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Moron, wiederholte Vivian in Gedanken.

Das Wort brachte irgend etwas in ihr zum Schwingen. Eine dunkle, verschwommene Erinnerung, die nicht ihre eigene war. Alle Verdorbenheit, alle Gewalt des Universums schien im Klang dieser fünf Buchstaben zu liegen.

Obwohl sie nicht wußte, wer oder was sich dahinter verbarg, spürte sie das Grauen, das dieses Wort symbolisierte. Es war, als erinnerte sie sich plötzlich an Dinge, die sie nie erlebt hatte, als wehten bruchstückhafte Erinnerungen aus einem früheren Leben zu ihr herüber, Erinnerungen an ein Leben, das unendlich weit zurücklag. Sie spürte, wie sich etwas tief in ihr aufbäumte, und im gleichen Moment wußte sie, daß ihre Vermutung über Ulthars mißlungenen Versuch einer Bewußtseinsspaltung richtig gewesen war. Er hatte Melissa nicht von ihr getrennt, sondern nur eine negative Kopie von ihr hergestellt. Das Bewußtsein der Hexe schlummerte immer noch in Vivian, und die bloße Erwähnung Morons hatte ausgereicht, es trotz seines benommenen Dämmerschlafs für einen kurzen Moment voller Panik aufschrecken zu lassen.

Aber das Gefühl verging, ehe Vivian es richtig begreifen konnte. Zurück blieb nur ein dumpfes, bedrückendes Gefühl der Angst.

Masterton stemmte sich mit einem Fluch hoch. »Verschwinden wir von hier«, sagte er dumpf.

Mark nickte ungerührt. »Wenn du weißt, wo der Ausgang ist, gerne.«

»Der ...« Masterton brach ab, sah sich hilflos um und schien erst dann Vivian zu erkennen.

»Erledige das Weib. Und dann machen wir, daß wir wegkommen«, sagte er entschlossen.

Mark schüttelte ruhig den Kopf. »Das hat Zeit, Jonathan.« Er wandte sich an Vivian. »Im Grunde haben wir dir das alles zu verdanken«, sagte er fast freundlich. »Aber wenn Ulthar uns nicht deinetwegen hierher geschickt hätte, hätten wir auch nie unsere geistige Freiheit zurückerlangt. Ich glaube, wir verschieben unsere Meinungsverschiedenheiten besser auf später. Schließen wir einen Burgfrieden, bis wir hier heraus sind?«

Vivian kämpfte gegen den Drang an, hysterisch aufzulachen. Dieser Mann, der aussah wie Mark Taylor, der Mann, den sie mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt liebte, sprach so ungerührt über ihren Tod, als handelte es sich um irgendeine beliebige geschäftliche Transaktion. Was er als Meinungsverschiedenheit bezeichnete, war sein Vorhaben, sie zu töten!

»Ich ... ich ...«

»Laß gut sein, Mädchen«, unterbrach sie Mark. »Wir müssen hier raus, bevor unsere ungehobelten Freunde Verstärkung bekommen. Du kennst nicht zufällig den Ausgang?«

Masterton deutete auf die beiden Gänge. »Versuchen wir es dort.« Er schickte sich an, durch den rechten Höhleneingang zu treten.

»Nein«, sagte Vivian hastig. »Wir müssen den anderen nehmen.«

Mark sah sie abschätzend an. »Wenn du meinst ... Aber wenn du versuchst, uns aufs Kreuz zu legen ... Gehen wir.« Er stieß Vivian zur Seite, zog sein Schwert und trat vorsichtig durch den Nebelvorhang. Masterton folgte ihm, während Vivian den Schluß übernahm. Als sie durch den Vorhang trat, hörte sie hinter sich schwere, klirrende Schritte. Sie hatten sich wirklich keine Sekunde zu früh entschlossen, zu verschwinden.

Mark blieb wenige Zentimeter vor dem Abgrund stehen. Zwischen seinen Brauen entstand eine Falte. »Das sieht nicht gerade vertrauenerweckend aus«, sagte er nachdenklich. »Weißt du, wo dieser Steg hinführt?«

»Nein.« Vivian schüttelte den Kopf. »Weiter bin ich nicht gekommen.«

»Dann probieren wir es eben aus.« Mark zuckte mit den Achseln, schob sein Schwert in den Gürtel und trat mit schlafwandlerischer Sicherheit auf den schmalen Metallsteg hinaus. »Fühlt sich stabil an«, sagte er, nachdem er ein paar Schritte gegangen und stehengeblieben war. »Kommt schon. Das Ding hält.«

Masterton unterstrich Marks Aufforderung mit einem unsanften Stoß, der Vivian auf die Brücke hinaustaumeln ließ. Sie streckte vorsichtig die Hände nach beiden Seiten aus, um ihr Gleichgewicht zu halten, und balancierte mit halbgeschlossenen Augen über dem Abgrund. Masterton folgte ihr in wenigen Schritten Abstand.

Sie marschierten vorsichtig los. Der Steg schien kein Ende zu nehmen. Nach wenigen Minuten fiel die Steilwand, über der er begonnen hatte, hinter ihnen zurück, während sich das gegenüberliegende Ende irgendwo im Dunst der Entfernung verlor.

Die Wanderung schien sich über Stunden hinzuziehen. Natürlich war sich Vivian darüber im klaren, daß erst wenige Minuten vergangen waren, seit sie durch das Nebeltor gegangen waren, aber es kam ihr so vor, als balanciere sie schon seit einer Ewigkeit auf diesem schmalen, geländerlosen Pfad über das Nichts. Selbst die Zeit schien hier nicht mehr den gewohnten Gesetzen zu gehorchen.

Irgendwann schließlich tauchte eine schlanke, nachtschwarze Steinsäule vor ihnen auf. Ihre Flanken stürzten glatt wie poliertes Glas in die Tiefe, und jedesmal, wenn eine der rasenden Lichtexplosionen, die unter ihren Füßen auf dem Metallband dahinglitten, ihr oberes Ende erreichten, schienen ihre Umrisse für Sekunden zu verschwinden.

Mark beschleunigte seine Schritte, als er das Ende des Steges auftauchen sah. Trotz der unerschütterlichen Ruhe, die er zur Schau trug, schien er erleichtert zu sein, wieder sicheren Boden unter den Füßen zu haben.

Sie waren im Zentrum der Kristallfestung.

Im Zentrum des Bösen ...

Der Gedanke erschien mit solcher Wucht in Vivians Bewußtsein, daß sie unwillkürlich aufstöhnte.

Die Plattform war leer bis auf einen schwarzen, achteckigen Block in der Mitte. Über seiner Oberfläche wallte eine unfaßbare, körperlose Bewegung, ein auf und ab wehendes Nichts, brodelnde, reine Bewegung, die das Hemmnis fester Materie gestreift hatte.

Vivian, Mark und Jonathan Masterton gingen zögernd darauf zu.

Vivians Herz begann wild zu schlagen. Der Einfluß des Bösen war hier übermächtig. Die einfache Bewegung, einen Fuß vor den anderen zu setzen, kostete sie ungeheure Überwindung. Mühsam schleppte sie sich zu dem Steinaltar hinüber und starrte ins Zentrum dieser wirbelnden Nicht-Existenz.

Sie hatte den Eindruck, durch ein Loch in der Schöpfung zu schauen. Ihr Blick schien geradewegs in die Unendlichkeit zu fallen, einer Unendlichkeit, die sowohl über die Grenzen des materiellen Universums als auch über die Grenzen menschlichen Begriffsvermögens hinausging. Was sie sah, war keine Lebensform, keine Intelligenz, nichts, das dachte oder auch nur Gefühle und Empfindungen hatte.

Bosheit ...

Die Ablehnung, Verneinung alles Lebenden ...

Das Zentrum des Bösen ...

Dies hier mußte die Quelle aller negativen Kräfte sein, ein winziges Stück der Schöpfung, das zu reiner Schlechtigkeit pervertiert war.

Ein kosmisches Krebsgeschwür ...

Vivian spürte, daß dies nicht allein ihre Gedanken waren, sondern Melissas Bewußtsein sich tief in ihr aufbäumte und sie zwingen wollte, von hier zu fliehen, aber die Gedanken der Hexe kamen dem ziemlich nahe, was sie selbst empfand.

»Da hätten wir ja Ulthars kleines Geheimnis«, sagte Mark leise. Seine Stimme zitterte, und Vivian bemerkte aus den Augenwinkeln, daß er blaß geworden war. Seine Worte durchbrachen die Stille auf seltsam unangenehme Art. Menschen hatten in diesem Reich nichts verloren. Allein ihre Anwesenheit stellte eine Herausforderung dar.

»Du Narr«, erwiderte Vivian ebenso leise. Jedes Wort fiel ihr schwer. »Das hier ... ist nicht Ulthars Werk. Es ist unendlich mächtiger und böser als er. Er ist selbst nur ein Handlanger dieses ... dieses Etwas.«