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»Es war sehr nett von Ihnen, mich einzuladen«, sagte sie steif.

»Aber ich bitte Sie, nicht so förmlich.« Missis Masterton blinzelte ihr zu. »Kommen Sie, damit ich Sie meinen Freundinnen vorstellen kann.«

Sie führte Vivian an den Tisch und machte sie mit den Frauen bekannt. Es gelang Vivian nicht, sich alle Namen auf Anhieb zu merken, sie bekam jedoch mit, daß es sich ebenso wie bei ihrer Gastgeberin auch bei den übrigen ausnahmslos um die Frauen bedeutender Unternehmer oder einflußreicher Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens handelte, zumal Missis Masterton nicht nur ihre Namen nannte, sondern über jede der Anwesenden auch ein paar Worte verlor.

Vivian fühlte sich nicht besonders wohl, obwohl die Stimmung locker und freundlich war. Die erste Zeit bestritt hauptsächlich Missis Masterton selbst die Unterhaltung, indem sie allerlei bedeutungslosen Tratsch aus der gehobenen New Yorker Gesellschaft verbreitete. Nach einiger Zeit bat sie Vivian, von London zu erzählen.

Auch von der scheinbar gelösten Atmosphäre ließ sich Vivian während der ganzen Zeit nicht darüber hinwegtäuschen, daß man sie nicht nur aus purer Freundlichkeit eingeladen hatte, sondern daß dieses Treffen hauptsächlich dazu diente, sie einer strengen Prüfung zu unterziehen, die darüber entscheiden würde, ob man sie gesellschaftlich akzeptierte oder nicht. Das Ergebnis würde nicht ohne Auswirkungen auf den gesamten Taylor-Konzern bleiben, zumal Marks Verhandlungen hauptsächlich dem Ziel der Expansion dienten. Er wollte auch in den USA Niederlassungen seines in vielfältige Bereiche aufgegliederten Firmenkonglomerats errichten und seine Geschäftsbeziehungen verstärkt auf den amerikanischen Markt ausdehnen. Beziehungen konnten dafür ebenso bedeutsam sein wie die Finanzkraft, Größe und Leistungsfähigkeit seiner Unternehmen. Ob es ihm gelingen würde, diese Beziehungen zu knüpfen und in die entsprechenden Kreise der amerikanischen Wirtschaft und Hochfinanz aufgenommen zu werden, hing nicht nur von ihnen ab, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch von ihr als seiner Ehefrau. Dieser Druck lastete auf Vivian. Jede ihrer Bewegungen wurde mit Argusaugen beobachtet, und das machte es ihr unmöglich, sich frei und unbefangen zu geben, auch wenn sie sich mit aller Macht bemühte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen.

»Stimmt es eigentlich«, erkundigte sich Missis Masterton nach einer Weile mit beiläufig klingender Stimme, »daß Sie bis zu Ihrer Verlobung mit Mark Taylor als Wahrsagerin gearbeitet haben? Gewissermaßen als eine Art moderne Hexe?«

Vivian konnte nicht verhindern, daß sie zusammenzuckte. Es war die Frage, auf die sie die ganze Zeit über gewartet hatte, aber die unverhohlene Bezeichnung als Hexe brachte sie für einen kurzen Moment aus der Fassung. Zu stark waren die negativen Assoziationen, die sie gerade in den letzten Tagen mit diesem Wort verband. Sie hatte Mark nichts davon gesagt, daß sie sich selbst die Karten gelegt hatte, und ihm vor allem den erschreckenden Ausgang dieses Experiments verschwiegen. Statt dessen hatte sie ihn betont heiter am Morgen zu seiner Besprechung zum Masterton-Building an der Fifth Avenue gefahren. Dann aber war sie anstelle des geplanten Stadtbummels ins Hotel zurückgekehrt, hatte sich eine Weile hingelegt und tatsächlich mehr als zwei Stunden tief und traumlos geschlafen. Anschließend hatte sie sich etwas besser gefühlt, aber der Schrecken nistete immer noch tief in ihr und lauerte nur auf eine Gelegenheit, wieder von ihr Besitz zu ergreifen.

Doch sofort hatte sie sich wieder in der Gewalt und nickte. »Ein etwas ausgefallener Beruf, zugegeben, aber ich hatte eine Begabung dazu«, erklärte sie, um einen beiläufigen Tonfall bemüht. »Ich habe mich auch einer Reihe wissenschaftlicher Tests unterzogen, die starke mediale Kräfte ergaben.«

Erwartungsgemäß löste ihre offene Antwort keine schroffe Ablehnung aus. In Amerika mochte man in mancherlei Beziehung noch puritanischer als in England sein, aber man besaß auch nicht den typisch britischen Standesdünkel. In der englischen Gesellschaft hatte es Bestürzung, ja teilweise geradezu Empörung ausgelöst, als Mark Taylor, Erbe des Taylor-Konzerns und einer der begehrtesten Junggesellen Europas, seine Verlobung mit der aus einfachsten Verhältnissen stammenden Wahrsagerin Vivian Baker bekanntgegeben hatte. Vor allem die Regenbogenpresse hatte sich auf dieses Thema gestürzt und über Wochen hinweg die Emotionen mit gehässigen, hauptsächlich frei erfundenen Artikeln über sie angeschürt. Die Geschichte vom Aschenputtel war für Vivian wahr geworden, mitsamt aller Konsequenzen, die das Märchen verschwieg, die aber auch in der heutigen Zeit in gewissen Gesellschaftskreisen immer noch unvermeidlich waren. Es war für sie eine Zeit des Spießrutenlaufens gewesen, doch ihre Liebe zu Mark hatte sie diese schlimme Zeit überstehen lassen.

In Amerika, vor allem im Schmelztiegel New York, würde man wesentlich eher bereit sein, ihren früheren Beruf als exotische Note zu akzeptieren. Insofern überraschte es sie nicht sonderlich, daß Missis Masterton keineswegs verärgert reagierte. Womit sie jedoch nicht gerechnet hatte, das war die offenbar aufrichtige Erleichterung und Freude, die ihre Antwort unter allen Anwesenden auszulösen schien.

»Das ist wundervoll«, sagte Missis Masterton. »Wirklich wundervoll.«

Die Stimmung im Raum hatte sich schlagartig verändert. Vivian begriff, daß die Prüfungen vorüber waren, und man sie allem Anschein nach akzeptiert hatte, aber das allein erklärte den krassen Stimmungsumschwung nicht. Fragend runzelte sie die Stirn. »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz.«

Missis Masterton beugte sich zu ihr herüber und berührte ihren Arm. »Sie wissen ja sicher selbst, daß es auf dem Gebiet, auf dem Sie früher gearbeitet haben, von Schwindlern nur so wimmelt. Scharlatane, die den Leuten nur etwas Hokuspokus vorgaukeln, um sich an deren Gutgläubigkeit zu bereichern. Wir waren nicht sicher, ob Sie nicht ebenfalls dazugehören.«

»Und was macht Sie jetzt plötzlich so sicher, daß es nicht so ist?« erkundigte sich Vivian. Ihr Mißtrauen war erwacht. Das starke Interesse an ihrem früheren Beruf machte sie nervös. »Ich meine, niemand wird bereitwillig zugeben, ein Schwindler zu sein.«

Missis Masterton lächelte. »In diesem Fall schon. Niemand, der nicht aus Überzeugung dazu steht, würde sich zu einem so extravaganten, so ... obskuren Beruf bekennen. Es wäre viel unverfänglicher, sich damit herauszureden, daß man es nur wegen des Geldes getan hat. Und um Geld dreht sich ja schließlich fast alles, das ist in Ihrem Land nicht anders, als bei uns. Ich meine, eine Tänzerin in einer Nachtbar würde schließlich auch nicht versuchen, ihre Darbietungen damit zu rechtfertigen, daß es sich um einen ungeheuer ausdrucksstarken Tanz handelt, nicht wahr?« Sie kicherte leise. »Ich hoffe, Sie nehmen mir den Vergleich nicht übel.«

»Also schön, ich habe niemandem etwas vorgegaukelt«, gab Vivian zu. Das unbehagliche Gefühl in ihr hatte sich noch verstärkt. »Ich wußte nicht, weshalb ich mich dafür schämen sollte, daß ich eine mediale Begabung habe.«

»Das sollen Sie ja auch nicht, ganz und gar nicht«, entgegnete Missis Masterton aufgeregt. »Wir haben sogar gehofft, daß es sich so verhält. Um ehrlich zu sein - es war sogar einer der Hauptgründe, weshalb ich Sie für heute eingeladen habe.« Sie seufzte. »Viele Menschen glauben, New York wäre so etwas wie der Nabel der Welt, eine Stadt, in der einem nie langweilig werden könnte. Aber das ist Unsinn. Hier gibt es von allem etwas mehr, und das Leben ist etwas lauter und schneller, doch im Grunde ist es hier nicht anders als anderswo auch. Wenn man sich die Langeweile vertreiben will, muß man sich schon selbst etwas einfallen lassen.«