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Keiner sagte etwas. Das Geständnis des Mörders machte sie sprachlos. Schließlich sagte Morgan Leah langsam und bedächtig: »Sei nicht dumm, Pe Ell. Du kannst uns nicht allen entkommen. Gib sie frei.«

Was dann passierte, war nie ganz klar. Es gab eine Art Explosion von zersplittertem Gestein, als der Malmschlund irgendwo in der Stadt nahe der Kuppel, in der der Steinkönig sich versteckte, aus dem Boden hervorbrach und zwischen den Häusern himmelwärts schoß. Das Monster stieg vor dem diesigen Nebel wie ein aufgedunsener Wurm in die Höhe und schnaufte, als schnappe es nach Luft, als sei ihm der Atem weggeblieben. Pe Ell schrak zusammen, fühlte, wie der Boden so heftig bebte, als würde ganz Eldwist auseinandergerissen.

In dem Augenblick befreite sich Quickening, schlüpfte aus seiner Umklammerung, als sei sie nichts als Luft. Sie wandte sich zu ihm um, rannte nicht davon, sondern blieb direkt vor ihm stehen, und ihre Hände packten den Arm, der den Stiehl umklammerte. Ihre schwarzen Augen fesselten ihn, als sei er in Ketten gelegt. Er konnte sich nicht bewegen; er stand nur wie angewurzelt da. Er sah die Symmetrie ihres Gesichts und ihres Körpers, als nehme er sie zum ersten Mal wahr; er bewunderte ihre Perfektion, ihre Schönheit, die nicht nur an der Oberfläche ihrer wunderbaren Gestalt lag, sondern bis in die tiefsten Tiefen reichte. Er fühlte, wie sie sich auf ihn zu bewegte – oder war er es? Was geschah? Er sah, wie sich ihr Mund voller Überraschung, Schmerz und Erleichterung öffnete.

Da schaute er hinunter und sah, daß der Stiehl bis zum Heft in ihrem Leib steckte, daß die Klinge in ihren Körper gedrungen war. Er konnte sich nicht erinnern, sie erstochen zu haben, aber irgendwie war es geschehen. Verwirrung und Fassungslosigkeit übermannten ihn. Wie war das passiert? Was war mit seinem Plan, sie zu töten, wo und wann er wollte? Was war mit seiner Absicht, den Augenblick ihres Sterbens voll auszukosten? Er schaute hastig in ihre Augen, hoffend, er könne einen Blick auf das erhaschen, was dort gefangen war und jetzt freigesetzt würde, begierig, ihre Magie einzufangen. Er schaute, und was er sah, erfüllte ihn mit Grauen.

Pe Ell schrie. Und als wolle er verbergen, was er entdeckt hatte, stach er wieder und wieder zu, jedesmal mit dem vergeblichen, wahnsinnigen Versuch zu leugnen, was er sah. Quickenings Körper zuckte jedesmal, doch ihr Blick blieb fest, und die Visionen, die aus ihren Augen strahlten, blieben unverändert.

Pe Ell verstand schließlich, und mit dem Verstehen kam das Entsetzen, gegen das er sich nicht wehren konnte. Seine Gedanken brachen zusammen und stürzten in einen Sumpf der Verzweiflung. Er riß sich von dem Mädchen los und sah zu, wie sie langsam zu Boden sank, ohne daß ihre Augen ihn losließen. Er war sich bewußt, daß Morgan wütend brüllte, daß Walker Boh herbeigerannt kam und daß Horner Dees von hinten auf ihn zuraste. Sie waren unwichtig. Nur das Mädchen zählte. Er wich zurück, zitterte unter einer Kälte, die ihn an Ort und Stelle festzufrieren drohte. Alles, was er erhofft hatte, war ihm genommen worden. Alles, was er sich ersehnt hatte, war verloren.

Was habe ich getan? Er wirbelte herum und begann zu rennen. Die eisige Kälte wurde plötzlich zu Feuer, aber die Worte summten in seinem Kopf herum, ein Hornissennest mit spitzen, gierigen Stacheln.

Was habe ich getan?

Er schoß mit einer Geschwindigkeit, die aus Angst und Verzweiflung geboren war, an Horner Dees vorbei, und er war so schnell an ihm vorbei, daß der alte Fährtensucher keine Gelegenheit hatte, ihn abzufangen. Die steinerne Straße bebte und wackelte und war glitschig vom Regen, doch nichts konnte seine Flucht mehr bremsen. Diesiggraues Dämmerlicht umfing ihn wie ein freudloser Umhang, und er schrumpfte zu einer winzigen Gestalt zwischen den alten Häusern der Stadt zusammen, ein Fünkchen Leben, gefangen in einem Netz von Magie, weit älter und weit grausamer als seine eigene. Er sah Quickenings Gesicht vor sich. Er fühlte ihren Blick, als der Stiehl in ihren Körper drang. Er hörte ihren Seufzer der Erleichterung.

Pe Ell flüchtete aus Eldwist wie ein Besessener.

31

Morgan Leah war als erster bei Quickening. Er riß sich mit einer Kraft los, die den Einarmigen überraschte, rannte über den Platz, als sie auf den Stein stürzte, und fing sie auf, noch ehe sie am Boden war. Kniend hielt er sie im Arm, drückte ihr aschfahles Gesicht an seine Brust und flüsterte wieder und wieder ihren Namen.

Walker Boh und Horner Dees eilten aus entgegengesetzten Richtungen herbei, beugten sich einen Moment über sie und tauschten dann einen ernüchternden Blick. Die ganze Vorderseite von Quickenings Hemd war mit ihrem Blut durchtränkt.

Walker kniff die Augen zusammen und spähte durch den Dunst in die Richtung, in die Pe Ell verschwunden war. Der Mörder war schon nicht mehr zu sehen. Er floh durch das Labyrinth aus Häusern und Straßen zurück zu der Landenge und den Klippen dahinter. Walker dachte an den Ausdruck, den er in seinem Blick gesehen hatte – Entsetzen, Ungläubigkeit und Wut. Quickening zu töten hatte ihm eindeutig nicht das gegeben, was er erwartet hatte.

»Walker!«

Morgans Stimme war ein verzweifeltes Flehen. Walker schaute ihn an. »Hilf ihr, Walker. Sie stirbt!«

Walker schaute auf das Blut in ihren Kleidern, auf den gebrochenen, zusammengesunkenen Körper, auf das schöne Gesicht, über das sich ihr Silberhaar wie ein Schleier gebreitet hatte. Sie stirbt. Er flüsterte die Worte tonlos im Geiste, wunderte sich erst, daß so etwas möglich war, und dann, daß er nicht schon viel früher die Unvermeidlichkeit erkannt hatte. Er starrte auf das Mädchen, so hilflos und unglücklich wie der Hochländer, doch gleichzeitig begann ihm ein Schimmer von Verstehen zu dämmern, warum es geschah.

»Walker, tu etwas!« wiederholte Morgan drängend, verzweifelt.

»Hochländer«, sagte Horner Dees und legte ihm freundlich die Hand auf die Schulter. »Was soll er denn tun?«

»Was wohl! Seine Magie benutzen! Ihr die gleiche Chance geben, die sie ihm gegeben hat!«

Walker kniete sich neben ihn. »Ich kann es nicht, Morgan«, sagte er leise und ruhig. »Ich habe die Magie nicht, die sie braucht.« Er befühlte ihren Hals und suchte nach dem Puls. Er fand ihn, schwach und unregelmäßig. Er sah sie atmen. »Sie muß tun, was sie kann, um sich selber zu retten.«

Morgan warf ihm einen kurzen Blick zu, dann begann er wieder, auf Quickening einzureden, drängte sie, aufzuwachen und zu ihm zu sprechen. Seine Worte waren verzweifelt, hastig und dringlich. Das Mädchen regte sich schwach.

Walker sah Horner Dees an. Der alte Mann schüttelte langsam den Kopf.

Da schlug Quickening die Augen auf. Sie waren klar und erschreckt und voller Schmerz. »Morgan«, flüsterte sie. »Nimm mich auf den Arm. Trag mich aus der Stadt.«

Morgan hielt es zwar nicht für klug, doch er widersprach nicht. Er hob sie ohne Anstrengung auf und trug sie, als wäre sie schwerelos. Er hielt sie nah an sich gedrückt, gab ihr seine Wärme und flüsterte beim Gehen ohne Unterlaß auf sie ein. Walker und Dees folgten schweigend. Sie überquerten den Platz und folgten der Straße, über die Pe Ell geflüchtet war. »Halte dich auf den Gehsteigen«, warnte Walker, und Morgan folgte seinem Rat.

Sie waren erst ein kurzes Stück gegangen, als die Erde wieder zu beben begann. Ganz Eldwist wurde geschüttelt, die Häuser krachten und bildeten Risse, und Steinsplitter und Staub prasselten hernieder. Walker warf einen Blick über die Schulter zum Stadtzentrum zurück. Der Malmschlund bewegte sich wieder. Was immer seine Begegnung mit Uhl Belk ergeben hatte, er hatte eindeutig eine neue Strategie beschlossen. Vielleicht hatte er seinem Vater ein Ende bereitet. Vielleicht hatte er einfach beschlossen, daß der schwarze Elfenstein wichtiger war. Wie auch immer, er kam direkt in ihre Richtung. Statt seine unterirdischen Tunnel zu benutzen, raste er durch die Straßen von Eldwist. Mauern barsten und stürzten ein. Das Gift seines Körpers spritzte wild herum. Die Luft um ihn herum dampfte und schimmerte.