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»Genau«, bekräftigte der Kaufmann. »Wer ist er deiner Meinung nach?«

»Ephialtes aus Torcodino«, sagte ich.

»Ich bin nicht Ephialtes«, sagte der Gefangene.

»Das ist richtig«, sagte der Kaufmann. Die Umstehenden nickten.

»Aber mir ist vor ein paar Tagen erzählt worden, er sei Ephialtes.«

»Und wer hat dir das erzählt?«

»Ich sehe den Mann nicht. Er ist nicht da.«

»Das ist nicht Ephialtes«, sagte der Kaufmann. »Und selbst wenn er es wäre, hast du anscheinend weder den Diebstahl beobachtet noch eindeutige Beweise oder gar Indizien, daß er der Schuldige ist. Binde ihn los.«

»Ich bin Philebus, ein Weinhändler aus Torcodino«, erklärte der Gefangene.

»Er lügt«, sagte ich.

»Das ist Philebus«, sagte der Kaufmann. »Ich habe mit ihm Geschäfte gemacht. Binde ihn los!«

Ich löste die Fesseln. »Pack deine Sachen wieder ein!« befahl ich ihm. Er gehorchte, und ich ließ ihn keinen Augenblick lang aus den Augen. Vielleicht hatte der Rucksack einen doppelten Boden. Doch ich hatte bei meiner Suche nichts dergleichen gefühlt; es hatte auch kein Papier geraschelt.

Ein Ruf ertönte. »Kutsche siebzehn steht zur Abfahrt bereit!«

»Das ist meine Kutsche!« rief der angebliche Weinhändler und stopfte die letzten Habseligkeiten in den Rucksack.

»Wie du weißt, ist es auch meine Kutsche«, sagte ich. »Keine Angst. Ich begleite dich und werde darauf achten, daß du auch sicher einsteigst.« Ich hatte nicht die Absicht, ihn aus den Augen zu lassen. Auch wenn ich keinerlei Beweise hatte, die einen Praetor von seiner Schuld überzeugt hätte, war ich davon überzeugt, daß er Ephialtes aus Torcodino war und die Passierscheine gestohlen hatte. Es war eine echte Ironie. Wir waren in derselben Überlandkutsche gefahren.

Boabissia kam heran. »Wir sind soweit«, sagte sie. »Der Kutscher will fahren.«

»Ich weiß«, sagte ich. »Ich habe es gehört.« Ich stieß den angeblichen Weinhändler vor mir her. »Und du kommst mit.«

Ich stand an der Querstange des Passagierabteils und drehte mich um, um mich zu vergewissern, daß der Kerl noch auf der Bank saß, auf die ich ihn gesetzt hatte. Dann beugte ich mich über die Querstange. »Ist das da vorn die Straßensperre?« fragte ich den Kutscher.

»Ja«, antwortete er über die Schulter hinweg. »Ihr werdet alle aussteigen, und diejenigen, die passieren dürfen, steigen auf der anderen Seite wieder ein. Wird euch der Durchgang verwehrt, habt ihr keinen Anspruch auf eine Rückerstattung des Fahrgelds. Der Fuhrunternehmer ist für solche Schwierigkeiten nicht verantwortlich zu machen.«

»Wir sind nur einen Tag von Ar entfernt«, stellte einer der Passagiere fest.

»Und da ist die Straßensperre«, sagte sein Nebenmann, stand auf und trat zu mir an die Querstange.

»Seht euch mal den armen Sleen an!« rief sein Freund, der sich ebenfalls zu uns gesellte. Er wies auf die kleine Gestalt neben dem Kontrollpunkt, die etwa drei Meter über den Köpfen der Flüchtlinge auf einem Pfahl steckte.

»Da vorn sind doch tatsächlich Soldaten mit pupurfarbenen Umhängen und Helmen«, sagte ich plötzlich. Diese Uniformen hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen – seit der Zeit, als Marlenus von Ar, der Ubar aller Ubars, die Macht zurückerobert und Cernus vom Thron vertrieben hatte.

»Das sind Taurentianer, Angehörige der Elitepalastwache«, sagte der Mann neben mir.

»Man hat die Taurentianer 10 119 C.A. aufgelöst«, sagte ich.

»Sie wurden wieder eingesetzt«, sagte er. »Hast du nicht davon gehört?«

»Nein.« Der Anblick der Taurentianer bereitete mir Unbehagen. Solche Männer halten die Macht in Händen, Ubars auf den Thron zu bringen und sie auch wieder zu stürzen. Dafür sorgen ihr Korpsgeist, die Identifizierung mit der Einheit und die Ergebenheit den Befehlshabern gegenüber, genauso wie ihr Status und die damit verbundenen Privilegien. Ganz zu schweigen von ihrer Nähe zu den empfindlichen Dreh- und Angelpunkten der Macht.

»Es ist erst dieses Jahr geschehen. Es sind großartige Soldaten.«

»Ich weiß«, sagte ich. Ich hatte ihnen im Kampf gegenübergestanden, damals, im Sand des Stadions der Klingen. Die Kasernierung in der Stadt hatte den Mythos in die Welt gesetzt, die Taurentianer seien verwöhnt und verweichlicht. Aber das war und ist falsch. Es sind Elitetruppen, ausgezeichnet ausgebildet und ihren Kommandanten ergeben. Mit durchschnittlichen Fähigkeiten oder schlechter körperlicher Kondition bleibt einem der Zugang in ihre begehrten Ränge verwehrt. Wir schrieben das Jahr 10 130 C.A., was in der Zeitrechnung Port Kars dem Jahr 11 der Herrschaft des Kapitänrates entsprach.

Damals war Saphronicus von Ar Befehlshaber der Taurentianer gewesen. Seremides von Tyros war der Erste General gewesen. Cernus, der bald darauf auf den Thron aufsteigen sollte, hatte mit seinem Einfluß für dessen Ernennung gesorgt. Seremides nahm den Platz des hochgeachteten Helden Maximus Hegesius Quintilius ein, der zuvor seine Bedenken darüber zum Ausdruck gebracht hatte, daß man Cernus, einen Sklavenhändler und Kaufmann, feierlich in die Kriegerkaste aufnahm. Kurz darauf fand man Quintilius ermordet in seinem Lustgarten auf, getötet vom Biß eines dementsprechend chemikalisch präparierten Giftmädchens. Bevor man sie verhören konnte, starb sie von Hand einiger Taurentianer. Später wäre die Berufung eines Mannes aus Tyros auf solch einen Posten undenkbar gewesen. Dafür sorgten die sich ständig verschlimmernden Reibereien zwischen Ar, Cos und dessen mächtigen Verbündeten Tyros, die hauptsächlich von dem Konkurrenzkampf im Tal des Vosk verursacht wurden. Nachdem Cernus – dessen Zeit als Ubar so kurz gewesen war – unterlegen und verbannt worden war, hatte ich sowohl Saphronicus als auch Seremides in Ketten vor dem auf den Thron zurückgekehrten Marlenus liegen sehen. Beide waren zusammen mit anderen Verrätern im Offizierskorps in Ketten nach Port Kar gebracht worden, wo sie als Galeerensklaven verkauft werden sollten.

Einer der Männer mit den Purpurumhängen und Helmen löste sich aus der Gruppe am Straßenrand und hob die Hand.

Der Kutscher riß die Zügel des Tharlarion zurück, und die Bestie wurde grunzend langsamer, bis die Überlandkutsche mit den hohen Rädern schließlich zum Stehen kam.

»Alle Mann aussteigen und sich rechts in der Schlange anstellen!« verlangte der Kutscher. »Ich reihe mich dort hinten bei den Kutschen ein. Hinter der Straßensperre könnt ihr wieder einsteigen.« Er kannte die Prozedur.

»Wie sollen wir da durchkommen?« flüsterte Boabissia, der ich durch den Einstieg auf den Boden half. »Deine Passierscheine sind doch weg.«

»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Aber vermutlich haben die wenigsten Leute Papiere dabei.« Ich behielt den Burschen im Auge, der sich Philebus nannte und behauptete, Weinhändler aus Torcodino zu sein. Ich wollte ihn nicht entkommen lassen. Falls die Soldaten Dokumente verlangten und er die gestohlenen vorwiese, gäbe ich einen aufmerksamen Zuschauer ab. Und sobald sich mir die Gelegenheit böte – und ich würde schon dafür sorgen, daß sich eine Gelegenheit böte –, bräche ich ihm Arme und Beine.

»Warten, warten«, beschwerte sich Hurtha. »Ich glaube, ich verfasse ein Gedicht über die Anmaßung der Bürokratie.«

»Eine gute Idee«, erwiderte ich.

»Fertig!«

Ich sah ihn an und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Es ist ein kurzes Gedicht«, sagte er. »Willst du es hören?«

»Es muß aber sehr kurz sein.«

»Stimmt«, sagte Hurtha.

»Ich würde es gern hören«, sagte ich und ließ Philebus nicht aus den Augen.

»Schlangen, Schlangen, Schlangen, Menschenschlangen«, begann Hurtha.

»Warte«, unterbrach ich ihn. »Besteht das Gedicht nur aus zwei Wörtern?« Mich beschlich der Verdacht, daß ich das Geheimnis der schnellen Entstehung des Gedichts gelöst hatte.

»Nein«, antwortete Hurtha. »Das waren schon vier Wörter. Zähl nach. Schlangen, Schlangen, Schlangen, Menschenschlangen.«

»Ja, du hast recht.«

Die Schlange bewegte sich ein paar Schritte weiter. Ich vergewisserte mich, daß ich den Dieb sehen konnte.