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Melissa erkannte, daß sie nicht mehr lange zögern durfte. Notfalls mußte sie selbst eingreifen. Sie verschwendete eine wertvolle Sekunde damit, sich zu entspannen, und konzentrierte sich dann erneut auf das Bild des abstürzenden Flugzeugs in der Glaskugel.

Laß sie abstürzen! wisperte eine Stimme in ihren Gedanken. Vernichte sie, ehe sie dich vernichtet! Du mußt! Sie ist eine Gefahr! Nur eine von euch kann überleben!

Melissa stöhnte. Ihre Lippen bebten, und auf ihrer Stirn erschien ein Netz feiner, glitzernder Schweißtropfen, während sie sich bemühte, ihren Haß zu unterdrücken und gegen den Drang ankämpfte, Vivian sterben zu lassen.

Das Flugzeug stürzte jetzt immer schneller. Sie sah, wie der zerschmetterte Rumpf der Cessna die Wolkendecke durchbrach und wie ein Stein dem Boden entgegenfiel.

Mit ihren Händen umklammerte Melissa die Glaskugel, aber Bruchteile von Sekunden, bevor sie sich entschloß, in das Geschehen einzugreifen und den Absturz aufzuhalten, sah sie, wie die Sturmwolken von unvorstellbaren Kräften auseinandergefetzt wurden, und sich der Kurs des Flugzeugs stabilisierte.

Melissa lächelte zufrieden. Sie hatte sich in ihrer Gegnerin nicht getäuscht.

Vivian wußte nicht, wie lange sie bewußtlos gewesen war. Das letzte, woran sie sich erinnerte, war das schreckliche Gefühl des freien Fallens gewesen, das Wissen, mit Hunderten von Meilen dem Boden entgegenzurasen und vollkommen hilflos zu sein. Sie öffnete die Augen, setzte sich auf und sank mit einem wehleidigen Stöhnen wieder zurück, als ein scharfer Schmerz durch ihren Arm fuhr. Blut sickerte warm und klebrig aus einer Platzwunde dicht unter ihrem Haaransatz, und ihr linkes Bein fühlte sich seltsam taub und gefühllos an.

Vivian wartete, bis die Welle der Übelkeit einigermaßen abgeklungen war, ehe sie noch einmal versuchte, die Augen zu öffnen und aufzustehen. Diesmal gelang es ihr.

Die Bäume filterten das Sonnenlicht zu einem sinnverwirrenden Muster aus Hell und Dunkel, Licht und Schatten und unzähligen Grau- und Grünschattierungen. Vivian erhob sich stöhnend auf Hände und Knie, schüttelte den Kopf und versuchte, den stechenden Schmerz hinter ihrer Stirn zu ignorieren.

Das Flugzeugwrack lag fast fünfzig Meter von ihr entfernt zwischen den Bäumen; ein zertrümmertes, verdrehtes, zerfetztes Etwas, das von der Faust eines Riesen in den Boden gerammt worden zu sein schien. Die Maschine hatte eine lange, rauchende Bresche in den Wald geschlagen - eigentlich war es ein Wunder, daß sie nicht explodiert war. Vivian stand vollends auf und ging mit zitternden Knien zum Wrack der Cessna hinüber. Die Plexiglaskanzel war zersplittert und abgerissen. Die scharfkantigen Scherben hatten den Kunststoffbezug der Sitze zerfetzt, so daß das helle Schaumstoffmaterial der Füllung herausquoll.

Vivian schauderte. Wären sie und Mark nicht durch den Aufprall aus der Maschine geschleudert worden ...

Ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen ließ sie herumfahren.

Mark!

Er lag zusammengekrümmt im Schatten der Maschine, versuchte sich hochzustemmen und fiel zurück, als die Arme unter seinem Körpergewicht nachgaben.

Vivian sprang mit einem Satz über den zusammengestauchten Bug des Flugzeugs und kniete neben Mark nieder. Vorsichtig drehte sie ihn herum, wischte ihm die Haare aus der Stirn und bettete seinen Kopf auf ihrem Schoß.

Marks Gesicht war blutüberströmt. Das rechte Auge war dunkel und fast zugeschwollen, und über der Magengegend war sein Hemd blutbefleckt. »Was ...« murmelte Mark leise, »ist passiert?«

Vivian grinste gezwungen. Die Geste wirkte zuversichtlicher, als sie sich fühlte. »Du solltest dein Geld zurückverlangen«, sagte sie scherzhaft. »Eine so miserable Landung habe ich noch nicht erlebt.«

Mark versuchte zu lächeln, doch bei all dem Blut und dem bemitleidenswerten Zustand, in dem er sich befand, wirkte es furchteinflößend. »Hilf mir hoch.« Er streckte auffordernd die Hand aus, aber Vivian schüttelte nur den Kopf. »Du bleibst liegen, bis ein Arzt da ist. Du bist verletzt.«

»Blödsinn«, preßte Mark hervor. »Ich habe eins auf den Schädel bekommen, aber sonst bin ich okay.« Er stemmte sich hoch, um seine Worte zu unterstreichen, verzog schmerzhaft das Gesicht und hielt sich am Flugzeugwrack fest. Aber er stand. »Siehst du?«

Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, zog eine Grimasse und betrachtete seine Fingerspitzen. Sie schimmerten rot. »Eine Platzwunde«, sagte er. »Kopfwunden bluten immer stark. Aber ich begreife nicht, wieso wir den Absturz überhaupt überlebt haben.«

»Eine ungeheure Portion Glück«, sagte Vivian unsicher. »Sieht so aus, als hätten wir einen äußerst aufmerksamen Schutzengel gehabt.«

Mark schnitt eine Grimasse. »Unsinn. Wir waren ein paartausend Fuß über dem Boden, als die Tragfläche abriß. Aus dieser Höhe und bei unserer Geschwindigkeit nützt einem alles Glück der Welt nichts.« Er schüttelte den Kopf und bezahlte diese unüberlegte Bewegung mit einem stechenden Schmerz, der ihn aufstöhnen ließ. »Die Sache geht nicht mit rechten Dingen zu. Ebensowenig wie dieser plötzliche Sturm.«

»Du glaubst ... Melissa steckt dahinter? Aber das ergibt doch keinen Sinn. Warum sollte sie eine derartige Mühe auf sich nehmen, nur um uns hinterher zu retten? Wir waren doch praktisch schon so gut wie tot.«

»Du hast mich falsch verstanden«, entgegnete Mark langsam. »Die Sache ist nur dann unlogisch, wenn für den Absturz und unsere Rettung die gleiche Person verantwortlich ist. Es kann durchaus sein, daß Melissa den Sturz verursacht hat, aber etwas anderes die Wolken auseinandergetrieben hat.«

Plötzlich begriff Vivian. »Du meinst, ich wäre es gewesen?« Sie runzelte die Stirn. »Ich kann meine Kräfte auf keinen Fall so gezielt einsetzen, außerdem habe ich schon während des Sturzes das Bewußtsein verloren.«

»Ja, genau zum gleichen Zeitpunkt, als die Wolken aufrissen. Und was deine Kräfte betrifft ... denk bloß daran, wie du Conelly getötet und dabei das Tor in die Spiegelwelt aufgerissen hast.«

»Das war ich nicht, das ...« Verwirrt brach Vivian ab und biß sich auf die Lippe. Sie hatte schon einmal versucht, Mark zu erklären, was passiert war, aber sie verstand es selbst noch nicht. In äußerster Todesangst hatte sie die Kontrolle über sich verloren, und diesmal ... »Ich weiß es nicht«, schloß sie. »Aber wenn das ein Angriff Melissas war, ist es um so dringender, daß wir schnell nach Hillwood Manor kommen. Jetzt jedoch kümmern wir uns erst einmal um dich. Du mußt zu einem Arzt. Auch, wenn es wirklich nur ein paar Kratzer sind«, sagte sie schnell, ehe Mark etwas erwidern konnte. »Hast du eine Ahnung, wo wir ungefähr sind?«

Mark zuckte mit den Schultern. »Vielleicht siebzig, achtzig Meilen nördlich von London. Aber dahinten kommen Leute - fragen wir sie.« Er wies mit einer Kopfbewegung zum Waldrand.

Vivian drehte sich ebenfalls um. Die Bäume hörten zwanzig, dreißig Schritte hinter ihnen wie abgeschnitten auf und wurden von einem weiten, frisch gepflügten Acker abgelöst. Ein halbes Dutzend kleiner, aufgeregt gestikulierender Gestalten kam über das Feld auf die Unfallstelle zugelaufen, und hinunter ihnen wurde ein roter, auf und ab hüpfender Punkt sichtbar, der sich nach einigen Augenblicken als Traktor entpuppte.

Vivian wartete ungeduldig, bis die ersten Helfer näher gekommen waren. Es waren drei junge, kräftig gebaute Burschen, ein etwa fünfzigjähriger Mann im blauen Overall und eine etwa gleichaltrige Frau.

»Wir ... wir haben den Absturz beobachtet«, sagte einer der Jungen schweratmend. »Mein Gott, ging das schnell. Sie ... Sie sind runtergekommen wie ein Stein, und es ist Ihnen wirklich nichts passiert?« Er sah Vivian und Mark abwechselnd an und schüttelte den Kopf, als könne er es einfach nicht fassen, die Insassen des zertrümmerten Wracks munter und einigermaßen wohlbehalten vor sich zu sehen.