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Das Getöse unter der Stadt schwoll an und wurde dann wieder ein wenig schwächer, eine Warnung vor der langsamen, unausweichlichen Lawine, die auf sie zurollte.

»Zeit für was?« brachte Pe Ell zögernd heraus, unfähig, sich von ihrem Blick abzuwenden.

Sie gab keine Antwort. Statt dessen schaute sie an ihm vorbei, ihre schwarzen Augen suchten etwas. Er drehte sich um und folgte ihrem Blick. Walker Bohs dunkle Gestalt löste sich aus dem staubig düsteren, grauen Dunst.

Im Gegensatz zu dem Hochländer hatte er sie gesehen.

Pe Ell riß das Mädchen vor sich, zog den Stiehl, dessen Klinge magisch strahlte, aus dem Versteck. Der einarmige Mann wurde sichtbar langsamer, doch dann näherte er sich wieder.

»Bleib mir vom Leib, Walker Boh«, drohte er. Walker blieb stehen. »Wir kennen einander gut genug, um zu wissen, wozu wir fähig sind. Unnötig, es zu testen. Es ist besser, wir trennen uns jetzt und gehen jeder unserer Wege. Aber gib mir erst den Stein.«

Der große Mann stand reglos da, scheinbar leblos, die Augen starr auf den Mörder und seine Geisel gerichtet. Er schien etwas abzuwägen.

Pe Ell lächelte zynisch. »Sei nicht so töricht zu glauben, du könntest schneller sein als ich.«

»Möglicherweise sind wir beide nicht schnell genug, um diesen Tag zu überleben. Der Malmschlund kommt.«

»Wenn er kommt, bin ich längst weg. Gib mir den schwarzen Elfenstein.«

»Wenn ich das tue, ist dir das dann genug?« fragte der andere ruhig. Er schaute Pe Ell fest in die Augen, als versuche er, darin zu lesen.

Wie das Mädchen, dachte Pe Ell. Zwei von der gleichen Sorte. »Gib ihn her«, kommandierte er, ohne auf die Frage einzugehen.

»Gib Quickening frei.«

Pe Ell schüttelte den Kopf. »Wenn ich in Sicherheit bin. Dann verspreche ich, sie freizulassen.« Frei für immer.

Sie starrten einander eine Weile hart und unerbittlich an, ungesagte Versprechen und finstere Visionen grausiger Möglichkeiten standen darin. Dann langte Walker Boh in seine Tasche und holte den Stein hervor. Er hielt ihn auf der Handfläche vor sich, dunkel und glänzend. Ein Anflug von Lächeln spielte um Pe Ells Mundwinkel. Der Elfenstein war schwarz wie die Nacht, undurchsichtig und ohne Tiefe und absolut makellos. Er hatte dergleichen noch nie gesehen. Fast spürte er, wie die Magie darin pulsierte.

»Gib ihn her«, wiederholte er.

Walker Boh faßte sich an den Gürtel und holte einen Lederbeutel hervor, der mit leuchtendblauen Runen markiert war. Behutsam manövrierte er mit seiner einzigen Hand den Stein in den Beutel und zog die Verschlußschnüre stramm. Dann schaute er Pe Ell an. »Du darfst den schwarzen Elfenstein nicht benutzen, Pe Ell«, sagte er. »Wenn du es versuchst, wird seine Magie dich zerstören.«

»Das Leben ist voller Gefahren«, erwiderte Pe Ell. Staub wirbelte durch die Luft um sie herum, getragen von einer leichten Meeresbrise. Der Stein der Stadt schimmerte, erschüttert von fernem Rumpeln und eingehüllt in Nebel und Wolken. »Wirf ihn her«, befahl er. »Vorsichtig.«

Mit dem Arm, dessen Hand den Stiehl umklammerte, hielt er Quickening fest. Das Mädchen rührte sich nicht. Sie wartete untätig, den schlanken Leib gegen ihn gepreßt und so passiv, als schlafe sie. Walker hatte den Beutel mit dem schwarzen Elfenstein in der Hand und warf ihn Pe Ell gut gezielt zu. Pe Ell fing ihn auf, schob ihn sich in den Gürtel und sicherte ihn mit den Schnüren an seiner Gürtelschnalle.

»Die Magie steht jenen zu, die keine Angst haben, sie zu benutzen«, erklärte er lächelnd und wich dabei vorsichtig zurück. »Und jenen, die sie in ihrem Besitz zu halten verstehen.«

Walker Boh stand reglos wie ein Fels auf der bebenden Erde inmitten der wirbelnden Staubwolken. »Hüte dich, Pe Ell. Du riskierst alles.«

»Folge mir nicht, Walker Boh«, warnte Pe Ell düster. »Es ist besser für dich, wenn du hier bleibst und dich mit dem Malmschlund abgibst.«

Pe Ell hielt Quickening fest im Arm und entfernte sich über den Gehsteig, bis der andere durch Dunst und Nebel nicht mehr zu erkennen war.

Walker Boh blieb unbewegt stehen und starrte hinter Pe Ell und Quickening her. Er fragte sich, warum er den schwarzen Elfenstein so ohne weiteres hergegeben hatte. Er hatte beschlossen, es nicht zu tun und sich darauf vorbereitet, Pe Ell anzugreifen, dem Mädchen zu Hilfe zu kommen – bis er ihr in die Augen schaute und dort etwas sah, das ihn zurückhielt. Auch jetzt war er nicht sicher, was er dort eigentlich gesehen hatte. Entschlossenheit, Resignation, eine persönliche Einsicht, die seine eigene überstieg – etwas. Was immer es war, es hatte ihn so erfolgreich umgestimmt, als habe sie Magie benutzt.

Er senkte den Kopf, und seine dunklen Augen verengten sich.

Hatte sie, fragte er sich, ihre Magie benutzt?

Er stand gedankenverloren da. Regentropfen befeuchteten sein Gesicht. Es hatte wieder zu nieseln begonnen. Er schaute auf, als er sich erinnerte, wo er war, und was er zu tun hatte, und er hörte wieder das Gedonner des Malmschlunds unter der Stadt, fühlte die Erschütterung seines Herannahens.

Coglines Stimme war ein Wispern in seinen Ohren. Sie ermahnte ihn freundlich, zu erkennen, wer er war. Bisher hatte er es immer in Frage gestellt. Jetzt glaubte er es zu wissen.

Er rief seine Magie an, fühlte, wie sie mühelos in ihm aufstieg, erstarkt seit dem Kampf mit dem Steinkönig, als habe ihn diese Konfrontation von Zwängen befreit, mit denen er sich selbst eingeschränkt hatte. Sie sammelte sich im Zentrum seines Seins, wirbelte wie ein gewaltiger Wind. Die Runen auf dem Beutel, in dem der schwarze Elfenstein steckte, würde ihn leiten. Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung seines Kopfes ließ er sie losfliegen, um Pe Ell zu suchen.

Dann folgte er.

Pe Ell rannte. Er zerrte Quickening hinter sich her. Sie folgte, ohne Widerstand zu leisten, lief gehorsam, um mit ihm Schritt zu halten, sagte nichts, fragte nichts, den Blick ruhig in die Ferne gerichtet. Er schaute sie einmal kurz an und drehte sich dann schnell wieder um. Was er in jenen dunklen Augen sah, irritierte ihn. Sie sah etwas, das er nicht sehen konnte, etwas Altes, Unwandelbares, einen Teil ihrer Vergangenheit oder ihrer Zukunft – er war nicht sicher, was von beidem. Sie war ihm noch immer ein Rätsel, das eine Geheimnis, das er nicht hatte lüften können. Aber das würde er jetzt bald tun, schwor er sich. Der Stiehl würde ihm den Schlüssel zu dem geben, was sie verhehlte. Wenn sie ihr Leben aushauchte, würde sie sich entblößen. Dann gab es keine Geheimnisse mehr. Die Magie ließ das nicht zu. Genau wie bei allen anderen, die er getötet hatte, gab es nichts als die Wahrheit.

Er fühlte die ersten Regentropfen auf seinem erhitzten Gesicht.

Er rannte nach rechts in eine Querstraße in eine andere Richtung als die, in die Morgan Leah gelaufen war und der Walker Boh folgen würde. Es gab keinen Grund, ihnen eine Chance zu lassen, ihn zu finden. Er würde schleunigst die Stadt verlassen, die Landenge zu der Treppe überqueren und die Anhöhe mit dem Ausblick erreichen, und dann, wenn er Ruhe und genügend Privatheit hätte, um den Augenblick voll auskosten zu können, würde er sie töten. Vorfreude wallte in ihm auf. Quickening, die Tochter des Königs vom Silberfluß, die allerwunderbarste magische Kreatur, wäre für immer sein.

Aber ein Funken von Zweifel brannte nach wie vor in ihm. Was war es nur, das ihn so störte? Er suchte nach der Antwort und blieb einen Moment stehen, als er sich ihre Worte in Erinnerung rief, daß die Magie von allen dreien – dem Hochländer, Walker Bohs und seiner eigenen – vonnöten sei. Alle drei würden gebraucht, hatte der König vom Silberfluß verkündet. Darum hatte sie sie rekrutiert, hatte sie überredet mitzukommen, und hatte sie trotz allen Mißtrauens und Widerstrebens zusammengehalten. Aber Walker Boh und der Hochländer hatten Uhl Belks Versteck allein gefunden und ihm den schwarzen Elfenstein abgenommen. Er hatte nichts getan – außer daß er den Kratzer vernichtet hatte. War es das, wozu seine Magie gedacht gewesen war? War das der Grund für seine Teilnahme? Irgendwie erschien ihm das nicht plausibel. Irgendwie mußte da noch mehr dahinterstecken.