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»Ich werde die Unterlagen einsehen«, sagte er. »Und wenn es in meiner Macht liegt, sorge ich dafür, daß du genau das bekommst, was du verdienst, nicht mehr und nicht weniger.«

»Danke«, sagte sie und warf mir einen wütenden Blick zu.

»Und was genau soll dir deiner Meinung nach zustehen?« fragte er.

»Erkennst du mich denn nicht?«

»Ich verstehe nicht.«

»Ich könnte deine seit langem verschollene Tochter sein!«

»Meines Wissens nach habe ich keine Töchter«, erklärte Tenalion, »weder verschollene noch andere. Aber ich habe Söhne.«

»Sieh mich an!« verlangte Boabissia.

»Ja, und?«

»Gibt es da keine Familienähnlichkeit?« fragte sie. Ich erkannte nichts dergleichen. Zugegeben, manchmal unterscheiden sich Blutsverwandte beträchtlich voneinander.

»Wovon sprichst du?«

»Vielleicht bist du mein Onkel, wenn du schon nicht mein Vater bist.«

»Ach so, das meinst du.«

»Könnte ich nicht deine Nichte sein?«

»Ein reizvoller Gedanke.«

»Sieh mich an. Sieh mich genau an. Was glaubst du?«

»Du bist wohlgestaltet.«

»Wohlgestaltet?«

»Ich glaube, jetzt begreife ich, warum du hergekommen bist.«

»Ich suche nach meiner Herkunft.«

»Und vielleicht ein kleines bißchen mehr?« spekulierte er.

»Schon möglich«, erwiderte sie. »Es war eine große Karawane. Zweifellos läßt meine Anwesenheit als Säugling darauf schließen, daß meine Familie großen Einfluß besaß. Vielleicht war sie sogar Eigentümerin der Karawane. Du bist offensichtlich reich. Das ist ein schönes Haus, geräumig, mit einem großartigen Garten. Der Buchstabe auf der Kupferscheibe scheint für dich eine Bedeutung zu haben. Das hast du jedenfalls zugegeben.«

Tenalion nickte.

»Im Einklang mit deiner Ehre – da ich dich für einen Ehrenmann halte – würdest du mir mein Erbe doch bestimmt nicht verweigern.« Das war eine ziemlich häßliche Bemerkung. Es ist selten klug, die Ehre eines Goreaners anzuzweifeln oder zu versuchen, ihn diesbezüglich beeinflussen zu wollen.

»Nein«, erwiderte er noch immer freundlich, offensichtlich ohne sich beleidigt zu fühlen. »Ich wäre der letzte, der dir dein Erbe vorenthielte.«

»Gut«, sagte sie ziemlich hochmütig und warf den Kopf in den Nacken. Mit ihrer Art konnte Boabissia einem manchmal ziemlich auf die Nerven gehen.

»Ich glaube, man könnte mich als reichen Mann bezeichnen«, meinte Tenalion. »Und es ist auch sicher richtig, wenn man sagt, daß ich in dieser Stadt eine gewisse Stellung bekleide und eine gewisse Macht innehabe.«

»Den Eindruck habe ich durchaus«, sagte Boabissia.

»Glaubst du tatsächlich, daß wir irgendwie verwandt sind?«

»Ja«, erwiderte Boabissia. »Das beweist der Anhänger. Ich bitte dich, deine Unterlagen zu befragen.«

»Solltest du tatsächlich ein Mitglied meines Geschlechts oder einer engen Nebenlinie sein, würdest du zweifellos über Nacht zu einer der berühmtesten, wohlhabendsten und mächtigsten Frauen von ganz Ar!«

»Das wäre nicht unmöglich«, sagte Boabissia stolz.

»Vielleicht stehen wir tatsächlich in einer Beziehung zueinander«, meinte Tenalion geheimnisvoll.

»Die Kupferscheibe beweist es!«

»Ich glaube, du könntest recht haben.«

»Sieh in deinen Unterlagen nach!«

»Soll ich es wirklich tun? Ist das dein ausdrücklicher Wunsch?«

»Ja. Ich verlange es sogar!«

»Gut. Wie du willst. Es wird nicht lange dauern.« Er griff nach einer kleinen Glocke, die auf dem Schreibtisch stand.

»Laß uns gehen, Boabissia«, sagte ich. »Wir könnten morgen wiederkommen.«

»Schweig!« fauchte sie.

Tenalion ließ die Glocke ertönen, einen Augenblick später trat ein Diener ein. Er hörte aufmerksam zu, was sein Herr wünschte, und verließ den Raum. Tenalion setzte sich an den Schreibtisch und legte die kleine Kupferscheibe auf die rechte Seite.

Boabissia sah Hurtha und mich an. Sie konnte ihre Erregung kaum bezähmen.

»Laß uns gehen, Boabissia«, schlug ich vor.

»Schweig!« wiederholte sie.

»Es dauert nicht lange«, sagte der Hausherr. »Wenn ihr jetzt wartet, braucht ihr morgen nicht noch einmal wiederzukommen.«

»Ihr könnt ja gehen«, sagte Boabissia.

»Warum sollten sie das tun?« fragte Tenalion verwirrt.

»Was weiß ich?« erwiderte Boabissia.

Nach kurzer Zeit kehrte der Diener mit einem großen, ziemlich staubigen, länglichen Buch zurück, das große Ähnlichkeit mit einem Hauptbuch hatte. Der Ledereinband war mit einer Schnur zugebunden. Von meinem Standpunkt aus war die Aufschrift auf dem Deckel nur schwer zu lesen, aber es schienen Daten und Zahlen zu sein. »Ältere Aufzeichnungen werden zusammen mit den Kopien neuerer Unterlagen hier aufbewahrt. Die Originale aktuelleren Datums verwahren wir zusammen mit Kopien der alten Listen im Haupthaus.«

Ich nickte. Auf diese Weise führte man zwei identische Bücher an verschiedenen Orten. Das war in der goreanischen Buchhaltung nicht ungewöhnlich, vor allem in bestimmten Geschäftszweigen.

»Ist denn das hier nicht dein Haupthaus?« fragte Boabissia.

»Wir befinden uns hier in meiner persönlichen Residenz«, erklärte Tenalion.

»Du hast noch ein anderes Haus?«

»Natürlich«, sagte er.

Boabissia warf mir einen erfreuten Blick zu.

»Dort finden meine Geschäfte statt.« Er löste die Schnur und blies den Staub vom Deckel. Die Seiten waren vergilbt.

»Bitte beeil dich!« drängte Boabissia.

Er schlug das Buch auf und zog aus einer kleinen Tasche im Einband eine gestanzte Kupferscheibe mitsamt Schnur, die von der Größe her Boabissias Anhänger entsprach; er legte die beiden nebeneinander.

»Seht nur!« rief Boabissia erfreut.

Die Scheibe trug einen Aufdruck, aber ich konnte ihn aus der Ferne nicht erkennen.

»Auf der Kupferscheibe steht etwas«, sagte Boabissia aufgeregt. »Zweifellos stimmen die Zeichen überein.«

»Nicht unbedingt«, sagte ich.

Tenalion fing an zu blättern.

»Schnell!« drängte Boabissia.

Dann hatte er anscheinend das Gesuchte gefunden. Er hielt Boabissias Anhänger in die Höhe, sah ihn an und verglich etwas mit einem Eintrag im Buch. Er vergewisserte sich noch einmal, dann stand er auf und trat auf Boabissia zu.

»Und?« fragte sie aufgeregt. »Und?«

»Du hattest recht, meine Liebe«, sagte Tenalion. »Zwischen uns besteht eine Beziehung, sogar eine enge Beziehung, ganz, wie du vermutet hast.«

»Seht ihr!« rief Boabissia triumphierend und hüpfte vor Freude beinahe auf und ab.

»Aber, meine Liebe«, fuhr er fort, »es ist nicht unbedingt die Beziehung, die du erwartest.«

»Was tust du da?« fragte sie. Und schrie plötzlich überrascht auf, als er ihr das Kleid vom Oberkörper riß.

»Ja«, sagte er. »Du bist wohlgeformt.«

Boabissia starrte ihn fassungslos an, wagte unter seinem durchdringenden Blick aber nicht, sich wieder zu bedecken.

»Es ist die Beziehung zwischen Herr und Sklavin!«

»Nein!« schrie sie in panischem Entsetzen.

»Zieh dich aus!« verlangte er.

»Gehorch ihm, sofort!« befahl ich.

Mit zitternden Fingern schob sie das Kleid über die Hüften, ließ es zu Boden fallen und blieb so stehen.

»Die Sandalen auch«, sagte ich. »Schnell!«

Verängstigt gehorchte sie. Wenn ein Goreaner einer Frau befiehlt, sich auszuziehen, dann meint er sofort, noch in diesem Augenblick. Boabissia stand verwirrt und zitternd da. Ihre Kleidung lag zu ihren Füßen wie ein winziger Tümpel aus Stoff.

»Was geht hier eigentlich vor?« fragte Hurtha.

»Nicht eingreifen!« bat ich leise. »Es ist, wie ich befürchtet habe.«

»Hier«, sagte Tenalion. Er zeigte auf das Buch und die beiden Kupferscheiben. Ich trat zum Tisch und ergriff die Scheibe, die er dem Buch entnommen hatte. Sie enthielt keine Nummer, aber das ›Tau‹ war mit dem auf Boabissias Anhänger identisch. Ich legte einen Finger ungefähr auf die Stelle des betreffenden Eintrags, schlug das Buch zu und betrachtete den Deckel. Die Jahreszahl reichte zweiundzwanzig Jahre zurück; die beiden Zahlengruppen trennte ein Bindestrich. Ich las die Nummer auf Boabissias Anhänger. Sie paßte genau. Ich schlug das Buch wieder auf.