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Vivian schüttelte den Kopf. »Das tut es nicht. Vielleicht haben Sie sogar recht, Sheldon. Vielleicht ist es das, woran man sie erkennen kann - sie haben keine Seele, wenn es so etwas wirklich gibt.«

Seine Stimme zitterte unmerklich. »Ob mit ... mit Frank das gleiche passiert ist?« fragte er stockend. »Ob wir anstelle von Frank auch nur so eine ... Kreatur finden, die wie er aussieht?«

Vivian antwortete nicht sofort.

»Sie glauben es«, sagte Sheldon, als Vivian eine Weile geschwiegen hatte. »Und ich glaube es auch. Ich ... fühle, daß Frank etwas zugestoßen ist.«

»Sie fühlen es?«

Sheldon lächelte unsicher, aber es war ein Lächeln, dem jede Spur von Freude oder Humor fehlte. »Es ist einfach nur ein Gefühl. Frank ist immerhin mein Bruder. Er und ich haben uns immer sehr nahe gestanden und ... es klingt vielleicht lächerlich, aber manchmal konnten wir gegenseitig spüren, wenn der andere in Schwierigkeiten steckte. Einfach so, verstehen Sie?«

Vivian nickte. »Aber selbst wenn Ihr Bruder in Ulthars Falle gegangen ist, bedeutet das noch nicht, daß wir auf sein Ebenbild treffen«, sagte sie. »Ich glaube nicht, daß Ulthar die Spiegelbilder aller seiner Gefangenen zum Leben erweckt, sonst müßte er bereits über eine riesige Armee verfügen, die sich kaum lange verstecken ließe. Er wird eine Auswahl der Personen treffen, die ihm für den Moment besonders nützlich erscheinen.«

Sheldon reagierte nicht auf ihre Worte, und Vivian begriff, daß er nicht weiter über dieses Thema reden wollte. Wahrscheinlich hatte er schon viel mehr gesagt, als er eigentlich wollte. Statt dessen konzentrierte er sich wieder auf den Verkehr, schaltete, gab Gas und überholte einen langsameren Wagen. Die Verkehrsdichte nahm allmählich ab. Vivian versuchte, sich zu orientieren, aber sie war diesen Weg erst einmal gefahren, noch dazu bei Dunkelheit. »Ist es noch weit?«

»Ein paar Meilen. Vielleicht zehn Minuten.« Sheldon fingerte nervös am Lenkrad herum und beschleunigte abermals. Der altersschwache Wagen wurde mit protestierend kreischendem Motor schneller.

16

Ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Gewohnheiten kam Jeremy an diesem Tag zum Mittagessen nach Hause. Er hupte zweimal kurz, als er den Wagen in die Garage fuhr, stieg dann aus und kam lächelnd ins Haus. Mary-Lou erwartete ihn im Wohnzimmer. Jeremy lächelte sanft, als er den Raum betrat.

»Du bist schon da?« fragte Mary-Lou.

Jeremy stellte seine Aktentasche in die Ecke, eilte auf seine Frau zu und umarmte sie herzlich. Mary-Lou erschauderte unwillkürlich. »Ich habe mir den Rest des Tages frei genommen«, erklärte er. Er trat zurück, hielt sie auf Armeslänge von sich und sah sie ernst an. »Ich glaube, ich habe mich ziemlich grob benommen, heute nacht«, sagte er leise. »Es tut mir leid, Liebling.« Als er den abweisenden Ausdruck in Mary-Lous Augen bemerkte, fügte er etwas lauter hinzu: »Vergiß es, bitte. Ich wollte dich nicht kränken, wirklich, aber ich hatte gestern einen ziemlich schweren Tag. Dazu noch der Empfang bei Conelly, der endlose Smalltalk mit allen möglichen Leuten - ich war gestreßt und habe mich wohl ziemlich gehen lassen. Sei mir nicht mehr böse, ja? Dafür machen wir uns heute einen gemütlichen Nachmittag.«

Für einen Moment wünschte sich Mary-Lou nichts sehnlicher, als ihm zu glauben, aber sie konnte es nicht. Jetzt nicht mehr.

»Kannst du tatsächlich ein paar freie Stunden mit deiner Arbeit vereinbaren?« erkundigte sie sich bitter. Die Worte taten ihr fast augenblicklich wieder leid, aber sie waren ihr einmal herausgerutscht und ließen sich nicht wieder rückgängig machen.

Ein flüchtiger Schatten schien über Jeremys Gesicht zu ziehen, und für einen winzigen Augenblick stand wieder der gleiche harte Glanz in seinen Augen wie am Morgen. Aber seine Stimme klang sanft, als er antwortete. »Die Nacht war lang genug, Schatz. Ich habe mir einen halben Tag Urlaub mehr als redlich verdient. Sind die Kinder noch in der Schule?«

Mary-Lou schaute ihn einen Moment lang fast traurig an. »Hast du schon vergessen, daß sie mit ihrer Klasse bis Ende der Woche ins Ferienlager gefahren sind?«

»Entschuldige, daran habe ich tatsächlich nicht mehr gedacht.« Jeremy wirkte für einen Moment irritiert. Er drehte sich um, ging zur Bar und schaltete im Vorübergehen die Stereoanlage ein. Leise Gitarrenmusik klang durch den Raum. »Möchtest du auch etwas trinken?« fragte er.

Vor Mary-Lous Augen erschien das Bild eines achtlos weggeworfenen Metallverschlusses. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich - ich habe noch in der Küche zu tun. Entschuldige mich bitte.«

Jeremy drehte sich langsam um. Er hatte sich einen Whisky eingeschenkt, und seine Finger umklammerten das Glas so fest, daß die Knöchel weiß hervortraten. »Ich habe mir nicht extra frei genommen, um dir beim Arbeiten zuzusehen«, sagte er.

»Es ... es dauert nicht lange«, beharrte Mary-Lou. »Ich muß nur nach dem Kuchen sehen. Er verbrennt sonst. Oder ißt du gerne angebrannten Sandkuchen?«

»Gut. Aber beeil dich, bitte. Ich habe mich auf den Nachmittag mit dir gefreut.«

Mary-Lou nickte, drehte sich herum und ging zur Tür. Sir Winston, der Burma-Kater, den Jeremy ihr vor drei Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte, kam über das Fensterbrett geturnt, strich in typischer Katzenmanier um ihre Beine und bewegte sich schnurrend auf Jeremy zu. Doch noch während er sich näherte, ging eine seltsame Veränderung mit dem Tier vor sich. Es blieb stehen, legte die Ohren an und stellte den Schwanz kerzengerade auf. Mary-Lou hörte, wie das sanfte Schnurren Sir Winstons in ein dumpfes, drohendes Grollen überging. Wie eine Doppelreihe winziger Klappmesser erschienen die Krallen an seinen Samtpfoten.

Jeremy runzelte die Stirn, ging auf den Kater zu und bückte sich, um ihn wie gewohnt zu streicheln. Sir Winston fauchte, machte einen Buckel und schlug nach seiner Hand, ehe er auf der Stelle herumfuhr und mit einem Satz aus dem Fenster war.

Mary-Lou starrte ihm verwirrt nach.

»Was ist denn mit dem verdammten Vieh los?« brummte Jeremy. Er hatte den Zeigefinger in den Mund gesteckt und schien daran zu lutschen. Wahrscheinlich hatte Sir Winston ihn gekratzt.

Mary-Lou hob in einer hilflosen Geste die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Als er vorhin bei mir in der Küche war, schien er ganz normal. Vielleicht hatte er Streit mit Johnsons Schäferhund.«

»Oder es ist ein anderer Kater aufgetaucht«, sagte Cramer grinsend, ohne den Finger aus dem Mund zu nehmen.

Mary-Lou starrte ihren Mann schockiert an. Während der vergangenen Stunden hatte sie sich beinahe unentwegt gefragt, ob sie sich nicht getäuscht, sich nur etwas eingebildet hatte. Die Begegnung mit dieser Vivian Taylor und die Erkenntnis, daß die Frau allem Anschein nach wirklich über paranormale Fähigkeiten zu verfügen schien, Vivians Ohnmacht bei der Seance, später dann die vergeblichen Versuche, Jeremy zu erreichen und sein sonderbares Verhalten nach seiner Rückkehr hatten Mary-Lou zutiefst verunsichert, aber je mehr Zeit verstrich, desto stärker waren ihre Zweifel geworden, ob sie sich nicht nur in etwas hineingesteigert hatte, und Jeremy lediglich überarbeitet gewesen war. Jetzt aber wußte sie, daß dies nicht der Fall war. Der weggeworfene Verschluß und seine abweisende Art hätten vielleicht wirklich noch bloß Zeichen von Streß und Erschöpfung gewesen sein können, doch schlüpfrige Witze dieses Niveaus widersprachen völlig Jeremys Charakter. In all den Jahren, die sie ihn schon kannte, hatte er niemals eine obszöne Bemerkung gemacht, fand es sogar außerordentlich widerlich, wenn in seiner Gegenwart von anderen oder im Fernsehen welche gemacht wurden.

Der Mann, der Mary-Lou gegenüberstand, sah zwar genau aus wie Jeremy, dennoch unterschied er sich völlig von dem Mann, den sie kannte und liebte. In seinem Innern hatte er eine schreckliche Verwandlung durchgemacht. Mary-Lou fuhr auf dem Absatz herum, stürmte aus dem Zimmer und rannte in die Küche.