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Hätte Conelly sich in diesem Moment umgedreht, hätte er vielleicht eine schattenhafte Gestalt in einem Winkel der riesigen Halle wahrgenommen.

Vielleicht.

Vivian hatte Pecos den Weg genau beschrieben. Er parkte die Maschine zwischen überquellenden Müllcontainern und Pappkartons, die abholbereit am Straßenrand standen, sah sich sichernd nach allen Seiten um und huschte dann auf das Hotel zu. Die Rückseite des sechsstöckigen Gebäudes bot einen wesentlich erbaulicheren Anblick als die Front. Die Fenster waren hier meist klein und blind, der Putz fleckig und abgeblättert. Unrat und Papierfetzen bedeckten den kopfsteingepflasterten Hof, und aus einem offenstehenden Fenster im Erdgeschoß drang das helle Klappern von Geschirr und Besteck.

Pecos huschte zur Mauer hinüber, atmete tief ein und überprüfte nacheinander die Fenster, bis er eins fand, das nur angelehnt war. Prüfend rüttelte er an dem schmiedeeisernen Gitter, das davor angebracht war. Es sah nicht übermäßig stabil aus. Das Eisen knirschte, als er mit aller Kraft daran zog, bog sich ächzend nach außen und brach ab. Pecos grinste triumphierend, ging in die Hocke und lugte vorsichtig durch die schmutzverkrustete Scheibe nach drinnen. Er sah einen kleinen, rechteckigen Raum, in dem sich leere Kartons und große, graue Mülltonnen mit Haushaltsabfällen stapelten. Behutsam drückte er das Fenster nach innen und quetschte sich durch die schmale Öffnung.

Hinter sich schob er das Fenster wieder zu, schlich zur Tür und preßte das Ohr gegen das kalte Metall. Das Klirren von Glas und Geschirr, das er schon draußen auf dem Hof wahrgenommen hatte, schien hier lauter zu sein. Dies war nicht das erste Gebäude, in das Pecos durch die Hintertür eindrang, und er wußte, daß zuviel Zögern manchmal schädlich sein konnte. Vorsichtig öffnete er die Tür, sah sich sichernd um und trat dann auf den Gang hinaus. Das leise Knirschen seines Lederanzuges war das einzige Geräusch. Trotz der eisenbeschlagenen Motorradstiefel bewegte sich Pecos mit der Lautlosigkeit einer Katze.

Eine Tür auf der rechten Seite stand offen. Er blieb stehen und sah durch den Spalt. Große Aluminiumkessel und eine Anrichte beherrschten den Raum. Aus einem Kofferradio in der Ecke ertönte gedämpfte Musik, und der Geruch von gekochtem Schweinefleisch hing wie eine erstickende Wolke in der Luft. Offenbar handelte es sich um eine Personalküche.

Pecos zögerte nicht länger. Er betrat den Raum, drückte die Tür hinter sich zu und öffnete mit den zielsicheren Bewegungen eines routinierten Einbrechers die Schubladen. Drei Minuten später trat er wieder auf den Gang hinaus. In den Händen balancierte er ein Tablett mit Suppenschalen und Besteck, und sein schwarzer Motorradanzug war unter einem fleckigen Kittel und groben, grau-weiß-karierten Fleischerhosen verborgen. Er ging zum Aufzug hinüber, drückte den Rufknopf und wartete. Ein Zimmermädchen rauschte an ihm vorbei, ohne ihm mehr als ein flüchtiges Nicken zu widmen. Pecos erwiderte die Geste und unterdrückte ein triumphierendes Grinsen. Die Kleine würde sich sicher nicht an sein Gesicht erinnern. Ein Hotel wie das SHERIDAN war groß genug, daß nicht jeder jeden kennen konnte.

Der Aufzug kam, und Pecos betrat die Kabine. Der gefährlichste Teil des Unternehmens war geschafft. Wenn Sheldon sich an den Zeitplan hielt, mußte dieser Taylor jetzt bereits wohl verschnürt in seinem Wagen liegen.

Die Kabine glitt die Etagen empor und hielt im dritten Stockwerk an. Pecos stieg aus, balancierte das Tablett geschickt mit einer Hand vor sich her und ging zielsicher auf die Zimmertür zu, die Vivian ihm genannt hatte. Er klopfte vorsichtshalber an. Natürlich antwortete niemand. Taylor war also auf den Trick hereingefallen und in die Halle geeilt, um Vivian in Empfang zu nehmen.

Er drückte behutsam die Klinke herunter, öffnete die Tür und huschte in den Raum. Die Suite war größer, als er erwartet hatte. Er schob die Tür hinter sich zu, stellte das Tablett auf den Tisch und sah sich neugierig um. Das Zimmer verriet die Anwesenheit eines Menschen; eine halb geleerte Kaffeetasse stand auf dem Tisch, daneben ein überquellender Aschenbecher neben einer zerlesenen Zeitung. Die Möblierung war teuer und verriet die Hand eines geschickten Innenarchitekten, und die Seidentapeten an den Wänden hatten wahrscheinlich mehr gekostet, als Pecos in einem Monat verdiente. Er spürte eine dumpfe Wut beim Anblick all dieser Kostbarkeiten in sich aufsteigen. Er trat ans Fenster, befühlte mit einer Mischung aus Neugier und Neid den teuren Stoff der Übergardinen und warf aus purem Zerstörungswillen eine Vase um. Das Klirren des zerbrochenen Porzellans schien wie eine Explosion durch den Raum zu hallen und ernüchterte ihn wieder. Er war schließlich nicht hier, um über die Ungerechtigkeit der Welt zu sinnieren.

Mit entschlossenen Schritten ging er in den angrenzenden Schlafraum hinüber. Auf Anhieb entdeckte er auf dem Bett die Handtasche, die Vivian ihm beschrieben hatte. Er war froh, sie so schnell zu finden. Die Suite bot zwar nicht allzu viele Verstecke, aber er verspürte trotzdem keine Lust, die Zimmer jetzt noch gründlich zu durchsuchen. Er ergriff die Tasche, als ihn ein leises, kaum merkliches Geräusch auffahren ließ. In einer reflexhaften Bewegung fuhr er herum, griff unter die Jacke und zog sein Klappmesser hervor.

Das Geräusch schien aus dem Bad gekommen zu sein. Pecos duckte sich, ging mit raschen, lautlosen Schritten durch den Raum und schob die Badezimmertür auf. Die Deckenlampe brannte. Der Geruch eines teuren, unaufdringlichen Parfüms hing in der Luft; und aus dem Wasserkasten lief ein dünner Strahl in das safranfarbene Becken. Pecos konnte von seinem Standort aus den Raum nicht ganz überblicken, aber der überbreite Spiegel über dem Handwaschbecken zeigte ihm die toten Winkel jenseits der Tür, und das Innere der Duschkabine. Der Raum war leer.

Und dennoch spürte er die Anwesenheit eines Menschen.

Pecos versuchte, das klamme Gefühl, das sich plötzlich in seinem Inneren ausbreitete, zu ignorieren. Er atmete tief ein, stieß die Tür mit einem entschlossenen Ruck weit auf und trat in das geräumige Badezimmer.

Ein leises, amüsiertes Lachen hinter seinem Rücken ließ ihn herumfahren. »Gehen Sie immer in fremde Badezimmer, ohne anzuklopfen?« fragte Vivian Taylor.

Pecos wich mit einem erschrockenen Aufschrei zurück, prallte gegen die gekachelte Wand und ließ das Messer fallen. Sein Blick irrte gehetzt zwischen der schlanken Frauengestalt und dem Spiegel hin und her.

Das Zimmer, er selbst, die halb offenstehende Tür ... Er konnte alles fast überdeutlich erkennen - aber Vivian Taylor war in dem spiegelnden Glas nicht zu sehen.

»Und alles nur wegen einer Handtasche mit ein paar Papieren, auf die es mittlerweile überhaupt nicht mehr ankommt«, sagte Vivian leise. »Soll Vivian Taylor sie ruhig bekommen. Später. Wenn ich mit Ihnen fertig bin.« Sie trat beiseite, machte eine einladende Geste. »Kommen Sie.«

Irgend etwas Großes, Dunkles schien Pecos' Bewußtsein davonzuspülen.

Der Balken vor der Tür zu einem kleinen Nebenraum der alten Fabrikhalle rastete mit metallischem Quietschen in die Halterung ein. Sheldon Porter grinste, klopfte sich den Staub aus der Jacke und wischte sich die Hände an der Hose ab. »Da kommt noch nicht mal ein Elefant heraus«, sagte er überzeugt. Um seine Worte zu untermalen, trat er mit der eisenbeschlagenen Spitze seines Motorradstiefels vor die Tür. Es gab einen dumpfen, hallenden Ton. Ein wenig Kalk rieselte von der Wand herunter; irgendwo löste sich durch die Erschütterung ein Steinchen und fiel zu Boden.

Vivian starrte die geschlossene Eisentür aus brennenden Augen an. Marks Schreie waren zu einem kaum hörbaren Flüstern herabgesunken, nachdem die Tür geschlossen war, aber sie glaubte, sie immer noch in ihren Ohren gellen zu hören. Er hatte sich verzweifelt gewehrt, als Sheldon und die anderen damit begonnen hatten, ihm die Kleider auszuziehen, aber gegen die vereinten Kräfte von acht Männern war nicht einmal er angekommen.