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Vivian hatte den Eindruck, eine Ansammlung von lebensgroßen, perfekt nachgebildeten menschlichen Puppen zu betrachten, die ein wahnsinniger Künstler scheinbar wahllos über den Boden der Halle verteilt hatte, aber das allein war nicht das Schlimme.

Aus dem schwarzen Morast waren unzählige dünne, schleimige Fühler herausgewachsen, glitzernde Fäden, die an den Körpern der Spiegelwesen hochgekrochen waren und sie mit einem dichten, zuckenden Netz überzogen. Es war das gleiche Phänomen, das Vivian schon an den Echsen beobachtet hatte. Sie wußte plötzlich, daß ihre Vermutung richtig gewesen war. Nicht die Echsen, sondern dieses schwarze Geflecht war der wahre Herr dieser Welt.

Parasiten.

Sie herrschten über diese Festung des Grauens. Sie gaben Ulthar seine Macht, und sie waren es, die letztendlich hinter dem grausigen Geschehen standen. Diese ganze, riesige Menschenfalle, die Ulthar errichtet hatte, diente einzig und allein dem Zweck, neue Sklaven für die Wesen heranzuschaffen. Ulthar war nur ein Handlanger, ein Werkzeug, dessen sie sich bedienten, weil sie in ihrer wahren Gestalt nicht auftreten konnten.

Und es befanden sich nicht nur menschliche Opfer hier. Als sie genauer hinsah, bemerkte Vivian, daß die Menschen sogar nur einen Bruchteil der Gestalten ausmachten. Im Hintergrund des gewaltigen Saales erkannten sie noch andere Wesen, von denen einige sie an die Statuen erinnerte, die sie beim Eindringen in das Kristallgebilde gesehen hatte, andere waren noch bizarrer und fremdartiger.

Auf wie viele Welten mochte sich die Macht dieser Parasiten erstrecken? Wie viele Handlanger wie Ulthar mochten ihnen überall im Universum dienen und ihnen ständig neue Opfer zuführen?

Vivian spürte eine zaghafte Berührung am Fuß. Sie sah hinunter, schrie entsetzt auf und prallte zurück. Ein schmaler, tastender Fühler war aus der Oberfläche der brodelnden Masse herausgewachsen und tastete nach ihren Beinen.

Angeekelt fuhr sie herum und lief durch den schwarzen Nebel nach draußen. Sie wußte, daß sie den Anblick nie wieder vergessen würde. Zitternd blieb sie stehen und wartete, bis sich das Zittern ihrer Glieder einigermaßen beruhigt hatte.

Parasiten.

Seelen-Parasiten ...

Welche Schrecken würde der andere Ausgang für sie bereithalten?

Sie versuchte, den Anblick der in das schwarze Gespinst eingesponnenen Menschen für einen Augenblick zu verdrängen und ging zögernd auf den linken Eingang zu. Auch hier wallte dieser schwarze, geheimnisvolle Nebel. Sie trat hindurch und öffnete mit klopfendem Herzen die Augen.

Vor ihr klaffte ein ungeheurer, meilentiefer Abgrund, dessen Wände glatt und fugenlos wie pulsierendes Glas lotrecht in die Tiefe stürzten. Schwarzer, übelriechender Dampf stieg in faserigen Schwaden aus der Tiefe empor, und das pochende Dröhnen, das sie mehr denn je an das Schlagen eines riesigen, bösen Herzens erinnerte, war hier lauter als sonst irgendwo in der schwarzen Festung. Ein schmaler Steg ohne Geländer führte direkt vor ihr in kühnem Bogen über den Abgrund. Seine Oberfläche schimmerte metallisch. Ein helles, pulsierendes Leuchten begann irgendwo dicht hinter dem Anfang des schmalen Bandes, lief an seiner Oberfläche entlang und verschwand in der Ferne, um sofort danach wieder aufzuflammen; ein optischer Gegentakt zu dem dumpfen Pulsschlag, der die Luft vibrieren ließ. Aus dem Gang hinter ihr drangen Kampfgeräusche. Vivian drehte sich herum, zögerte kurz und trat dann durch den Nebelvorhang wieder heraus auf den Gang. Sie wußte, daß sie über den Steg mußte, wenn sie mehr erfahren und einen Rückweg in ihre Welt finden wollte, aber im Moment war sie beinahe froh, einen Vorwand dafür zu haben, nicht sofort auf diese Brücke ins Nichts hinauszutreten.

Auf dem Gang spielte sich ein verzweifelter, ungleicher Kampf ab. Vier der riesigen Hornwesen drangen mit Peitschen und Schwertern auf Mark und Jonathan Masterton ein, die sich Rücken an Rücken und mit offenbar erbeuteten Waffen verteidigten.

Hätten sich die Giganten allein auf ihre Körperkraft verlassen, wäre der Kampf in wenigen Augenblicken ganz vorbei gewesen. Aber sie schienen nicht zu begreifen, daß den lebenden Spiegelbildern mit Waffen nicht beizukommen war.

»Vivian!«

Marks Aufschrei ließ Vivian herumwirbeln. Hinter ihr war ein weiteres Ungeheuer aufgetaucht. Die Bestie überragte sie um fast einen Meter. In ihren Augen funkelte satanische Mordlust.

Vivian sah den Schlag kommen, warf sich instinktiv zu Boden und entging dem niedersausenden Schwert um Haaresbreite. Reflexartig trat sie nach der Kniescheibe der Echse. Der Tritt schien die Bestie eher zu ärgern als wirklich zu schmerzen, aber er verschaffte Vivian wertvolle Sekunden. Sie rollte sich herum, tauchte unter den zupackenden Klauen des Monsters weg und war mit einem verzweifelten Satz aus seiner Reichweite. Hinter ihr riß das Schwert eine meterlange Furche in den Boden.

Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, wir Mark einem der Angreifer das Schwert in die Brust stieß und gleichzeitig geschickt unter einem weiteren Hieb wegtauchte. Vivian blieb keine Zeit, dem Kampf weiter zuzusehen. Auch sie wich einem weiteren Hieb ihres Verfolgers aus, sprang zurück und hob das Schwert des gefallenen Hornkriegers auf. In den Händen des riesigen Wesens hatte die Waffe klein und zerbrechlich ausgesehen, aber das Schwert war so schwer, daß Vivian es mit beiden Händen kaum halten konnte.

Als der Horngigant das nächste Mal zuschlug, riß sie die Waffe dennoch mit aller Kraft hoch und fing den Hieb auf. Der Schlag ließ sie gegen die Wand taumeln. Ein dumpfer, pulsierender Schmerz tobte durch ihre Arme. Das Schwert entglitt ihren tauben Fingern und fiel polternd zu Boden. Der Hornkrieger stieß einen triumphierenden Schrei aus und schwang seine Waffe zum letzten, entscheidenden Hieb.

Vivian sprang.

Sie trat mit dem Fuß nach dem Handgelenk des Angreifers und warf sich gleichzeitig herum, um an ihre eigene Waffe zu kommen. Der Zusammenprall ließ sie beide straucheln. Vivian fiel auf den Rücken, ignorierte den stechenden Schmerz, der durch ihre Rippen jagte, und tastete blind über den Boden. Ihre Finger schlossen sich um den Schwertgriff.

Ein riesiger, mißgestalteter Schatten wuchs über ihr empor, als sich ihr Gegner auf sie warf. Sie versuchte das Schwert hochzureißen, obwohl sie genau wußte, daß sie es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde. Das tonnenschwere Ungeheuer würde sie einfach unter sich begraben.

Ein helles, silbernes Schemen blitzte über ihr auf, zischte dicht über ihrem Gesicht durch die Luft und bohrte sich in den Hals des Angreifers. Der Hornkrieger prallte zurück, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. Seine Finger verkrampften sich um das schmale, silberne Band, das sich wie eine bizarre Metallschlange um seinen Hals gewunden hatte. Ihr Mund öffnete sich, aber statt des erwarteten Aufschreies hörte Vivian nur ein hilfloses Röcheln. Das Ungeheuer brach in die Knie, kippte dann nach vorn und blieb reglos liegen.

Vivian richtete sich verwirrt auf.

»Rettung in letzter Sekunde, wie?« sagte eine vertraute Stimme.

»Mark!«

Mark grinste, löste die .Peitsche mit gekonntem Schwung vom Hals des toten Giganten und zog Vivian mit der linken vollends auf die Füße.

»Warum ...«

»Warum ich dir geholfen habe?« Mark lächelte humorlos. »Das frage ich mich selber«, entgegnete er. Er trat zurück, hob scheinbar mühelos eines der schweren Schwerter vom Boden auf und stieg über den reglosen Körper eines gefallenen Gegners hinweg, um Masterton aufzuhelfen, der stöhnend versuchte, sich unter der Zentnerlast eines toten Hornkriegers hervorzuarbeiten. Der Boden des Kampfplatzes war mit Blutlachen bedeckt. »Ich glaube nicht, daß Ulthar uns noch gefährlich werden kann, aber du kannst uns vielleicht noch nützen, bis wir hier heraus sind. Wie du wohl schon gemerkt hast, ist hier in Moron vieles anders als auf der Erde.«