Die Instrumente der Cessna begannen verrückt zu spielen. Zeiger tanzten wild auf und ab, der elektronische Horizont überschlug sich, und die Kompaßnadel begann wie wild zu kreiseln. Ein ungeheurer Schlag ließ das Cockpit erbeben. Die Cessna legte sich auf die Seite, begann zu trudeln und wurde dann von einer unsichtbaren Kraft wieder auf ihren ursprünglichen Kurs zurückgerissen.
Und dann tauchten sie in die Wolkenbank ein.
Es war wie ein vorweggenommener Weltuntergang. Das Motorengeräusch wurde vom ungeheuren Brüllen des Sturms verschluckt. Ein helles, metallisches Kreischen marterte ihre Ohren. Blitze zuckten rechts und links der Kanzel auf, schienen wie geisterhafte Arme nach dem Flugzeug und den beiden Passagieren zu greifen. Blaues Elmsfeuer tanzte über das Armaturenbrett.
Mark schrie auf und ließ den Steuerknüppel los. Der Kunststoff begann zu rauchen. Er hörte, daß Vivian irgend etwas schrie, aber er konnte die Worte nicht verstehen. Er versuchte, sich zu ihr herumzudrehen, aber die ungeheure Beschleunigung preßte ihn hilflos in seinen Sitz.
Irgend etwas Großes, Dunkles tauchte in dem tobenden Chaos vor der Pilotenkanzel auf, huschte dicht an der Maschine vorüber und streifte die rechte Tragfläche.
Das Holz zersplitterte mit einem ekelhaften Geräusch. Die Maschine bäumte sich auf, überschlug sich vier-, fünfmal hintereinander und sackte dann wie ein Stein nach unten. Vivian schrie entsetzt auf, als die Maschine die Wolkendecke durchstieß. Der Boden schien mit unglaublicher Geschwindigkeit zu ihnen emporzustürzen.
Mark riß verzweifelt am Steuerknüppel, obwohl er längst erkannt haben mußte, wie sinnlos seine Bemühungen waren. Die Cessna war ein Wrack. Selbst wenn der Sturm plötzlich aufhören würde, würden sie weiterstürzen.
Die Maschine überschlug sich. Vivian wurde im Sitz nach vorne geschleudert und prallte schmerzhaft gegen die Armaturenverkleidung. Sie nahm plötzlich alles mit phantastischer Klarheit wahr. Ihre Umgebung, das helle, qualvolle Splittern von Holz und Metall, den auf und ab hüpfenden Horizont, den emporspringenden Boden, der durch die rasende Geschwindigkeit ihres Sturzes zu einer braun-grünen Masse zu verschmelzen schien. Marks Gesicht, gleichermaßen von Angst und Wut verzerrt.
War das der Tod?
Viele Menschen behaupteten, daß man in der Sekunde vor dem Sterben noch einmal sein ganzes Leben erlebt. Vivian merkte nichts davon. Sie hatte nur panische Angst und ein irrationales Gefühl der Enttäuschung, das Bewußtsein, betrogen worden zu sein. Irgendwie schien ihr der Gedanke fast lächerlich, auf so banale Art ums Leben zu kommen, nach all den ungeheuren Gefahren, die sie gerade erst überstanden hatte. Sie wurde hilflos in der Kabine herumgeschleudert, als ein weiterer furchtbarer Stoß den zerschmetterten Rumpf der Maschine traf. Die Cessna bäumte sich auf. Der Motor erstarb mit einem häßlichen Geräusch. Vivian prallte gegen einen harten Gegenstand, schrie gequält auf und griff in blinder Panik nach oben.
»Tu doch etwas!« vernahm sie Marks Schreien wie aus weiter Ferne.
Sie konnte nicht antworten. Die nackte Todesangst verhinderte jeden klaren Gedanken.
Plötzlich schien der Himmel zu explodieren. Die graue Wolkendecke riß in unglaublichem Tempo auseinander. Ein unsichtbares, wesenloses Etwas griff nach der winzigen Maschine, fing ihren rasenden Sturz wenige hundert Meter über dem Boden ab und schleuderte sie wie ein welkes Blatt wieder in die Höhe.
Mark stemmte sich ächzend im Pilotensitz hoch und starrte aus ungläubig aufgerissenen Augen nach draußen. Die Luft rings um die Maschine schien sich in flüssigen, rotierenden Sirup zu verwandelt zu haben. Er sah, wie die Wolkendecke über ihnen endgültig aufriß, sich zu einem rotierenden, trichterförmigen Etwas zusammenballte. Die Cessna kippte in die Waagerechte zurück und jagte in flachem Winkel auf den unsichtbaren Wellen des Sturmes dahin. Automatisch drückte Mark den Anlasserknopf. Der Motor stöhnte qualvoll, machte ein paar Drehungen und sprang dann stotternd an.
Mark schüttelte hastig den Kopf und umklammerte verbissen den Steuerknüppel. Das, was sie hier erlebten, stand im krassen Gegensatz: zu allen Naturgesetzen, aber das interessierte ihn im Moment nicht. Er wußte, daß sie eine Chance hatten, wenn das unglaubliche Phänomen auch nur noch wenige Augenblicke anhielt. Probeweise betätigte er das Höhenruder, und das Wunder geschah - die Nase der Cessna senkte sich gehorsam dem Boden entgegen, und die Maschine begann mit einem stoßenden, rüttelnden Abstieg. Trotz der abgerissenen Tragflächen hielt sich die Maschine mühsam in der Luft.
»Festhalten!« schrie Mark. »Das gibt eine Bruchlandung!« Er wußte nicht, ob Vivian seine Worte über dem Toben des Sturms und dem gequälten Heulen der Motoren verstanden hatte. Als er den Kopf wandte, sah er, daß sie wie leblos auf dem Sitz zusammengesunken war. Sie schien das Bewußtsein verloren zu haben, aber Mark blieb keine Zeit, sich um sie zu kümmern, mußte sich voll auf die bevorstehende Bruchlandung konzentrieren.
Verzweifelt zerrte er am Steuerknüppel, um den Aufprallwinkel so flach wie möglich zu halten. Das blaue, verwaschene Band eines Flusses huschte unter der Maschine hinweg, wurde vom schmierigen Grün einer Wiese und schließlich der blaugrünen Masse eines Waldes abgelöst. Mark konnte nicht erkennen, wie schnell die Maschine war - der Geschwindigkeitsmesser war wie alle Instrumente ausgefallen -, aber sie mußte immer noch weit über einhundert Meilen schnell sein. Bei dieser Geschwindigkeit konnte schon ein einfacher Weidezaun zu einem tödlichen Hindernis werden.
Aber er hatte keine Zeit mehr, über ihre Überlebenschancen nachzudenken. Der flügellose Torso der Cessna streifte die obersten Wipfel des Waldes, hüpfte wie ein flach gewordener Stein in die Höhe und fuhr dann mit unglaublicher Geschwindigkeit in die Äste der Bäume.
Vivians Aufschrei ging im Splittern und Bersten der Glaskanzel unter.
28
Sie erschrak.
Für einen winzigen Augenblick wallte graue, lähmende Panik in Melissa empor und drohte auch den letzten Rest von Konzentration hinwegzuspülen. Das Abbild der hilflos trudelnden Maschine im Inneren der Kugel wurde unscharf, verschwand hinter treibenden Schleiern und begann sich aufzulösen.
Melissas schmale Hände begannen zu zittern, als sie begriff, daß sie einen tödlichen Fehler begangen hatte. Sie hatte sich hinreißen lassen. Die Verlockung, die verhaßte Feindin ein für allemal aus dem Weg räumen zu können, war für einen winzigen Augenblick übermächtig geworden und hatte sie viel härter zuschlagen lassen als beabsichtigt.
Aber sie durfte Vivian nicht töten, noch nicht. Wenn das Flugzeug abstürzte, würde man Vivians Leiche bergen, und das durfte nicht geschehen. Selbst wenn es Melissa gelingen sollte, den Leichnam rechtzeitig fortzuschaffen, bevor ein anderer das Wrack erreichte, würde es ihr schwerfallen, zu erklären, wie sie diesen Absturz ohne Verletzung überlebt hatte. Dieser Körper hatte nur den einen, winzigen Nachteil, daß er in gewisser Hinsicht schon geradezu zu perfekt war. Sie war nahezu unverletzlich, es sei denn, ihr Körper würde völlig vernichtet, so daß sie sich nicht selbst ein paar harmlose Verletzungen beibringen konnte, um ihre Rolle überzeugender zu spielen. Wenn sie aber nach so einem Absturz aus dem völlig zerstörten Wrack des Flugzeugs stieg, ohne auch nur die geringste Blessur davongetragen zu haben, würde das zwangsläufig Mißtrauen schüren, und gerade das konnte sie nicht gebrauchen. Es gab sehr einfache Möglichkeiten, festzustellen, daß sie nicht die wäre, für die sie sich ausgeben wollte, schon weil sie kein Spiegelbild warf. Wenn erst einmal Verdacht entstand, würde das ihren ganzen Plan gefährden, vielleicht sogar vollends vereiteln.
Nein, Vivian Taylor durfte keinesfalls unter solchen Umständen sterben. Der Absturz hatte eine ganz andere Bedeutung in Melissas Plan, hatte nur dazu gedient, Vivian in die vorbereitete Falle zu locken. Sie war sich sicher gewesen, Vivian würde ihre eigenen Kräfte einsetzen, um den Sturz aufzuhalten, würde mit dieser Situation allein fertig werden. Danach aber sah es nicht aus.