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Sie senkte den Kopf.

Der Diener legte ihr eine Sklavenleine um den Hals. Sie blickte furchterfüllt auf.

»Du bist hergekommen, weil du deine Herkunft herausfinden wolltest«, sagte Tenalion. »Die kennst du jetzt. Du wolltest dein Erbe antreten, wolltest Reichtümer. Ich hoffe, du bist zufrieden, denn dein Erbe sind die Sklavenleine und der Kragen.«

Plötzlich brach sie in Tränen aus. »Bitte«, schluchzte sie. »Ich habe es doch nicht gewußt!«

»Mit welchem Hochmut und welcher Habgier bist du hier eingetreten, mit welchem Mißtrauen!« sagte er.

»Es tut mir leid! Verzeih mir! Ich flehe dich an!«

»Wie beharrlich du warst!«

»Verzeih mir!«

»Welche Angst du hattest, man könnte dir dein Erbe vorenthalten! Und ich habe dir versprochen, daß du genau das bekommst, was dir zusteht.«

»Bitte!« Sie zitterte am ganzen Leib, nackt vor ihrem Herrn.

»Du wirst das Erbe antreten und noch tausendfach mehr bekommen, das versichere ich dir.« Er sah sie an. »Es hat lange gedauert, meine Liebe. Aber jetzt bist du zu Hause!«

Sie senkte schluchzend den Kopf. Sie war ihrem Herrn zurückgebracht worden.

»Du weißt, was du mit ihr zu tun hast«, sagte Tenalion zu dem Diener.

»Ja.«

»Dann tu es!«

24

»Tritt ein!« sagte die Frau.

Es war der Abend des Tages, an dem Boabissia in das Haus mit dem ›Tau‹ neben der Klingelschnur geeilt war. Das ›Tau‹ war das Zeichen Tenalions, eines bekannten Sklavenhändlers, da sein Name mit diesem Buchstaben anfing. Ich hatte es sofort erkannt. Das Schild entsprach dem an der Pforte seines Geschäftshauses, eines beeindruckenden großen Gebäudes im Herzen von Ars Sklavendistrikt, an dem ich während meines damaligen Aufenthaltes in der Stadt häufig vorbeigegangen war. Ich hatte sein Emblem auch oft auf den Sardarmärkten gesehen.

Jedoch war ich ihm bis zum heutigen Tag niemals persönlich begegnet. Nachdem Boabissia aus dem Zimmer entfernt worden war, hatte er Hurtha und mir einen ausgezeichneten Paga angeboten. Mittlerweile war sie zweifellos gebrandmarkt worden, hatte den Kragen erhalten und war irgendwo angekettet. Tenalion, der uns beim Abschied gesagt hatte, wir seien stets herzlich in seinem Haus willkommen, schien ein angenehmer Bursche zu sein. Der Buchstabe auf Boabissias Anhänger hatte mich vermutlich an sein Handelszeichen erinnert.

»Tritt ein«, sagte die Frau, »tritt ein in den Tunnel!«

Ich senkte den Kopf, trat durch die niedrige Eisentür und ging die schlecht beleuchtete Rampe in eine Art Vorraum hinunter. An ihrem Ende stand die nächste Frau.

»Der Eintritt kostet ein Tarskstück.«

Auf einem kleinen Tisch stand eine Kupferschale; ich warf die Münze hinein. Rechts neben der Frau war ein Gittertor; es stand offen. In solchen Etablissements sind diese Tore nichts Ungewöhnliches; sie werden bei Geschäftsbeginn geöffnet und bei Geschäftsschluß geschlossen. Auf der anderen Seite der Schwelle hing ein schwerer Vorhang aus rotem Samt.

Der Tunnel war eines von Ludmillas Freudenhäusern, nach denen die Gasse benannt worden war. Dabei gehörten Ludmilla nicht einmal alle dieser Etablissements; sie führte nicht einmal die besten von ihnen. Allerdings war Ludmilla Besitzerin von genau fünf Bordellen, während die anderen Betreiber höchstens zwei derartige Häuser ihr eigen nannten. Vermutlich war das der Grund, warum die Gasse ihren Namen trug. Ihr gehörte das Goldene Ketten – angeblich der beste ihrer Läden, wo der Eintritt wie auch in den meisten Paga-Tavernen einen Kupfertarsk betrug –, und die billigen Tarskstück-Bordelle ›Seidenschnur‹, ›Rote Peitsche‹, ›Lustgestell‹ und ›Tunnel‹. An dieser Straße gab es neben den anderen Bordellen auch Läden und einige Mietskasernen, unter anderem das Insula des Achiates.

Ich schob den Vorhang beiseite.

»Willkommen«, sagte eine Frau, »willkommen im Tunnel.«

Ich trat ein und ließ den Vorhang hinter mir zurückfallen. Sofort kam eine Frau auf mich zugeeilt. »Hier entlang. Ich bin deine dir zugeteilte Gastgeberin.«

Sie war eine kräftige große Frau mit herben Gesichtszügen. Sie trug nichts als eine Ledertunika, die Ähnlichkeit mit der eines Kriegers hatte; die Arme schmückten breite Reifen. Am Gürtel baumelte eine Peitsche. Ein nützliches Instrument, um Sklaven zu befehligen. Sie führte mich an einigen niedrigen Tischen, Matten, Sklavenringen und ineinander verkrallter, sich bewegender Körper vorbei zu einem freien Platz. Ich hörte Keuchen, einen leisen Schmerzensschrei, dem ein ebenso leiser Aufschrei der Unterwerfung folgte, das Klirren von Ketten auf Steinfliesen. Der Raum war gut besucht. In der Luft lag das gedämpfte Gemurmel zahlreicher Unterhaltungen; Musikanten spielten im Halbdunkel. Viele dieser Freudenhäuser unterscheiden sich kaum von gewissen Paga-Tavernen. Auch dort bestellt man die Mädchen zusammen mit den Getränken, nur die Tänzerinnen werden gesondert bezahlt. Mein Tisch stand in der zweiten Reihe vor einer Tanzfläche, an deren rechter Seite die Musikanten spielten. Es dauerte ein wenig, bis sich die Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten; der Raum wurde vom rötlichen Flackern winziger Tharlarionöl-Lampen erhellt, die auf ausgesuchten Tischen in einer roten Glasummantelung standen. Ein solches Licht zeichnet aufregende Muster sich ständig verändernder rötlicher Schattierungen auf die weiße Haut der Mädchen, die je nach Glasfarbe von dunklem Rosa bis zu cremigem Scharlachrot reichen. Es gab auch viele dunkle Nischen und undurchdringliche Schatten. Einige Männer wollen an einem solchen Ort ungestört und ungesehen bleiben.

»Ist der Platz zufriedenstellend?« fragte die Gastgeberin.

»Ja«, sagte ich und setzte mich mit untergeschlagenen Beinen vor den Tisch.

»Bist du Tarl aus Port Kar?«

»Warum?«

»Man hat mir befohlen, nach einem Mann mit diesem Namen Ausschau zu halten.«

»Und wer hat dir das befohlen?« Ich war nur deshalb im Tunnel, weil Achiates eine Botschaft an mich weitergegeben hatte. Er hatte sie unter der Tür durchgeschoben gefunden – wenn er die Wahrheit sagte, und ich hatte eigentlich keinen Grund, daran zu zweifeln.

Die Frau sah sich um. »Ich sehe ihn nicht«, sagte sie dann. »Bist du dieser Tarl aus Port Kar?«

»Man nennt mich Bosk.«

»Oh.« Diese Information schien sie nicht weiter zu berühren. Ich beobachtete sie. Soweit ich erkennen konnte, stand sie mit niemandem im Blickkontakt. Allerdings konnte ich mir sowieso nicht vorstellen, daß sie mehr als die Überbringerin einer Botschaft war.

Ich sah mich um. Nach uns waren noch mehrere Männer eingetreten. Frauen, die ähnlich wie meine Gastgeberin gekleidet waren, führten die neuen Gäste an verschiedene Plätze. Hinter der Tanzfläche gab es mehrere niedrige Durchgänge, die in die verschiedenen Tunnel mit ihren Alkoven führten, von denen das Etablissement seinen Namen hatte.

Die Musikanten legten eine Pause ein.

»Bist du an Frauen interessiert?«

Ich zuckte mit den Schultern.

Die Gastgeberin sah zur linken Seite der Tanzfläche, wo mehrere Frauen kauerten. Es war in dem Licht schwer zu sehen, aber ich hielt sie für nackt. Sie ließ die Peitsche knallen, und alle eilten herbei und knieten vor dem Tisch nieder. Sie waren nackt.

Ich musterte sie. Alle waren von einer atemberaubenden Schönheit und Sinnlichkeit, zart und verletzlich. Es war nicht einfach so, daß sie bis auf den Stahlkragen unbekleidet waren, nein, es war etwas anderes, kaum Faßliches, das zu sagen schien: Wir gehören dir, Herr. Tu mit uns, was du willst.

Die Gastgeberin ließ die Peitsche erneut knallen. Die Mädchen traten in einer Reihe an. »Haltet euch gerade.

Ihr kniet vor einem Mann!« Sie berührte mehr als nur eine mit dem Peitschenstiel, korrigierte hier eine Pose, schob dort ein Kinn in die Höhe. Dann wandte sie sich wieder mir zu. »Die sind frei«, sagte sie. »Vielleicht findet ja eine dein Gefallen.«

Ich betrachtete die Mädchen.

»Sind sie nicht hübsch?«