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Mark warf sich mit einem wütenden Aufschrei nach vorne, doch Ulthar reagierte mit ungeheurer Schnelligkeit. Seine Hand fuhr mit einer kaum sichtbaren Bewegung in die Tasche und zog einen Revolver hervor.

»Ich dachte mir, daß Sie Schwierigkeiten machen«, erklärte er ruhig, als Mark mitten in der Bewegung erstarrte. »Vielleicht überzeugt Sie das.«

Mark starrte wie hypnotisiert auf die Waffe, die genau auf seine Brust gerichtet war.

Ulthar lächelte kalt. Er trat beiseite, um Mark vorbeizulassen, und folgte ihm in einigen Schritten Abstand. »Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagte er, als sie durch den Korridor zurückgingen. »Aber versuchen Sie es lieber nicht. Ich bin zwar ein alter Mann, den Sie vielleicht trotz des Revolvers überwältigen können, aber das würde Ihnen nicht viel nützen. Sie kämen niemals hier heraus, glauben Sie mir.«

Mark glaubte ihm. Was er bislang in diesem unheimlichen Spiegelkabinett gesehen hatte, hatte ihn zutiefst verstört. Hier hatte er es mit etwas zu tun, dem er nichts entgegenzusetzen hatte, das er nicht einmal in Ansätzen verstand. Widerstandslos schloß er sich Ulthar an, der sich nicht einmal umdrehte, um sich zu überzeugen, ob er ihm folgte.

Sie gingen ein Stück den Gang entlang, dann traten sie durch eine der Türen in einen Raum. Ein gigantischer ovaler Spiegel nahm fast die gesamte Breite der hinteren Wand ein.

Im ersten Moment hatte Mark den Eindruck, durch ein riesiges Fenster in einen Raum zu sehen, der von treibenden Nebeln und Schatten erfüllt zu sein schien.

Ulthar drehte sich halb herum und lächelte dünn. »Komm näher.«

Fast willenlos stolperte Mark auf Ulthar zu, blieb einen halben Schritt hinter ihm stehen und starrte mit klopfendem Herzen in den Spiegel. Ulthars Lippen formten eine Reihe krächzender, fremdartiger Laute. Die wesenlosen Schatten auf der Oberfläche des Spiegels gerieten in Bewegung, ballten sich zusammen, formten schließlich die Umrisse von Menschen.

»Vivian!«

Hilflos mußte Mark mit ansehen, wie Vivian von drei Männern angegriffen wurde. Auch Jonathan Masterton befand sich in dem Raum und setzte sich gegen einen Gegner zur Wehr, wurde jedoch von ihm niedergeschlagen. Vivian wehrte sich ebenfalls mit aller Kraft, aber ihr Widerstand wurde schwächer und schwächer, und schließlich wurde sie in die Ecke gedrängt. Mark konnte das furchterfüllte Flackern in ihren Augen selbst über die Entfernung hinweg wahrnehmen. Verzweifelt überlegte er, wie er ihr helfen konnte.

Auch Ulthar sah dem Geschehen gespannt zu. Wie gebannt hing sein Blick an dem Spiegel.

Mark erkannte seine Chance. Ulthar schien ihn völlig vergessen zu haben. Im gleichen Moment, in dem die Angreifer Vivian endgültig überwältigten, wirbelte er herum und stürzte sich auf den Einarmigen.

Ulthar stieß einen gellenden Schrei aus und versuchte, den Revolver herumzureißen, aber diesmal reagierte er zu langsam. Marks Faust traf sein Handgelenk; die Waffe fiel polternd zu Boden. Mark hechtete hinterher, bekam sie zu fassen und drückte ab, doch ihm blieb nicht genug Zeit, um richtig zu zielen. Die Kugel verfehlte Ulthar und traf dafür den Spiegel hinter ihm.

Mit einem explosionsartigen Knall zersprang das Kristallglas in Millionen Splitter, die wie winzige Geschosse durch den Raum rasten. Instinktiv riß Mark die Arme vors Gesicht, während Ulthar in irrer Wut aufkreischte. Er fuhr herum, war mit einem Satz bei Mark und schlug ihm die Waffe aus der Hand. »Du verdammter Narr!« schrie er.

Im gleichen Moment kamen zwei weitere Männer in den Raum gestürzt. Mark fühle sich von kräftigen Händen hochgerissen und gegen die Wand geschleudert. Dumpfer Schmerz schoß durch seinen Körper; Schläge prasselten auf ihn ein. Vor seinen Augen wallten rote Nebel, und für einen Moment drohte er in Bewußtlosigkeit zu versinken. Er versuchte zu schreien, aber er bekam keinen Ton heraus. Seine Kehle wurde wie von einer unsichtbaren, riesigen Faust zugedrückt.

Aber Ulthars Wut verrauchte genauso schnell wieder, wie sie aufgeflammt war. »Hört auf!« befahl er scharf. »Wir brauchen ihn vielleicht noch.«

Mark rutschte haltlos an der Wand zu Boden. Die beiden Männer blieben neben ihm stehen, bereit, ihn notfalls sofort wieder zu packen.

Ulthar kam mit langsamen Schritten auf ihn zu. »Sie sind ein Dummkopf, Mister Taylor«, zischte er. »Bevor Sie das nächste Mal den Helden spielen, sollten Sie sich erst einmal über die Hintergründe informieren. Meine Leute sind gerade dabei, Ihrer Frau das Leben zu retten.«

»Ach ja?« höhnte Mark. Er wischte sich einen Blutfaden vom Kinn, der aus seiner aufgeplatzten Unterlippe rann und stemmte sich mühsam hoch. »Genauso sah es auch aus.«

Ulthar schüttelte verächtlich den Kopf. »Sie verstehen nichts, Mister Taylor. Sie ahnen ja nicht einmal, um was es hier geht. Bürgermeister Conelly ist kein ... nun, er besitzt gewisse Fähigkeiten, die über die normaler Menschen hinausgehen, ebenso wie Ihre Frau und ich. Er wird Ihre Frau töten, wenn er die Gelegenheit dazu bekommt.«

Mark schluckte. Er begann zu begreifen, daß er möglicherweise einen Fehler gemacht hatte. Die Hintergründe dessen, was hier passierte, waren mit Sicherheit komplizierter und vielschichtiger, als er momentan auch nur ahnen konnte. »Und Sie?« fragte Mark herausfordernd. »Sie spielen den edlen und selbstlosen Retter, wie?«

»Wenigstens für den Moment«, bestätigte Ulthar. »Aber wie Sie richtig vermuten, handele ich nicht ganz selbstlos. Ich habe, sagen wir ... eigene Pläne mit Ihrer Frau.«

»Pläne? Was für Pläne?«

»Es wäre zu kompliziert, das jetzt alles zu erklären, und sinnlos obendrein. Durch Ihr törichtes Verhalten haben Sie alles etwas komplizierter gemacht, aber zum Glück habe ich Vorsorge getroffen. Ich bin überzeugt, daß Ihre Frau sicher hierher kommen wird. Sie ist sehr wichtig für mich, das muß Ihnen reichen.«

»O nein, das reicht mir nicht«, entgegnete Mark aufgebracht. Er wollte auf Ulthar zutreten, doch die beiden Männer neben ihm packten ihn und hielten ihn zurück. »Vivian ist immerhin meine Frau. Ich habe wohl ein Recht zu erfahren, was Sie mit ihr vor...«

Ulthar brachte ihn mit einer knappen Geste zum Verstummen. »Wie lange kennen Sie Ihre Frau schon, Mister Taylor?« fragte er.

Die Frage kam für Mark völlig überraschend. »Knapp vier Jahre«, antwortete er automatisch.

»Sehen Sie.« Ulthar nickte zufrieden. »Sie kennen Vivian Taylor seit vier Jahren und sprechen von Rechten? Ich kenne sie bereits seit mehr als sechsundzwanzig Jahren.«

Mark lachte schrill. »Sie sind verrückt!« stieß er hervor. »So lange lebt Vivian noch gar nicht.«

»Eben«, bestätigte Ulthar lächelnd. »Sie kennen Ihre Frau nicht nur erst seit vier Jahren, sondern auch nicht besonders gut. Sie kennen nicht einmal ihr wahres Ich. Ihre Frau besitzt ein sehr, sehr seltenes Wissen: Sie kennt das Geheimnis des ewigen Lebens.«

»Sie sind ...« Der Griff der beiden Männer verstärkte sich. Mark stöhnte schmerzerfüllt auf und brach in die Knie.

»Es war klar, daß Sie mir nicht glauben würden«, sagte Ulthar. »Deshalb hat es auch keinen Sinn, Ihnen mehr zu erzählen.« Er ging zu einer Tür an der Rückseite des Raumes, öffnete sie und machte eine befehlende Geste. »Wir haben genug geredet, jedenfalls für heute. Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen.«

Mark rappelte sich keuchend hoch. »Wenn ich Sie jemals ohne ihre Wachhunde in die Finger bekomme, drehe ich Ihnen den Hals um«, stieß er hervor.

Ulthar lächelte. »Das werden Sie, Mister Taylor, ganz bestimmt sogar. Aber ich garantiere Ihnen, daß Sie dann ganz anders darüber denken werden.«

Ein wuchtiger Stoß in den Rücken trieb Mark vorwärts, ließ ihn durch die Tür taumeln. Der Gang dahinter glich dem, in dem er Ulthar das erste Mal gesehen hatte. Auch hier hingen Hunderte von Spiegeln an den Wänden, aber die meisten waren leer.

»Gehen Sie weiter, Mister Taylor«, forderte Ulthar ihn auf. »Sie waren doch so begierig darauf, das Geheimnis meiner Spiegel zu lüften. Nun werden Sie es erfahren, sogar am eigenen Leib.« Seine Stimme ging in ein häßliches Lachen über, dann trat er in den Raum zurück und schloß die Tür hinter sich.