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Er entdeckte die Höhlen, als er noch sehr klein war, kaum alt genug, um allein herumzustrolchen. Ein halbes Dutzend Jungen waren dabei, als er den Eingang entdeckte, aber er war als einziger mutig genug, sich hineinzutrauen. An jenem Tag ging er nur ein kleines Stück weit, mehr als nur ein bißchen eingeschüchtert; es erschien ihm eine sehr reale Möglichkeit, daß die Stollen bis in die Mitte der Erde führten. Doch es war auch der Reiz dieser Möglichkeit, der ihn schließlich zurücklockte, und nach kurzer Zeit wagte er sich tiefer hinein. Er verheimlichte seinen Eltern seine Unternehmungen wie alle Jungen; es gab schon so genug Verbote und Einschränkungen in jenen Tagen. Er spielte, er sei ein Forscher, der ganze Welten entdeckte, die jenen, die er zurückgelassen hatte, völlig unbekannt waren. Seine Phantasie kannte keine Grenzen, wenn er in der Höhle war; er konnte irgendwer oder irgend etwas sein. Oft ging er allein hinein, weil er die Freiheit genoß, wenn die anderen Jungen nicht dabeiwaren und seinen Rollenspielen Grenzen setzten. Allein schon ihre bloße Anwesenheit schränkte seinen Spielraum in einer Weise ein, die er nicht immer zu akzeptieren bereit war.

Es war genau ein Jahr nach seiner wundervollen Entdeckung, daß er allein in der Höhle war und sich verirrte. Er spielte wie immer, achtete nicht auf seinen Weg, und plötzlich wußte er nicht mehr, wo er war. Der Tunnel, dem er folgte, war ihm nicht vertraut; die Höhlen, auf die er stieß, sahen fremd aus; die Atmosphäre wurde plötzlich feindselig und kalt. Es kostete ihn geraume Zeit, bis er sich eingestand, daß er sich tatsächlich verirrt hatte und nicht einfach nur verwirrt war, und dann blieb er einfach stehen und wartete. Er hatte zunächst keine Ahnung, worauf er wartete, aber nach einiger Zeit wurde es klar. Er wartete darauf, verschlungen zu werden. Die Höhlen waren lebendig geworden, ein schlafendes Tier, das schließlich aufgewacht war, um dem Jungen ein Ende zu bereiten, der sich anmaßte, mit ihm herumzuspielen. Morgan sollte sich sein ganzes Leben lang daran erinnern, wie ihm in diesem Augenblick zumute war. Er würde sich an die Verzweiflung erinnern, als die Höhlen plötzlich von unbelebtem Fels zu einem lebenden, atmenden, sehenden Wesen wurden, das ihn rundum schlangenähnlich umfing und abwartete, wohin er zu flüchten versuchen würde. Morgan floh nicht. Er wappnete sich gegen die Bestie, gegen die Art und Weise, wie sie sich über ihn beugte. Er zog das Messer, das er bei sich trug, hielt es vor sich hin, entschlossen, seine Haut teuer zu verkaufen. Langsam und ohne daß es ihm bewußt wurde, wurde er wieder zu der Gestalt, die zu sein er vorher viele Stunden lang gespielt hatte. Er wurde jemand anderes. Irgendwie rettete ihn das. Das Tier wich zurück. Herausfordernd ging er weiter, und währenddessen schwand die Fremdheit langsam wieder. Er erkannte vertraute Ecken, hier eine Kristallisierung, dort eine Tunnelnische, hier etwas, dort noch etwas, und plötzlich wußte er wieder, wo er sich befand.

Als er aus der Höhle kam, war es Nacht geworden. Er war mehrere Stunden lang in der Höhle herumgeirrt – doch es kam ihm vor, als sei es nur ein Augenblick gewesen. Er ging nach Hause und dachte, daß die Höhlen viele verschiedene Verkleidungen annehmen konnten, aber daß man, wenn man genau genug hinschaute, immer das Gesicht, das sich dahinter verbarg, erkennen konnte.

Damals war er noch ein Junge gewesen. Jetzt war er ein erwachsener Mann, und der Glauben seiner Kindheit war ihm längst entglitten. Er hatte zu viel von der Wirklichkeit gesehen. Er kannte zu viele harte Wahrheiten.

Doch während er die Treppen hinaufstieg, die sich zwischen den Felswänden der Höhlen unter Eldwist nach oben schlängelten, war er erstaunt über die Ähnlichkeit zwischen dem, was er jetzt empfand und dem, was er damals empfunden hatte. Beide Male steckte er in einem steinernen Irrgarten, aus dem das Entkommen ungewiß war. Und dann das Gefühl, daß Leben – Uhl Belk – in dem Gestein wohnte und in der Stille pulsierte. Und das Gefühl, von einem Tier beobachtet zu werden, das erwacht war und abwartete, in welche Richtung er zu fliehen versuchen würde. Das Gewicht dieses Wesens erdrückte ihn, ein Ding von solchen Dimensionen, daß es nicht mit bekannten Maßstäben gemessen werden konnte. Eine Halbinsel, eine Stadt, und dahinter eine ganze Welt – das war Eldwist, und Eldwist war Uhl Belk. Morgan Leah suchte vergeblich nach der Verkleidung, die ihn als Junge an der Nase herumgeführt hatte, nach dem Gesicht, das er damals dahinter verborgen geglaubt hatte. Wenn er es nicht fand, fürchtete er, würde er nie wieder frei sein.

Schweigend stiegen sie die Treppe hinauf, die drei letzten, die von jenen aus Rampling Steep übrig waren, um dem Steinkönig die Stirn zu bieten. Morgan war es so kalt, daß er zitterte, und die Kälte, die er fühlte, war nicht nur die frostige Höhlenluft. Er konnte den Schweiß über seinen Rücken rinnen fühlen, und seine Gedanken rasten voraus. Was würde er tun, wenn die Treppe endete und sie sich in der Kuppel befanden? Sein Schwert ziehen? Das aus gewöhnlichem Metall, das wenigstens heil war? Jenes Ding, das fast unsterblich war, damit angreifen? Seinen zersplitterten Talisman ziehen, eine zerbrochene Klinge? Damit angreifen? Was nur? Was war es, was zu tun von ihm erwartet wurde?

Er beobachtete Quickening, die vor ihm herging, klein und zart vor Walker Bohs silbernem Lichtschein, ein zerbrechliches Etwas aus Fleisch und Blut, das mit einem einzigen Streich von Uhl Belks steinernen Hand wieder in jene Elemente zerschmettert werden konnte, aus denen sie geschaffen worden war. Quickening fort – er versuchte es sich auszumalen. Ängste überfielen ihn erneut wie Pfeile, die ihn schmerzhaft durchbohrten. Warum tat sie das bloß? Warum versuchte sie es überhaupt?

Walker glitt auf den feuchten Steinen aus und stöhnte vor Schmerzen, als er sich das Knie anschlug. Sie warteten, bis er sich wieder aufgerichtet hatte, und Morgan erwartete, daß Uhl Belk sich rührte. Jäger und Gejagte – aber wer war was? Er wünschte, Steff stünde ihm zur Seite. Er sehnte sich nach Par Ohmsford oder Padishar Creel. Er wünschte irgendeinen von ihnen oder sie alle herbei. Aber das war sinnlos. Keiner von ihnen war hier, keiner würde kommen. Er war allein.

Mit dem Mädchen, das er liebte, und die nicht helfen konnte.

Und mit Walker Boh.

Ein Hoffnungsfunken flammte unerwartet in dem Hochländer auf. Walker Boh. Er starrte auf dessen verhüllte Gestalt, die sie anführte, einarmig und aus der Halle der Könige entkommen, aus der Asche von Hearthstone auferstanden. Eine Katze mit vielen Leben, dachte er. Der Dunkle Onkel von früher, vielleicht nicht mehr die unbesiegbare Gestalt der Legenden, aber ein Wunder trotzdem, fähig, den Druiden, den Geistern und den Schattenwesen die Stirn zu bieten und weiterzuleben. Nach Eldwist gekommen, um ein von Allanons Schatten vorausgesagtes Schicksal zu erfüllen oder zu sterben – das war es, was Walker Boh zu tun gewählt hatte. Walker, der bis jetzt alles überlebt hatte, ermahnte Morgan sich selbst, war nicht ein Mann, der so ohne weiteres getötet wurde.

Es war also vielleicht nicht vorgesehen, daß der Dunkle Onkel diesmal getötet würde. Und vielleicht – sehr vielleicht – färbte ein wenig von dieser Unsterblichkeit auch auf ihn ab.

Vorne wurde Walker langsamer. Er schnippte mit den Fingern, und das silbrige Licht erlosch. Schweigend standen sie im Dunkel und warteten, lauschten. Die Dunkelheit büßte an Undurchdringlichkeit ein, als ihre Augen sich gewöhnten, und ihre Umgebung nahm langsam Gestalt an – Stufen, Decke und Boden und dahinter eine Öffnung.

Sie hatten das Ende ihrer Kletterpartie erreicht.

Dennoch ließ Walker sie reglos warten, wo sie waren. Gerade als Morgan glaubte, er hielte es nicht länger aus, machten sie sich wieder auf, langsam und vorsichtig bewegten sie sich Schritt für Schritt schattengleich durch die Finsternis. Sie gelangten an einen Korridor und folgten ihm unsichtbar und leise, abgesehen von ihren Gedanken, die, so kam es Morgan vor, nackt und schreiend und von grellem Licht beschienen dahingen.

Am Ende des Korridors blieben sie wieder stehen, noch immer in seinem schützenden Schatten. Morgan trat einen Schritt vor und riskierte einen ängstlichen Blick.