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»Ulthar!« Conelly sprang, den aufflammenden Schmerz ignorierend, auf die Füße und hämmerte wütend gegen die Wände. Aber der Magier meldete sich nicht mehr.

»Quaraan«, stöhnte Conelly. »Quaraan, hörst du mich?«

Langsam, ganz langsam nur begriff Conelly, daß er wirklich gefangen war.

17

Coney Island tauchte wie ein monströses Ungeheuer am Horizont auf. Selbst jetzt, am hellen Tag, schien die Insel finster und drohend.

»Okay«, murmelte Sheldon. »Runter jetzt.« Vivian hörte, wie Jack und Steve sich hinter die Sitzlehne bückten, um nicht sofort entdeckt zu werden. Sie widerstand der Versuchung, sich umzudrehen.

Sheldon griff nervös nach seinem Hut, setzte ihn auf und zog ihn tief in die Stirn. Vivian musterte seine Verkleidung ein letztes Mal. Niemand, der Mark kannte, würde darauf hereinfallen. Sheldon glich Mark Taylor nur sehr oberflächlich. Er war ein gutes Stück größer und muskulöser, aber er hatte die gleiche Haarfarbe, trug eine spiegelnde Sonnenbrille und hatte sich von Jack den Bart abnehmen lassen, so es mit einer kleinen Nagelschere möglich gewesen war. Marks Anzug, die Sonnenbrille und der weit ins Gesicht gezogene Hut konnten Ulthar vielleicht für einige Augenblicke täuschen, und das war alles, was Vivian brauchte. Einen winzigen Augenblick. Nur eine einzige Chance, gegen den Magier vorgehen zu können. Wenn Waffen und physische Gewalt schon nichts nutzten, dann vielleicht ihre verborgenen Kräfte.

Schon einmal hatte sie sich auf diese Art gegen die Macht von Ulthars Spiegeln behaupten können, und nun besaß sie zusätzlich noch das Amulett.

Vivian war sich darüber im klaren, wie winzig ihre Chance dennoch war, Ulthar bezwingen zu können. Im Grunde war es ein Selbstmordunternehmen, sich gegen den Magier zu stellen, aber was blieb ihr schon anderes übrig? Wenn sie zu fliehen versuchte, würde Ulthar sie sicherlich nicht einfach ziehen lassen, nachdem sie nun einen Teil seines Geheimnisses kannte, sondern würde sie von seinen Dienern jagen lassen und sie über kurz oder lang auch aufspüren. Besser war es, selbst die Initiative zu ergreifen.

Vor allem aber konnte sie Mark nicht einfach im Stich lassen, sich damit abfinden, daß er bis zum Ende seines Lebens im Spiegelgefängnis des Magiers gefangen war und statt seiner diese künstliche Kreatur existierte. Bislang hatte sie ihre geistigen Kräfte noch nie mit denen eines anderen gemessen, aber wie es aussah, bildeten sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt die einzige Hoffnung, gegen Ulthar bestehen zu können.

Kurz bevor sie den Vergnügungspark erreichten, entdeckten sie einige Männer, die auf der Straße standen und die Weiterfahrt blockierten. Sheldon murmelte einen Fluch und trat auf die Bremse. Einer der Männer näherte sich dem Wagen, sah neugierig durch die Windschutzscheibe und starrte Vivian einige endlos erscheinende Sekunden lang an. Dem vermeintlichen Mark Taylor schenkte er keinerlei Beachtung. Schließlich trat er zurück und bedeutete ihnen mit einem Wink, weiterzufahren. Auch die anderen Männer gaben den Weg frei. Vivian atmete hörbar auf, als sie an ihnen vorbei waren. »Ich glaube, es hat geklappt«, stieß sie hervor.

Sheldon nickte knapp. Ein Netz feiner, glitzernder Schweißperlen überzog seine Stirn.

Sie fuhren langsam über den mit Schlaglöchern und Abfall übersäten Weg. Außer den Männern, an denen sie gerade vorbeigefahren waren, waren keine weiteren Wächter zu entdecken, aber Vivian hatte das Gefühl, von tausend unsichtbaren Augen angestarrt zu werden. Überall in den Schatten und Winkeln zwischen den baufälligen Gebäuden schienen Bewegungen zu sein. Vivian ertappte sich bei dem irrsinnigen Gedanken, daß die gesamte Halbinsel zu dunklem Leben erwacht war - ein lauernder, schleimiger Moloch, der ungeduldig auf seine ahnungslosen Opfer wartete. Sie war beinahe froh, als sie ihr Ziel erreichten.

Sheldon lenkte den Wagen dicht an den flachen Wellblechbau heran, der den Eingang zu Ulthars Spiegelkabinett beherbergte, zog den Zündschlüssel ab und stieß die Tür auf. Dann eilte er um den Wagen herum, riß die Beifahrertür auf und zerrte Vivian grob aus dem Wagen.

Die Tür öffnete sich lautlos von innen, als sie sich dem Gebäude näherten, und schlug mit einem unnatürlich dumpfen, hallenden Geräusch hinter ihnen zu, kaum daß sie eingetreten waren. Für einen Augenblick umfing sie abgrundtiefe Schwärze, ehe irgendwo im Hintergrund des Raumes ein trübes, gelbes Licht aufglomm, das jedoch kaum ausreichte, mehr als vage Konturen wahrzunehmen. Vivian schauderte. Das Geräusch der zufallenden Tür hatte etwas Endgültiges gehabt. Sie hatte plötzlich das Gefühl, in einer überdimensionalen Gruft gefangen zu sein, und sie spürte, daß sie nicht allein waren. Außer ihr und Sheldon war noch etwas im Raum, dessen dunkle Präsenz die Luft wie ein übler Geruch zu durchdringen schien.

Vivian tastete verstohlen nach dem Amulett um ihren Hals. Es fühlte sich warm und irgendwie tröstlich an.

Eine Tür knarrte irgendwo, und sie hörte den Klang langsamer, unregelmäßiger Schritte, die sich näherten.

Am entgegengesetzten Ende des Raumes schwang eine Tür auf. Gleichzeitig verstummten die Schritte.

Sheldon setzte sich zögernd in Bewegung und stieß Vivian vor sich her. Sie stolperte, verlor das Gleichgewicht und wäre gestürzt, wenn Sheldon nicht blitzschnell nach ihrem Arm gegriffen und sie hochgerissen hätte. Er spielte seine Rolle fast ein wenig zu gut, fand Vivian. Sie gingen langsam auf die einladend offenstehende Tür zu. Der Gang dahinter schimmerte in kaltem, metallischem Licht, das die Konturen der Tür zu verwischen schien. Vivian hatte das Gefühl, daß sich das Gebäude sanft bewegte. Der rechteckige Umriß der Tür, die schimmernden Wände des Ganges dahinter - alles schien in gleitender, pulsierender Bewegung zu sein, fast, als atmete das Haus wie ein gigantisches, lebendes Wesen.

Sie taumelte vorwärts.

Sheldon stöhnte auf, als er hinter ihr in den spiegelnden Gang trat. Vivian konnte das Gefühl des jungen Mannes nur zu gut verstehen. Selbst in ihr wallte eine kaum zu beherrschende Panik auf, obwohl sie schon einmal hier gewesen war und wußte, was sie erwartete.

Ein leises, gehässiges Lächeln ließ sie herumfahren.

»Ich wußte, daß wir uns wiedersehen würden«, sagte Ulthar kichernd. »Mein Kompliment, Missis Taylor. Sie haben sich tapfer geschlagen.« Er trat vollends aus der Nische heraus, in der er gelauert hatte, schob die Tür ins Schloß und nickte Sheldon anerkennend zu. »Gut gemacht, Mark.«

Sheldon grunzte etwas Unverständliches, schob den Hut noch tiefer ins Gesicht und postierte sich so hinter Vivian, daß Ulthar von seinem Gesicht fast nichts mehr erkennen konnte. »Wirklich, Missis Taylor«, fuhr der Magier im Plauderton fort, »ich bewundere Ihren Mut. Und Ihren Einfallsreichtum. Sie könnten eine wertvolle Verbündete für mich sein, wenn es nicht schon jemanden gäbe, dessen Existenz unendlich viel wichtiger für mich ist.«

»Sie ...« begann Vivian aufgebracht, brach aber sofort wieder ab. Sie durfte Ulthar nicht zu sehr reizen. Sie war noch nicht nahe genug bei ihm, und Ulthar würde ihr nur diese eine Chance geben - wenn überhaupt. Sie griff unter ihre Jacke, senkte mit gespielter Niedergeschlagenheit den Blick und trat einen Schritt auf Ulthar zu. Sheldon setzte ihr sofort nach, griff nach ihrem Oberarm und tat so, als würde er sie festhalten. Sie sträubte sich gegen seinen Griff, und während des kurzen Handgemenges stolperten sie zwei weitere Schritte auf den einarmigen Magier zu.

Ulthar verzog das Gesicht zu einem amüsierten Lächeln. »Sie hätten eine gute Schauspielerin abgegeben, Missis Taylor«, sagte er tonlos. »Und Sie auch, Mister Porter.«

Sheldon ächzte. Für eine Zehntelsekunde schien sich sein Körper zu versteifen, dann federte er mit einem wütenden Knurren an Vivian vorbei und warf sich auf den Magier.