen würde, wenn er sich jetzt vom Geländer herab mitten zwischen die Feinde stürzte. Wahrscheinlich hatte er zuvor in der Hitze des Gefechts nicht darüber nachgedacht, aber jetzt packte ihn die Angst.

Ein verzerrtes, flehentliches Lächeln im Gesicht, riss er den Mund auf, um etwas zu sagen. Vielleicht wollte er um Gnade bitten. Doch Chris war bereits auf ihn zugesprungen und schwang sein Schwert, das in meinen Augen aus Holz, in den Augen des Jungen von der anderen Insel dagegen aus Stahl war.

Der tollkühne Angreifer hatte nun keine Chance mehr,

Ich stieß einen Schrei aus, hörte jedoch meine eigene Stimme nicht, denn auch alle anderen schrien auf. Der Junge verschwand so schnell von der Brücke, als hätte ihn eine unsichtbare, gierige Hand nach unten gezogen. Kurz darauf ließen die Kämpfer jede Vorsicht fahren und beugten sich über die Balustrade, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob Feind oder Freund neben ihnen stand.

Der Junge fiel quälend langsam, als würde er schweben. Sein Schwert hatte er losgelassen, kläglich durch die Luft wirbelnd, flog es ihm hinterher. Dabei konnte ich beobachten, wie es im Fallen allmählich seinen stählernen Glanz verlor und hölzern wurde. Erst in jenen Sekunden, als ich der endlos langen Abwärtsbewegung mit den Augen folgte, wurde mir bewusst, in welch gewaltiger Höhe sich die Brücke befand. Der Junge fiel und fiel. Vielleicht war es auch nur Einbildung, dass diese Augenblicke eine Ewigkeit dauerten. Die Zeit dehnt sich unendlich, wenn man panische Angst hat.

Der Junge hatte sich in einen winzigen Punkt über dem Wasser verwandelt. Gleich …, dachte ich mit stockendem Atem. Und in diesem Augenblick leuchtete unten ein gewaltiger, grellweißer Lichtball auf, ähnlich einem Magnesiumblitz. Für einen Blitz dieser Stärke hätte man mindestens ein Kilogramm Magnesium gebraucht. Geblendet kniff ich die Augen zusammen. Als ich sie wieder aufmachte und abermals nach unten sah, war dort nichts mehr zu sehen - außer dem gefräßigen Meer.

»Achtung!« Es war Toliks Stimme, die mich aus meiner Erstarrung riss.

Die Ritter der Insel Nr. 24 griffen erneut an und waren schon dicht an uns herangerückt. Maljok stand mit blutüberströmtem Gesicht neben mir. Das Messer, das ihn soeben getroffen haben musste, lag zu seinen Füßen am Boden.

Von einem Spiel konnte nun keine Rede mehr sein. Das hier war alles echt: die Freunde und das Meer, die Feinde und die Burgen. Und die Wahl war ganz einfach: wir oder die anderen! Ich sprang nach vorn und wehrte, ungelenk, aber verbissen kämpfend, zahlreiche Angreifer ab, deren Hiebe klirrend in meine gezückte Klinge rasselten. Als sich gleich drei auf einmal im Wechsel auf mich stürzten, alle älter und stärker als ich, sprang mir Tolik zur Seite. Mit vereinten Kräften wehrten wir den Ansturm ab und gingen unsererseits zum Angriff über.