Das Mädchen zitterte.
Offenbar duldete Achiates nur hinreichend erzogene und ausgebildete Sklaven in seinem Haus. Wir gingen weiter. Das Mädchen hatte hellbraunes Haar. Als wir an ihr vorbei waren, stand sie auf. Das Klatschen nackter Füße auf Holz ertönte. Zweifellos hatte sie Besorgungen zu erledigen.
»Widerwärtig!« rief Boabissia auf dem nächsten Treppenabsatz. »Ein Urt!«
»Das ist kein Urt«, entgegnete Achiates. »Die kommen eigentlich erst nach Einbruch der Dunkelheit heraus. Am Tag ist es ihnen zu laut, da herrscht zuviel Unruhe.« Das kleine Tier zog sich zurück, Krallen schabten über den Holzboden. Seine Augen funkelten im Lampenlicht. »Außerdem kommen sie nie so weit nach oben«, fuhr der Vermieter fort. »Das da ist ein Frevet.« Das Frevet ist ein flinker kleiner Insektenfresser. »Wir haben mehrere von ihnen im Haus. Sie fressen Ungeziefer; Käfer, Läuse und dergleichen.«
Boabissia schwieg.
»Nicht jedes Insula sorgt für Frevets«, betonte Achiates. »Es sind süße und nützliche Geschöpfe. Vermutlich werdet ihr sie ins Herz schließen. Sicher werdet ihr nachts die Tür offenstehen lassen, damit es kühler ist, und ihnen Einlaß gewähren. Wie ihr vielleicht wißt, können sie sich nicht wie Urts durch die Wände fressen.«
»Ist es noch weit?« fragte ich.
»Nein«, antwortete Achiates. »Wir haben es fast geschafft. Das Zimmer liegt unmittelbar unter dem Dach.«
»Es hat den Anschein, als hätten wir ein ganz schönes Stück Wegs hinter uns.«
»Das täuscht«, entgegnete er. »So hoch oben sind wir gar nicht. Die Treppen sind kurz.«
Wir kamen zum nächsten Absatz.
Boabissia zuckte zurück.
»Ihr werdet die Frevets sogar ganz bestimmt ins Herz schließen«, versprach Achiates. Wir sahen zu, wie ein großes, längliches, mit einem flachen Körper und langen Fühlern ausgestattetes Wesen, das eine Länge von etwa einem halben Hort aufwies, auf einen Spalt am Fuß der Wand zueilte. »Das ist eine Schabe«, sagte er. »Die sind harmlos, im Gegensatz zu den Gitches. Deren Bisse sind ganz schön schmerzhaft. Ein paar von ihnen sind auch recht nett groß. Aber davon gibt’s nicht viele. Dafür sorgen schon die Frevets. Ich rühme mich dafür, ein sauberes Haus zu führen.«
Plötzlich schrie Feiqa überrascht auf.
»Knie nieder, Sklavenmädchen!« befahl eine herrschsüchtige junge Stimme.
Feiqa gehorchte umgehend.
Sie kniete vor einem ungefähr elf- oder zwölfjährigen Jungen. Sein Gesicht war schmutzig, er ging barfuß und trug Lumpen. Vermutlich wohnte er in einem der Zimmer. Feiqa war zwar eine erwachsene schöne Frau, aber eine Sklavin, und so senkte sie demütig den Kopf. Er war ein freier Mann.
»Verschwinde, du widerwärtiges Balg!« sagte Boabissia.
»Sei still, Frau!« erwiderte der Junge.
»Ich hätte gute Lust, dich zu schlagen«, sagte Boabissia.
»Heb den Kopf, Sklavin!« befahl der Junge.
Feiqa gehorchte.
Er musterte sie. »Du bist hübsch«, meinte er. »Und was sagst du?«
»Danke, Herr.«
Dann trat er auf sie zu und fuhr ihr mit den Händen durch das Haar. Er packte den Kragen mit den kleinen Fingern, riß sie nach vorn, zwang ihren Kopf zur Seite und nach oben. »Ein guter Kragen«, sagte er.
»Ich freue mich, daß der Herr zufrieden ist«, flüsterte Feiqa verängstigt.
»Er steht dir gut, nicht wahr?«
»Ja, Herr.«
»Verschwinde«, sagte Boabissia.
Der Junge griff grob unter Feiqas Tunika und liebkoste sie. Tränen traten in Feiqas Augen.
Der Junge drehte sich zu uns um. »Es ist schön, Sklavinnen zu beherrschen«, sagte er. »Wenn ich älter bin und viel Geld habe, werde ich mir vielleicht eine kaufen.«
Er wandte sich ab und ging.
»Er wohnt hier«, sagte Achiates. »Er und ein paar der anderen Jungs schließen sich hin und wieder zu Banden zusammen und spielen ›Fang die Sklavin‹.«
»Ich verstehe«, sagte ich und mußte lächeln. Jetzt wußte ich auch, was der Sklavin mit der offenen Tunika widerfahren war, die uns vorhin entgegengekommen war. Sie war ›gefangengenommen‹ worden.
»Ein schönes Spiel«, sagte Achiates. »Es hilft ihnen, daß sie zum Mann werden.«
»Welch widerwärtiges Kind«, schimpfte Boabissia. Sie warf Feiqa einen Blick zu. »Und du bist auch widerwärtig.«
»Ja, Herrin«, flüsterte Feiqa.
»Wärst du eine Sklavin, verhieltest du dich auch nicht anders, Boabissia«, sagte ich. »Du wärst von der Gnade freier Menschen abhängig. Du müßtest gleichfalls jedermann gehorchen.«
»Hier entlang«, sagte der Vermieter. »Die Leiter hoch.«
»Es ist so stickig hier«, sagte Boabissia.
»Die Leiter hinauf!« befahl ich.
Sie erstieg vorsichtig die Leiter. Dabei hielt sie mit einer Hand den Rock fest, damit er nicht nach oben rutschte. Wie es sich für eine freie Frau gehörte. Ich folgte ihr in die dunkle Öffnung. Dann drehte ich mich auf Händen und Knien um und blickte in die Tiefe. Feiqa sah verängstigt aus. Ich hatte nicht den Eindruck, daß sie sich in die Dunkelheit wagen wollte. Zugegebenermaßen schien es auch keine angenehme Aussicht zu sein. »Reich das Gepäck nach oben!« bat ich Hurtha. Ich hatte meine Zweifel, daß Feiqa mit der Leiter zurechtkam. Hurtha nahm ihr die Sachen ab, stellte sich auf die unterste Sprosse und streckte mir alles entgegen. Ich sah zu Feiqa hin. Sie war ein paar Schritte zurückgewichen. Sie hatte offensichtlich Angst vor der Leiter und dem Ort, zu dem sie führte. Es war auch keine besonders vertrauenerweckende Leiter. Ziemlich schmal bog sie sich unter der Belastung. Die unterschiedlich langen Sprossen waren mit Seilen in unregelmäßiger Höhe angebracht. Davon abgesehen wäre es auf dem Dachboden dunkel und heiß. Feiqa hatte Angst davor, was sie dort möglicherweise erwartete. Sie trat einen weiteren Schritt zurück. Ihre Hand fuhr zum Mund. Ich befürchtete, sie könnte in ihrer Panik fliehen.
»Sklavin!« sagte ich streng.
»Ja, Herr«, flüsterte sie und eilte zur Leiter.
»Leg beide Hände auf die Querstangen.«
»Ja, Herr.«
Hurtha grinste.
»Ekelhaft!« fauchte Boabissia.
Ich streckte die Hand aus und half Feiqa auf den Dachboden.
»Hier ist die Lampe«, sagte der Vermieter und reichte sie Hurtha. Der Alar stieg mit ihr in der Hand zu uns herauf.
»Seid vorsichtig mit der Lampe!« empfahl Achiates.
Ich nahm Hurtha die Lampe ab und hielt sie in die Höhe. Vor mir erstreckte sich ein schmaler Korridor, von dem zu beiden Seiten Zimmer abgingen.
»Es ist das letzte Zimmer rechts!« rief Achiates.
»Warte«, erwiderte ich. Dann zog ich den Kopf ein, ging zur Tür und stieß sie auf. Sie war klein und niedrig, machte aber einen stabilen Eindruck. Zweifellos konnte man sie von innen verriegeln, womit sie ein ausgezeichnetes Hindernis abgab. Die Mieter eines Insula legen viel Wert auf gute Türen. Für einen armen Mann stellen sie und ein Dolch die beste Versicherung gegen Diebstahl dar.
»Das ist ja beängstigend hier«, sagte Boabissia.
»Wie du siehst, ist das Zimmer möbliert!« rief der Vermieter von unten.
»Es ist zu klein, es ist zu schmutzig«, klagte Boabissia. »Ich kriege hier kaum Luft.«
»Es ist mein letzter freier Raum!« rief Achiates.
»Hier kann ich nicht bleiben!« protestierte Boabissia.
»Geht rein und wartet auf mich«, wies ich meine Gefährten an. Sie bückten sich und betraten das Zimmer.
»Gibt es hier denn kein Licht?« fragte Boabissia.
»Dort links ist ein verriegelter kleiner Fensterladen«, sagte ich und hielt die Lampe in die Höhe. »Tagsüber kommt da ein bißchen Licht durch.«
»Hier ist es schmutzig und heiß. Hier bleibe ich nicht!«
»Es kostet einen Kupfertarsk pro Nacht!« rief der Vermieter. »Nehmt es oder laßt es bleiben. Wie gesagt, es ist mein letztes Zimmer.«
»Hier bleibe ich nicht!« verkündete Boabissia entschlossen. Auch Feiqa sah sich entsetzt um. »Mir ist schwindlig! Hier ist nicht genug Luft. Außerdem ist es zu heiß hier.«
»Wir sind hier unter dem Dach. Die heiße Luft steigt in die Höhe und sammelt sich.«