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»Da müßten wir hoffen, die Nacht lebendig zu überstehen«, sagte ich.

»Du kennst die Stadt?« fragte der Mann.

»Ich bin schon mal hiergewesen.«

»Ihr seid doch beide kräftige Burschen«, meinte er. »Ich bezweifle, daß euch jemand belästigen würde.«

»Sollte man uns belästigen, haben sie hoffentlich Geld dabei«, sagte Hurtha.

»Wir haben nicht viel, was sich zu stehlen lohnt«, sagte ich dem Mann.

»Ihr habt eine freie Frau dabei«, erwiderte er. »An gewissen Orten bringt einem das viel Geld ein.«

»Ich habe keine Angst«, sagte Boabissia.

»Ein tapferes Mädchen«, sagte er.

»Ich kann auf mich selbst aufpassen.«

»Nun gut, ihre Dummheit könnte den Preis drücken.«

»Ich bin nicht dumm!« rief Boabissia.

»Verzeih mir«, erwiderte der Mann aus Ar. »Deine Bemerkung hat mich auf den Gedanken gebracht.«

Boabissia starrte ihn wütend an.

Er erwiderte den Blick; es war einer jener Blicke, die eine Frau gegen ihren Willen ausziehen und jede Linie ihres nackten Körpers begutachten.

»Sieh mich nicht so an!« fauchte Boabissia. »Ich bin frei!«

Er dachte gar nicht daran, wegzuschauen. »Du trägst keinen Schleier«, stellte er fest.

»Ich bin eine Alar!«

»Nein«, sagte Hurtha, »sie ist keine Alar.«

»Ich habe beim Wagenvolk gelebt.«

»Das stimmt.«

Wie bereits erwähnt, hatte Boabissia nur wenig Ähnlichkeit mit einer typischen Alar. Sie schien eher eine der anschmiegsamen, schönen Stadtfrauen zu sein, die für gewöhnlich auf dem Sklavenmarkt enden.

»In welchem Distrikt könnten wir es versuchen?«

»Ich habe bereits mehrere vorgeschlagen«, sagte der Bürger.

»Ar ist eine große Stadt.«

»Und ihr wollt eine vernünftige Unterkunft.«

»Ja.«

»Und seid bereit, einen Silbertarsk pro Übernachtung zu bezahlen.«

»Nein.« Das konnten wir uns nicht leisten.

»Dann werdet ihr kaum etwas finden.«

»Ich danke dir für deine Zeit, Bürger«, sagte ich.

»Stimmt es, daß in der Nähe von Torcodino eine große cosische Streitmacht lagert?« fragte er.

Ich nickte.

»Haben sie die Stadt erobert?«

»Kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete ich.

»Aber die vielen Flüchtlinge!«

»Man hat sie aus der Stadt gewiesen, um die Verteidigung zu erleichtern.«

»Angeblich soll die Hauptstreitmacht von Cos auf Ar-Station vorrücken.«

»Das bezweifle ich.«

»Aber das ergäbe einen Sinn«, meinte der Bürger. »Die Cosianer wollen die Herrschaft über den Fluß und sein Einzugsgebiet erringen. Allein darum geht es. Und darum wird ihr Hauptvorstoß auch dort stattfinden. Vermutlich handelt es sich sowieso bloß um einen Raubzug.«

»Ar ist in Gefahr«, erklärte ich.

»Die würden es niemals wagen, sich uns in einer offenen Schlacht zu stellen.«

»Ar ist sogar in großer Gefahr.«

»Ar ist unbesiegbar«, erwiderte er.

»Die Hauptstreitmacht von Cos steht in der Nähe von Torcodino.«

»Hier wimmelt es nur so vor Gerüchten. Man weiß nicht, was man glauben soll.«

»Ich nehme einmal an, daß der Regent, der Hohe Rat und der Generalstab gut unterrichtet sind«, sagte ich.

»Zweifellos.«

»Wo ist Marlenus?«

»In den Voltai«, erwiderte der Bürger. »Auf einer Strafexpedition gegen Treve.« Das hatte ich auch schon gehört.

»Stimmt es eigentlich, daß er schon seit Monaten abwesend ist?«

»Ja.«

»Kommt dir das nicht seltsam vor?« fragte ich den Mann.

»Er tut, was er will«, erwiderte er. »Er ist der Ubar.«

»Stört es denn hier niemanden, daß er in möglicherweise gefährlichen Zeiten abwesend ist?«

»Gäbe es eine echte Gefahr, würde er schnell zurückkehren«, sagte der Bürger. »Er ist nicht zurückgekehrt. Also besteht auch keine echte Gefahr.«

»Bist du wirklich dieser Meinung?«

»Ja. Jeder unserer Jungs könnte es mit einem Dutzend Cosianern aufnehmen.«

»Ich bin der Meinung, Marlenus sollte zurückkehren. Vielleicht hat man in der Weite der Voltai den Kontakt zu ihm verloren.«

»Das wäre möglich«, meinte der Bürger. »Aber die Stadt braucht ihn nicht.«

»Ist der Ubar denn nicht beliebt?« wollte ich wissen.

»Er herrscht schon seit langer Zeit über Ar«, erklärte der Mann. »Vielleicht ist es an der Zeit für einen Wechsel.«

»Denken viele so?«

»Das hört man überall«, erwiderte er. »In den Tavernen, auf den Märkten, in den Bädern. Gnieus Lelius ist ein ausgezeichneter Regent. Marlenus ist zu kriegerisch. Die Stadt ist sicher. Wir werden nicht bedroht. Der Händel mit Cos interessiert uns nur am Rande.«

»Will Gnieus Lelius Ubar werden?«

»Nein. Dafür ist er zu bescheiden und demütig. Die Falten des purpurfarbenen Umhangs und die Last des Ubar-Medallions bedeuten ihm nichts. Er kümmert sich nur um eine reibungslose Regierung und um Frieden und Wohlstand.«

»Und du bist davon überzeugt, daß ihm Ars Wohl am Herzen liegt?«

»Aber natürlich.« Die Antwort beruhigte mich. Falls sich dieser Gnieus Lelius tatsächlich für das Wohl Ars einsetzte, mußte er handeln. Wenn er als Regent Fehler begangen hatte, dann lag das vermutlich an mangelnden Informationen, ungerechtfertigter Zuversicht oder an seiner Einfalt. So etwas findet man oft bei Idealisten, die von sanftem Gemüt, gedankenvoll und voller Vertrauen sind. Von Phrasen, Dichtungen und Träumen geblendet, sind sie davon überzeugt, daß sogar der wilde Larl im Innersten über ihre Güte verfügt. Sie nehmen die Realität einfach nicht wahr; wenn sie die Welt beschreiben sollen, wählen sie als Metapher eine Blume. Irgendwann entdecken diese Leute dann, daß sie in einer Welt harter Tatsachen leben; sie müssen voller Enttäuschung schließlich ihre Fehler einsehen, aber dann fahren sie die Ernte ihrer Dummheit ein und müssen zusehen, wie ihre Zivilisation untergeht, wie ihre Welt unter den scharfen Klingen der Macht und der Realität blutend fällt! Doch kann das der betroffenen Allgemeinheit ein Trost sein?

»Was ist mit Seremides, dem General?« fragte ich. »Hat er keine Absichten auf den Thron?«

»Undenkbar. Er ist so ergeben wie die Steine des Zentralzylinders.«

»Ich verstehe.« Meine Fragen beruhten natürlich nicht nur auf dem offensichtlichen Gedanken, daß der Mantel des Ubars für einen starken, ehrgeizigen Mann ein verlockendes Ziel darstellt, sondern vor allem auf der Tatsache, daß sich Ar in einer bedrohlichen Situation befand, ob es ihm nun bekannt war oder nicht. In solchen Zeiten ist es angesichts des Versagens und der Unfähigkeit ziviler Verwaltung schon öfter vorgekommen, daß Soldaten erkennen, was zu tun ist und um des blanken Überlebens willen die Macht ergreifen und versuchen, die nötige Disziplin und Ordnung durchzusetzen, ohne die die Katastrophe nicht abzuwenden wäre.

»Aber man erwartet doch sicher nicht, daß die Geschicke Ars auf unabsehbare Zeit von einer Regentschaft bestimmt werden.«

»Marlenus wird in Kürze zurückerwartet«, sagte der Bürger.

»Und angenommen, er kommt nicht? Was dann?«

»Da gibt es noch eine andere Möglichkeit«, meinte er. »Sogar eine recht bemerkenswerte.«

Ich sah ihn fragend an.

»Eine Ubara.«

»Eine Ubara?«

»Die Frau, die Marlenus’ Tochter war, bis er sie verstieß. Talena. Hast du je von ihr gehört?«

Ich nickte.

»Marlenus war sehr unzufrieden mit ihr. Irgendeine Geschichte in den Wäldern des Nordens. Er hat sie aus der Familie verstoßen, sie war nicht länger seine Tochter. Jahrelang hat sie zurückgezogen im Zentralzylinder gelebt. Jetzt, da Marlenus nicht da ist, trägt man sie dank der Großzügigkeit von Gnieus Lelius wieder in aller Öffentlichkeit in einer Sänfte durch die Straßen von Ar.«

»Das geschieht doch bestimmt nicht in Marlenus’ Sinn«, sagte ich.

Der Bürger zuckte mit den Schultern. »Marlenus ist nicht da.«

»Wie könnte sie Ubara werden?« fragte ich. »Marlenus hat sie verstoßen, sie ist nicht länger seine Tochter.«

»Ich bin kein Rechtsgelehrter«, sagte er. »Ich weiß es nicht.«