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Sheldon jagte die Honda unter Mißachtung sämtlicher Verkehrsregeln über die kaum belebten Straßen, fegte in halsbrecherischem Tempo um die Kurven und hielt schließlich vor einem heruntergekommenen Gebäude, vor dem schon eine ganze Anzahl schwerer Maschinen geparkt standen. Die abblätternde Schrift auf der fleckigen Glasscheibe verriet Vivian, daß es sich um eine Nachtbar handelte. Oder vielmehr einmal gehandelt hatte. Sie bezweifelte, daß es in dieser Gegend heute noch Menschen gab, die das Geld hatten, sich in einem Night-Club zu amüsieren. Jetzt schien das Lokal den jungen Leuten hier als Treffpunkt zu dienen.

Sheldon bremste unnötig hart, zog den Zündschlüssel ab und half Vivian aus dem Sattel. Dann bockte er die Maschine auf, legte seinen Helm nachlässig auf den Sattel und machte eine einladende Geste zum Lokal hin. »Kommen Sie, Vivian.«

Vivian zögerte.

»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte er grinsend. »Niemand wird Ihnen etwas tun. Sie dürfen nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht.«

Vivian schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht«, erklärte sie. »Ich ...«

»Ich weiß, Sie möchten mich nicht hineinziehen«, sagte Sheldon und nickte geduldig. »Das haben Sie oft genug gesagt. Vergessen Sie den Krampf endlich. Ich bin schon längst drin, und ich möchte verdammt gerne einmal mit den Leuten reden, die für Franks Verschwinden verantwortlich sind. Die Jungs übrigens auch. Er war einer von uns, und niemand greift einen von uns an, ohne die Rechnung dafür präsentiert zu bekommen.«

Vivian konnte die Veränderung, die mit Sheldon vor sich gegangen war, deutlich erkennen. Er war nicht mehr der große, hilfsbereite Junge, der sie am Strand aufgelesen und in sein Zimmer gebracht hatte. Während sie das Lokal betraten und durch den schummrigen Innenraum auf die Bar zugingen, betrachtete sie unauffällig die anderen Mitglieder der Gruppe. Es waren sieben oder acht junge Männer, alle in der gleichen Kluft, eine Kombination aus schwarzem Leder und verwaschenem Jeans-Stoff, und alle langhaarig und bärtig. Es fiel Vivian schwer, einen Unterschied zwischen Sheldon und den anderen zu erkennen. Die Motorradkluft war fast wie eine Uniform, und durch die Haartracht und die wuchernden Bärte wirkten sie wie Brüder, Mitglieder einer einzigen, großen Familie.

Sheldon führte sie an die Theke, bestellte mit zwei erhobenen Fingern etwas zu trinken für sich und Vivian und sah sich neugierig um. »Ist Mickey nicht hier?«

Einer der Männer antwortete mit einem knappen Kopfschütteln. »Nein. Habe ihn schon seit heute morgen nicht mehr gesehen.«

»Wir wollten uns hier treffen.«

»Wer ist das?« fragte eine andere, tiefere Stimme. Vivian drehte sich um und sah in ein Paar neugieriger, gutmütiger Augen. »Deine neue Freundin?«

Sheldon grinste, stützte sich mit den Ellbogen auf die Bar auf und schüttelte bedächtig den Kopf. »Leider nicht. Wir haben uns ... zufällig kennengelernt.« Er grinste noch breiter.

»Sue wird sich freuen.«

Sheldon verzog abfällig das Gesicht. »Sie wird gar nichts sagen, wenn sie erfährt, was Vivian zu berichten hat.«

Vivian schrak bei seinen Worten unwillkürlich zusammen. Bis jetzt war ihr noch nicht richtig klargeworden, was er eigentlich vorhatte. Erst jetzt begriff sie und schaute Sheldon zornig an, ohne daß er sich davon irritieren ließ.

»Sie kann uns nämlich sagen«, fuhr er nach einer genau kalkulierten Pause fort, »was mit Frank passiert ist.«

14

Gefolgt von einer Gestalt, deren Gesicht unter der hochgeschlossenen Kapuze eines Umhanges nicht zu sehen war, betrat Mark Taylor die schattige, nur von einigen matt leuchtenden Wandlampen und einer trüben Leselampe an der Rezeption erleuchtete Eingangshalle des SHERIDAN-Hotels und eilte auf den Nachtportier zu. Der Mann sah erschrocken auf. Sein Gesicht zeigte einen verwirrten Ausdruck; er schien geschlafen zu haben. »Guten Morgen, Mister Taylor«, sagte er.

Mark blieb vor ihm stehen und schaute ihn herablassend an. »Ist meine Frau bereits hier?« erkundigte er sich.

Der Portier schüttelte den Kopf. »Nein, bis jetzt nicht.«

»Sind Sie ganz sicher?«

»Ich habe bereits den ganzen Abend Dienst. Es wäre mir bestimmt aufgefallen, wenn Ihre Frau hereingekommen wäre. Außerdem hängen die Schlüssel noch hier.«

»Dann geben Sie sie mir!«

Der Portier beeilte sich, die Schlüssel abzunehmen und Taylor zu geben. Seine Finger zitterten unmerklich, als er sie über den Tresen schob. Er hatte Mark Taylor als freundlichen, umgänglichen Menschen kennengelernt, der stets zu einem Schmerz aufgelegt war. Um so mehr bestürzte ihn dessen barscher, abweisender Befehlston. »Kann ich ... sonst noch etwas für Sie tun?« fragte er.

Taylor nickte. »Ja. Sollte meine Frau hier auftauchen, sagen Sie ihr nicht, daß ich da bin. Ich möchte sie überraschen. Geben Sie ihr einfach den Zweitschlüssel.« Er schob eine zusammengefaltete Hundert-Dollar-Note über den Tisch und sah den Portier durchdringend an. »Ich hoffe, wir verstehen uns.«

Der Portier griff zögernd nach dem Geld, drehte den Schein einen Augenblick in den Fingern und ließ ihn schließlich in der Rocktasche verschwinden. »Ich glaube schon, Sir.«

Taylor lächelte unfreundlich, drehte sich dann abrupt um und ging mit schnellen Schritten auf den Lift zu. Seine Begleiterin folgte ihm. Da sie einen Rock und hochhackige Pumps trug, konnte es sich nicht nur um eine Frau handeln, auch wenn ihr Gesicht unter dem Umhang verborgen war.

William Crown arbeitete bereits seit mehr als zwanzig Jahren im SHERIDAN. Er hatte gelernt, sich auf die verschiedensten Gäste einzustellen, ihre besonderen Eigenheiten zu akzeptieren und sich nach Möglichkeit niemals anmerken zu lassen, was er dachte. Jetzt aber verzog er mißbilligend das Gesicht, als die Aufzugtüren hinter Taylor und ihr zugeglitten waren. Sicher, Amerika war ein liberales Land, und es war ganz gewiß nicht seine Aufgabe, den Sittenwächter zu spielen, aber so, wie er von Mark Taylor bislang eine sehr positive Meinung gehabt hatte, hatte er auch Missis Taylor als eine sympathische junge Frau kennengelernt, und der Gedanke, daß er sie wegen ein paar Dollar und eines dahergelaufenen Flittchens belügen sollte, war ihm zuwider.

Er fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte. Es war möglich, daß er sich ein völlig falsches Bild machte, daß es sich bei der Unbekannten um eine Freundin Vivian Taylors handelte. In diesem Fall wäre die Behauptung, es solle eine Überraschung werden, keine Ausrede, aber irgendwie glaubte William Crown nicht daran. Das Verhalten Mark Taylors, seine arrogante Kaltschnäuzigkeit, sprachen dagegen. Der Mann führte irgend etwas im Schilde, und seinem Verhalten nach war es sicher nichts Gutes. Aber wenn er sich mit einem Flittchen amüsieren wollte, würde er dies sicherlich in einem anderen Hotel tun, und er hätte nicht darum gebeten, seine Anwesenheit zu verschweigen, sondern eher verlangt, daß man ihn beim Eintreffen seiner Frau telefonisch warnte, es sei denn, er wollte ganz bewußt, daß sie ihn mit einer anderen im Bett überraschte, um sie zu demütigen, sie vielleicht sogar zu einer Scheidung zu drängen. Bislang hätte er diese Möglichkeit bei Mister Taylor nicht einmal in Erwägung gezogen, aber nach dessen Auftritt vorhin traute er ihm buchstäblich alles zu.

William Crown seufzte. Er streifte den Ärmel zurück und sah auf die Uhr. Es war fast sieben Uhr morgens. Seine Schicht war in knapp zwei Stunden zu Ende. Mit etwas Glück kam er erst gar nicht mehr in die Verlegenheit, Vivian Taylor zu treffen. Mochte sich sein Nachfolger mit dem Problem herumschlagen. Michael war jünger und in vielerlei Hinsicht abgebrühter, für ihn war die Arbeit hier nur ein Job, den er nicht sonderlich persönlich nahm. Ihm würde es nichts ausmachen, Vivian Taylor etwas vorzulügen.