– Du –
Uhl Belk vergaß Walker Boh. Er vergaß die Magie des Dunklen Onkels. Er vergaß alles außer dem flammenden Mädchen. Mit grausigem Knirschen seiner Gelenke strampelte er, um sie zu erreichen, stemmte sich gegen den steinernen Boden, an dem er festgeschweißt war, griff vergeblich nach ihr und hob dann in seiner Verzweiflung die Hand mit dem schwarzen Elfenstein gegen sie. Seine Stimme wuchs von einem grausigen Stöhnen zu wildem Gebrüll. Die Erde erbebte unter der Wucht seiner Not.
Da endlich handelte Morgan, verzweifelt, ja, ohne jede Hoffnung. Er sprang auf die Füße, und den Blick starr auf Quickening und das Monster, das sie zu zerstören suchte, gerichtet, griff er an. Er ging ohne Gedanken, ohne Vernunft, getrieben von der Notwendigkeit und gepanzert mit einer Entschlossenheit, die er sich niemals zugetraut hätte. Er stürmte in den Tumult aus Staub und Geröll, sprang über Spalten und Löcher, als würde er von den Herbststürmen seiner Heimat getragen. Seine Hand griff an die Taille und zog die zersplitterte Klinge seiner Vorfahren, das zerbrochene Schwert von Leah.
Es war ihm nicht bewußt, doch das Schwert leuchtete weiß mit Magie.
Er stieß den Kampfschrei seiner Heimat aus: »Leah! Leah!«
Er erreichte den Steinkönig in dem Moment, als dieser seine Anwesenheit bemerkte und seine harten, leeren Augen zu ihm wandte. Er sprang mit einem Satz auf das gigantische Knie und rammte die zersplitterte Klinge des Schwertes von Leah tief in den steinernen Arm, der den schwarzen Elfenstein hielt.
Uhl Belk schrie auf, nicht vor Überraschung oder Wut diesmal, sondern vor entsetzlichen Schmerzen. Weißes Feuer zischte aus der zerstörten Klinge in den Körper des Steinkönigs, Flammenbündel, die tief eindrangen und brannten. Morgan stach wieder zu und wieder. Die steinernen Hände zitterten, und das getroffene Monster erschauderte.
Der schwarze Elfenstein entglitt seinen Fingern.
Augenblicklich riß Morgan sein Schwert aus dem Stein und kletterte nach unten, um ihn aufzuheben. Doch der verwundete Arm des Steinkönigs versperrte ihm den Weg, schwenkte herum und traf ihn wie ein Hammer. Morgan duckte sich, um dem Schlag auszuweichen, doch er traf ihn dennoch. Mit Armen und Beinen strampelnd wurde er rücklings fortgeschleudert. Mit Mühe gelang es ihm, seine Waffe festzuhalten. Er erhaschte einen Blick auf Quickening, ein seltsam klares Bild. Ihr Gesicht strahlte, obgleich das Feuer ihrer Magie verblaßt war. Er sah eine dunkle Bewegung, als Walker Boh aus den Schatten neben ihr auftauchte. Dann traf er gegen die Mauer. Die Wucht des Aufpralls preßte ihm die Luft aus den Lungen und erschütterte seine Gelenke, so daß er dachte, er hätte sich sämtliche Knochen gebrochen. Dennoch weigerte er sich, sich geschlagen zu geben. Er rappelte sich wieder auf, benommen und angeschlagen, aber entschlossen, nicht aufzugeben.
Aber es gab nichts mehr zu tun. Der Kampf war zu Ende. Walker Boh hatte den Elfenstein in seinem Besitz. Er stand vor dem Steinkönig und hob drohend die Hand, die den Druidentalisman fest umklammerte. Quickening stand neben ihm, wieder sie selbst, die Magie, die sie angerufen hatte, war wieder verklungen. Als Morgan langsam wieder klar sah und sein Gleichgewicht wiederfand, hatte er noch immer das Bild von ihr, wie sie lichterloh zu brennen schien, im Sinn. Entgegen ihrem Schwur hatte sie die Magie benutzt, hatte sich Uhl Belk zu erkennen gegeben und alles riskiert, um ihnen das Leben zu retten.
Fragen wisperten in ihm, heimtückische Schurken.
Hatte sie gewußt, daß er kommen würde, um sie zu retten?
Hatte sie gewußt, was sein Schwert tun würde?
Im Inneren der Kuppel machte sich mit dem Verklingen der Magie die Dämmerung wieder breit und hüllte Uhl Belks gigantische Gestalt in Schatten. Der Steinkönig saß zusammengesunken in einer wirbelnden Staubwolke, als sei er von der Hitze seiner Anstrengung, sich zu verteidigen, geschmolzen, noch immer untrennbar mit dem Stein von Eldwist verwachsen, was ihm seine Niederlage beschert hatte. Trotz aller seiner Versuche, sich zu befreien, hatte er nicht aufstehen und loskommen können. Indem er sich als wesentliche Substanz mit seinem Königreich verschmolzen hatte, hatte er sich weitgehend unbeweglich gemacht. Sein Gesicht war zur Unkenntlichkeit verzerrt, und in seiner Stimme klangen Grauen und Wahnsinn, als er sprach.
– Gebt mir den Elfenstein zurück –
Die drei aus Rampling Steep starrten zu ihm hinauf, und keiner schien die Worte zu finden, um zu sprechen.
»Nein, Uhl Belk«, sagte Walker Boh schließlich. Die Anstrengung des Kampfes ließ sich in seiner Stimme noch hören. »Der Elfenstein hat dir nie zugestanden. Du wirst ihn nicht zurückbekommen.«
– Dann werde ich ihn euch wegnehmen –
»Du kannst dich von dort, wo du bist, nicht fortbewegen. Du hast diesen Kampf verloren, und damit den Elfenstein. Denke nicht daran, zu versuchen, ihn zurückzustehlen.«
– Er gehört mir –
Der Dunkle Onkel gab nicht nach. »Er gehört den Druiden.« Eine Staubwolke sprühte aus dem verwüsteten Gesicht, als die Kreatur einen zischenden Seufzer der Verzweiflung ausstieß.
– Es gibt keine Druiden –
Die Drohung verklang mit knirschendem Echo. Walker Boh antwortete nicht. Sein Gesicht war von Gefühlen gezeichnet, die ihn von innen her zu zerreißen schienen. Der Steinkönig hob mit dramatischer Geste seinen Arm.
– Gib mir den schwarzen Elfenstein zurück, Sterblicher, oder ich befehle Eldwist, dir dein Leben auszuquetschen; gib den Talisman augenblicklich her, oder du wirst vernichtet –
»Wenn du mich oder meine Gefährten angreifst«, sagte Walker Boh, »dann werde ich die Magie des Elfensteins gegen diese Stadt wenden! Ich werde so viel Kraft anrufen, um die steinerne Hülle, die sie erhält, zu zerschmettern und sie und dich in Staub zu verwandeln! Unterlaß deine Drohungen, Uhl Belk! Du hast die Macht nicht länger!«
Dann folgte tiefe Stille. Der Steinkönig ballte seine Hand zur Faust, und es knirschte.
– Du kannst mir keine Befehle erteilen, Sterblicher, niemand kann das –
Walker antwortete sofort. »Laß uns gehen, Uhl Belk. Den schwarzen Elfenstein hast du verloren.«
Die Statue reckte sich stöhnend auf, und seine Stimme war erstickt vom Weinen.
– Er wird mich angreifen; der Malmschlund wird kommen; mein Sohn, das Monster, das ich erschaffen habe, wird kommen, und ich werde gezwungen sein, ihn zu vernichten; nur der schwarze Elfenstein hielt ihn in Schach; er wird mich alt und müde und zu schwach glauben, um mich gegen seine Gier zu verteidigen; er wird kommen und versuchen, mich zu verschlingen –
Seine harten, leblosen Augen waren auf Quickening gerichtet.
– Kind des Königs vom Silberfluß, Tochter dessen, der einst mein Bruder war, bedenke, was du tust; du drohst, mich für immer zu schwächen, wenn du mir den Stein nimmst; das Leben des Malmschlunds liegt mir nicht weniger am Herzen als deines deinem Vater; ohne ihn kann sich mein Land nicht ausweiten, kann meine Aufgabe nicht erfüllt werden; wer bist du, daß du so eilig nimmst, was mein ist; bist du wirklich blind für all das, was ich geschaffen habe; in dem Stein meines Landes ist eine unwandelbare Schönheit, die die Gärten deines Vaters nie erreichen werden; Welten mögen kommen und gehen, doch Eldwist wird bestehen; es wäre besser, wenn alle Welten so wären; dein Vater glaubt sich im Recht, wenn er tut, was er tut, doch seine Sicht der Dinge ist nicht klarer als die meine; es ist mir nicht gegeben, die Dinge anders zu sehen, als das Wort mir aufgetragen hat –
»Du zerstörst, was du berührst, Uhl Belk«, flüsterte das Mädchen.
– Und du nicht; dein Vater nicht; alle jene, die nach der Natur leben, nicht; kannst du behaupten, es sei anders –
Quickenings zarte Gestalt trat einen Schritt näher auf den Riesen zu, und das Licht, das zuvor von ihr ausgestrahlt war, flammte wieder auf.
»Es ist etwas anderes, das Leben zu hegen und zu pflegen oder es umzuwandeln«, sagte sie. »Deine Aufgabe war es, zu hegen, als man dir den Auftrag erteilte. Du hast vergessen, wie man das macht.«