»Vielen Dank, Exzellenz«, sagte ich dankbar, als wäre ich nur ein weiterer Bittsteller.
»Heil, Gnieus Lelius! Heil, Gnieus Lelius!« feierte die Menge die Großzügigkeit des Regenten.
Ich drehte mich um und ging davon.
23
Hurtha und ich kehrten gegen Mittag ins Insula zurück, nachdem wir den Platz am Zentralzylinder verlassen hatten. Wir hatten das Haus gerade betreten, als wir auf Feiqa stießen.
»Herr«, sagte sie eifrig, erhob sich auf die Füße und kam uns entgegen, bis die Kette um den Fuß sie aufhielt. Sie kniete erneut nieder.
»Wo ist Boabissia?« fragte ich. »Wieso bist du nicht oben festgemacht?«
»Das war ich auch«, antwortete Feiqa. »Aber die Herrin ist zurückgekehrt und hat mich geholt. Sie hat etwas gefunden, das sie in große Aufregung versetzte. Ich mußte sie begleiten, damit ich mir das Haus merkte, und soll euch sofort dorthin führen.«
»Darum bist du also hier angekettet?«
»Vielleicht, Herr«, sagte sie. »Aber vielleicht hat die Herrin es ihrer Sklavin auch nur bequem machen wollen.«
Ich lächelte. Boabissia gehörte nicht zu den Personen, die sich um die Bequemlichkeit ihrer Sklaven Gedanken machten. Sie glaubte vielmehr, daß man Sklaven mit großer Strenge gegenübertreten und sie mit Unbarmherzigkeit behandeln sollte.
»Warum hat sie nicht auf uns gewartet?«
»Sie konnte nicht warten«, sagte Feiqa. »Sie war in großer Eile, zu jenem Haus zurückzukehren.«
»Worum geht es eigentlich?«
»Sie glaubt, sie hat das Haus ihrer Familie gefunden, sie glaubt, daß ungeheurer Reichtum auf sie wartet, daß sie ihr Erbe beanspruchen kann.«
»War es ein schönes Haus?« fragte ich.
»Man kann es sicher als schönes Haus bezeichnen. Der Hof war fast ein richtiger Garten, mit Springbrunnen und Bäumen. Das Haus dahinter war groß und wunderschön. Der Besitzer muß sehr reich sein.«
»Wie ist sie darauf gekommen, daß es das Haus ihrer Familie ist?«
»Das kleine Schild neben der Klingelschnur«, sagte Feiqa. »Darauf stand der Buchstabe Tau. Wie auf ihrem Anhänger.«
»War es die gleiche Schreibweise?« wollte ich wissen.
»Es war sehr ähnlich.«
»Ob es genau das gleiche war, will ich wissen!«
»Nein, Herr.«
»Aber sehr ähnlich.«
Feiqa nickte.
»Es könnte also durchaus ein Hinweis auf ihre Abstammung sein«, sagte ich. Goreaner sind gewöhnlich sehr gewissenhaft, was Dinge wie Wappen, Familienembleme und dergleichen angeht. Manchmal läßt man derartige Siegel sogar amtlich registrieren, damit allein die betreffende Familie sie verwenden darf.
»Es ist durchaus möglich, Herr«, sagte Feiqa.
»Sollte es stimmen, würden wir uns für Boabissia und ihr Glück freuen.«
»Und es war ein schönes Haus?« fragte Hurtha.
»Ja, Herr.«
»Das wird Boabissia gefallen«, sagte er. »Sie ist seit jeher ein verwöhntes, habgieriges kleines Ding gewesen. Reichtum dürfte sie nicht stören.«
»Die Familie könnte mächtig und einflußreich sein«, vermutete ich.
»Dagegen wird sie auch nichts haben.«
»Wo ist das Haus?« fragte ich.
»Nicht weit von hier, Herr.«
»Das ist bemerkenswert«, stellte ich fest.
»In diesem Stadtteil gibt es einige schöne Häuser. Wir haben gestern doch welche gesehen«, sagte Hurtha.
»Stimmt.« Wie viele Städte hat Ar die unterschiedlichsten Viertel, die sich in überraschender Nähe zueinander befinden. Die in der Nähe befindliche Straße von Turia zum Beispiel war eine der schönsten Straßen Ars. Doch nur ein paar Ehn davon entfernt befand sich Ludmillas Freudenhausgasse.
»Wo ist der Schlüssel für deine Fesseln?«
»Dort drüben«, sagte Feiqa. Er hing in bequemer Reichweite für Mieter oder Besucher an einem Haken neben der Tür, die zu Achiates Wohnung führte.
Ich trat zu Feiqa und befreite sie.
»Führ uns hin!« befahl ich.
Das Haus befand sich im Viertel der Straße der Brandeisen.
»Die Mauer ist beeindruckend«, bemerkte Hurtha. »Und das Tor ist stark.«
Ich entdeckte das Schild neben der Klingelschnur. Die Gravur hatte in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Buchstaben auf Boabissias Anhänger. Und plötzlich fiel mir wieder ein, woran mich die kleine Kupferscheibe die ganze Zeit über erinnert hatte. Allerdings gab es mindestens zwei Abweichungen. Das war gut. Das Tau auf dem Schild neben der Klingelschnur hatte ich vor langer Zeit an einer anderen Straße Ars gesehen – und mehr als einmal auf den Sardarmärkten.
»Stimmt etwas nicht?« fragte Feiqa.
»Boabissia ist bereits eingetreten?«
»Ich glaube schon«, antwortete Feiqa.
Ich zog an der Klingelschnur. Drinnen ertönte eine Glocke. Einen Augenblick später kam schon der Diener an die Tür.
»Das haben die Alar bei dir als Säugling gefunden, um den Hals gebunden, in den Trümmern einer Karawane?« Er stand dicht vor ihr. Die Kupferscheibe, die noch immer an einer Schnur um Boabissias Hals hing, hielt er dabei ins Licht.
»Ja«, antwortete Boabissia.
»Sie war also um deinen Hals gebunden?«
»Ja, und ich habe sie nie abgelegt«, bestätigte Boabissia.
»Ich verstehe«, sagte er. »Darf ich sie abnehmen?«
»Aber natürlich.« Der Mann knüpfte behutsam die Schnur auf. Boabissia lächelte Hurtha und mich an. Als man uns zu dem Mann geführt hatte, war sie bereits da gewesen. Feiqa hatte ich in der Nähe des Tores an einen Ring angekettet. Sie hatte sich hinknien müssen. Dort war es schön sonnig. Natürlich mußte sie den Kopf senken. Ich nahm an, daß man Sklaven in diesem Haus nicht verwöhnte. Der Mann hatte uns freundlich begrüßt und sich als Tenalion vorgestellt. Es hatte beinahe den Anschein, als hätte er uns erwartet, denn er schien nicht überrascht gewesen zu sein, uns zu sehen. Wir hatten auch keine Schwierigkeiten gehabt, zu ihm vorgelassen zu werden, und das, obwohl er ein wichtiger Mann zu sein schien. Es war ein büroähnlicher großer Raum. Es gab einen wuchtigen Schreibtisch, auf dem viele Papiere lagen. Tenalion war ein vornehm aussehender Bursche. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
Er untersuchte die Kupferscheibe.
»Ich glaube, sie könnte einen Hinweis auf meine Herkunft geben«, sagte Boabissia.
»Schon möglich«, erwiderte Tenalion. »Aber woher soll ich wissen, daß du sie nicht gefunden, gekauft oder gar gestohlen hast?«
»Ich versichere dir, das habe ich nicht«, protestierte Boabissia. »Sie gehört mir. Ich trug sie schon als kleines Kind. Ich habe sie mein ganzes Leben lang getragen.«
Er sah sich die Scheibe an.
»Befindet sich an deinem Haus nicht der gleiche Buchstabe?«
»Er ist ähnlich«, räumte er ein.
»Aber nicht gleich«, sagte ich.
Boabissia warf mir einen wütenden Blick zu.
Tenalion sah mich an und lächelte. »Der Buchstabe hat vor vielen Jahren tatsächlich so ausgesehen. Bevor man die Ausführung leicht veränderte.«
»Aber das ist doch richtig!« rief Boabissia aus. »Ich habe es schließlich vor Jahren bekommen.«
»Genau!« Er lächelte.
»Das konnte ich nicht wissen«, fuhr sie aufgeregt fort. »Hätte ich es gefälscht, dann in der modernen Fassung, da ich den Unterschied nicht kannte, und du hättest sofort entdeckt, daß es eine Fälschung ist.«
»Das ist wahr.«
»Seht ihr!« rief uns Boabissia triumphierend zu.
Ich nickte.
»Er ist eifersüchtig«, sagte Boabissia zu dem Hausherrn. »Er läuft bald grün an vor Neid. Er will, daß man mir mein Erbe vorenthält, meine rechtmäßige Stellung!«
»Dein Erbe?« fragte Tenalion. »Deine rechtmäßige Stellung?«
»Ja. Das, was mir zusteht. Ich bin entschlossen, es auch zu bekommen.«
»Ich verstehe«, sagte Tenalion. »Ich werde die Unterlagen einsehen. Keine Angst, wenn alles übereinstimmt, wovon ich zweifellos ausgehe, sollst du dein – wie hast du es ausgedrückt? – dein Erbe und deine rechtmäßige Stellung erhalten.«
»Ich will nicht mehr, als mir zusteht«, erklärte Boabissia.