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Frank wischte ihren Einwand mit einer gebieterischen Handbewegung fort. »Nun komm schon. Wahrscheinlich hat noch jemand den klaren Abend zu einem Ausflug genutzt.« Er grinste. »Vielleicht ist das eine ganz heiße Party. Gehen wir.« Er nahm sie an der Hand und zog sie hinter sich her.

Die Musik wurde lauter, als sie sich dem Zentrum des Parks näherten. Schließlich blieb Frank vor einem niedrigen, aus Wellblech und bunten Kunststoffteilen gefertigten Gebäude stehen. Die Musik drang aus seinem Inneren. Er ließ Melissa los, trat zögernd auf den Eingang zu und klopfte gegen den Rahmen. Irgendwie, fand Melissa, sah es albern aus. Sie wollte lachen, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Das Gefühl der Bedrohung wurde stärker. Die Schatten, die bisher schweigend und drohend in ihren Winkeln gelauert hatten, schienen plötzlich auf sie zuzukriechen, sie wie eine schweigende Armee großer dunkler Tiere zu umzingeln und einzukreisen.

»Frank, ich möchte gehen«, sagte sie unsicher.

Frank drehte sich nicht einmal um. »Sei nicht albern«, murmelte er, während er mit zusammengekniffenen Augen versuchte, im abgedunkelten Inneren des Gebäudes etwas zu erkennen.

»Bitte, Frank, ich ...« Melissa brach ab und stieß einen kleinen, spitzen Schrei aus. In der Dunkelheit hinter dem Eingang hatte sich etwas bewegt.

Frank wich ebenfalls zurück. Er gab sich Mühe, sein Erschrecken zu verbergen, aber Melissa konnte sogar bei der unzureichenden Beleuchtung sehen, daß seine Selbstsicherheit erschüttert war. Dann aber atmete er auf, als er sah, wer die Bewegung verursacht hatte. Es war nur ein alter, einarmiger Mann mit schütterem, schulterlangem grauem Haar, der aus dem Gebäude trat und die beiden jungen Besucher musterte. Melissa war zu weit von dem Alten entfernt, um mehr als einen verwaschenen Fleck an der Stelle auszumachen, wo eigentlich sein Gesicht sein sollte, aber sie hatte trotzdem den Eindruck, daß die Augen des Alten triumphierend aufleuchteten.

»Willkommen«, sagte er mit einer unangenehm krächzenden Stimme.

Frank nickte zaghaft. »Wir ...«

Der Alte unterbrach ihn mit einem sanften Lächeln. »Sie brauchen nichts zu erklären, junger Mann.« Er trat ein paar Schritte weiter vor und musterte Melissa und Frank mit unverhohlener Neugierde. »Kommen Sie doch herein. Wir haben geöffnet. Nur leider kommt heutzutage nicht mehr viel Kundschaft«, sagte er mit wehmütiger Stimme, dann drehte er sich um und machte eine einladende Handbewegung. Aber weder Frank noch Melissa machten Anstalten, seiner Einladung zu folgen. »Sie interessieren sich nicht für mein Kabinett?« fragte der Alte. In seiner Stimme klang Trauer mit. »Es ist das einzige, das hier noch geöffnet hat.«

Frank nickte hastig. »Doch«, sagte er verlegen. »Es ist nur ...«

»Sie sind überrascht, mich hier anzutreffen«, sagte der Alte. »Das verstehe ich. Aber kommen Sie doch herein. Wir können uns drinnen unterhalten. Es ist kühl hier draußen. Ein alter Mann wie ich friert schneller als Sie.« Er drehte sich um, schlurfte zum Eingang zurück und verschwand, ohne sich davon zu überzeugen, daß seine Besucher ihm auch tatsächlich folgten.

Frank tauschte einen verwirrten Blick mit Melissa. »Was hältst du davon?«

»Nichts«, sagte Melissa entschieden. Nun war es ihr auch egal, ob Frank sie für feige hielt. »Ich will nicht dort hinein. Ich will weg. Ich will nach Hause oder jedenfalls weg von dieser verdammten Insel.«

In diesem Augenblick flammte die Beleuchtung auf. Quer über die Front des Gebäudes gleißten Dutzende von kleinen, grellweißen Scheinwerfern, und über dem Eingang konnte Melissa in verschnörkelten Buchstaben die Worte ULTHARS SPIEGELKABINETT entziffern. Gleichzeitig wurde die Musik lauter.

Frank zuckte mit den Achseln, griff nach Melissas Hand und zog sie mit sich. Melissa sträubte sich nicht, obwohl sie sich am liebsten losgerissen hätte und weggelaufen wäre, aber noch weniger als in den Schuppen wollte sie allein sein.

Gemeinsam betraten sie das Gebäude. Ein kleiner, spärlich beleuchteter Raum nahm sie auf. Der Alte saß hinter einem niedrigen Tisch aus weißem Kunststoff und lächelte ihnen freundlich zu. »Nur keine Scheu«, sagte er, als er bemerkte, daß sie immer noch zögerten. »Es wird Ihnen gefallen. Bislang hat sich noch niemand beschwert, der mein Kabinett besucht hat.« Er beugte sich unter den Tisch und kam mit zwei Eintrittskarten wieder hoch. »Das macht einen Dollar. Für Sie beide zusammen.«

Frank runzelte die Stirn. »Augenblick, wir ...«

Auf dem Gesicht des Alten erschien Bestürzung. »Ein Dollar ist wirklich nicht viel.«

»Nein, das nicht«, entgegnete Frank hastig. »Es ist nur ...« Er brach ab, lächelte verlegen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wir ... hatten nur nicht damit gerechnet, daß Sie wirklich öffnen«, sagte er schließlich.

»Ich verstehe«, sagte der Alte. »Aber sehen Sie - ich lebe schon sehr lange hier. Ich bin ein alter Mann, müssen Sie verstehen. Wenn man so jung ist wie Sie, dann begreift man es vermutlich nicht, aber ... aber ich kann hier nicht weg. Ich habe beinahe mein ganzes Leben hier draußen verbracht, und dieses Geschäft ist alles, was ich habe.«

»Aber wovon leben Sie?« fragte Frank neugierig.

»Von meinem Geschäft. Ich weiß, was Sie jetzt denken. Aber ich kann davon leben. Es kostet praktisch nichts - ein bißchen Strom und etwas Arbeit. Und ich selbst brauche nicht viel.«

»Aber kommen denn überhaupt Besucher?«

»Nicht viele, aber immer wieder mal welche. Sie sind nicht die einzigen, die nachts hier herauskommen. Viele Menschen kommen hierher, obwohl es eigentlich verboten ist. Und jeder, der einmal bei mir war, kommt wieder.« Er reichte Frank die Karten. »Ich mache Ihnen einen Sonderpreis. Fünfzig Cent für jeden.«

Frank stutzte, grinste flüchtig über den Scherz und kramte eine Dollarnote aus der Tasche. Der Alte nahm das Geld und legte es achtlos auf den Tisch. »Der Eingang ist dort drüben«, sagte er. Er deutete auf eine schmale, in Gold und Schwarz lackierte Tür. »Es wird Ihnen gefallen. Ich bin ganz sicher.«

Für einen Augenblick hatte Melissa das Gefühl, in Ulthars Stimme so etwas wie gehässige Befriedigung zu hören. Aber sein Gesicht blieb ausdruckslos, und der Blick seiner grauen Augen wirkte eher väterlich als verschlagen. Wahrscheinlich, sagte sich Melissa, war sie nur überreizt, hatte die Atmosphäre hier ihre Nerven so strapaziert, daß sie hinter allem und jedem eine Gefahr witterte, selbst hinter einem freundlichen, alten Mann, der nicht einsehen wollte, daß die Zeit dieses Vergnügungsparks längst abgelaufen war. Statt dessen sollte sie lieber froh sein, einen Menschen gefunden zu haben und nicht mehr länger nur mit Frank allein zu sein. Der Alte war schließlich der beste Beweis, daß hier keine Gefahr drohte.

Sie gingen durch die bezeichnete Tür. Zuerst sahen sie nichts. Der Raum war vollkommen finster, eine Dunkelheit, die alles übertraf, was Melissa jemals erlebt hatte. Sie spürte, wie ihr Herz erneut zu rasen begann. Wenige Menschen ertrugen es, totale Finsternis zu erleben. Dann glomm über ihnen ein schwachgelbes Licht auf. Es schien aus keiner sichtbaren Quelle zu stammen, sondern überall gleichzeitig aufzuglühen, als wäre die ganze Decke eine einzige überdimensionale Lampe. Gleichzeitig begannen die Wände ringsum im gleichen Farbton zu glimmen, bis sich der ganze Raum in ein Meer flackernder, orangegelber Helligkeit verwandelt hatte.

Um sie herum waren Spiegel. Sie befanden sich in einem scheinbar endlosen Raum voller Spiegel. Melissa machte einen vorsichtigen Schritt. Tausend spiegelverkehrte Ebenbilder von ihr kopierten die Bewegung. Sie streckte die Hand aus und löste damit eine ganze Lawine gleichartiger Bewegungen ringsum aus. Sie sah, wie Frank nervös lächelte. Tausend gleichgesichtige Franks lächelten zurück.

Sie trat einen weiteren Schritt vor. Der Boden unter ihr fühlte sich kühl und glatt und hart an. Als sie den Blick senkte, sah sie, daß selbst der Fußboden ein riesiger, mattsilberner Spiegel war. Ihre Angst verschwand und machte einer Mischung aus Neugier und Faszination Platz. Mit einemmal empfand sie für den Alten so etwas wie Bewunderung, mindestens aber Respekt. Wenn er die ganze Anlage hier wirklich allein in Ordnung hielt, dann war es eine ungeheure Leistung.