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»Schaut euch doch mal seine Augen an«, sagte Horner Dees. »Seht mal, wieviel Angst darin steht. Er starb nicht als glücklicher Mann, was immer es war, das ihn getötet hat. Er starb voller Angst.«

»Es muß der Koden gewesen sein«, beharrte Morgan Leah. Er hielt sich von der Leiche fern, wollte sich ihr nicht nähern.

Dees musterte ihn kritisch: »Meinst du? Wie denn? Was hat er gemacht? Ihn zu Tode umarmt? Muß ziemlich schnell gegangen sein, wenn es das war. Sein komisches Messer steckt noch immer in der Scheide. Schau dir’s an, Hochländer. Was siehst du?«

Morgan kam widerwillig näher. »Nichts«, gab er zu.

»Wie ich gesagt habe«, schnaufte Dees. »Soll ich ihn umdrehen, damit du die andere Seite sehen kannst?«

Morgan schüttelte den Kopf. »Nein.« Er betrachtete Pe Ells Gesicht eine Weile, ohne etwas zu sagen. »Es spielt keine Rolle.« Dann schaute er auf und suchte Walkers Blick. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ist das nicht seltsam? Ich wünschte ihn tot, aber ich wollte derjenige sein, der ihn tötete. Ich weiß, es ist egal, wer ihn umgebracht hat oder wie es geschehen ist, aber irgendwie fühle ich mich betrogen. Als wäre mir die Chance gestohlen worden, die Dinge auszugleichen.«

»Ich glaube nicht, daß es so ist, Morgan«, erwiderte der Dunkle Onkel leise. »Ich glaube, diese Chance war dir nie zugedacht.«

Der Hochländer und der alte Fährtensucher schauten ihn überrascht an. »Was willst du damit sagen?« knurrte Dees.

Walker zuckte mit den Achseln. »Wäre ich der König vom Silberfluß und gezwungen, das Leben meines Kindes der Klinge eines Meuchelmörders zu opfern, dann würde ich dafür sorgen, daß der Mörder nicht mit heiler Haut davonkommt.« Er schaute von einem zum anderen. »Vielleicht sollte die Magie, die Quickening in ihrem Körper trug, mehr als nur einer Sache dienen. Vielleicht tat sie das.«

Es entstand ein langes Schweigen, während die drei diese Möglichkeit erwogen. »Das Blut an seinen Händen vielleicht?« sagte Horner Dees nach einiger Zeit. »Als wäre es Gift?« Er schüttelte den Kopf. »Erscheint ebenso wahrscheinlich wie irgendwas anderes.«

Walker Boh bückte sich und befreite den Beutel mit dem schwarzen Elfenstein vorsichtig aus Pe Ells starren Fingern. Er wischte ihn sauber, hielt ihn einen Moment auf der Handfläche und dachte bei sich, welche Ironie des Schicksals es war, daß der Elfenstein dem Mörder nichts genützt hatte. So viel Mühe, um in den Besitz seiner Magie zu gelangen, und alles umsonst. Quickening hatte es gewußt. Der König vom Silberfluß hatte es gewußt. Wenn Pe Ell es auch gewußt hätte, hätte er das Mädchen auf der Stelle getötet und damit der Sache ein für alle Male ein Ende gesetzt. Oder wäre er dennoch geblieben, so gefangen von ihr, daß er selbst dann nicht hätte entkommen können? Walker Boh war sich nicht sicher.

»Und was ist hiermit?« Horner Dees löste den Stiehl von Pe Ells Hüfte. »Was machen wir hiermit?«

»In den Ozean werfen«, gab Morgan sofort zurück. »Oder in das tiefste Loch, das du finden kannst.«

Walker kam es vor, als höre er jemand anderen sprechen, als ob die Worte ihm in unangenehmer Weise nicht unbekannt seien. Dann merkte er, daß er an sich selbst dachte und sich an das erinnerte, was er gesagt hatte, als Cogline ihm die Druidengeschichte aus Paranor gebracht hatte. Andere Zeiten, andere Magie, dachte er, aber die Gefahren blieben immer die gleichen.

»Morgan«, sagte er, und der junge Mann drehte sich zu ihm um. »Wenn wir es fortwerfen, riskieren wir, daß es wiedergefunden wird – vielleicht von jemandem, der so verderbt und übel ist wie Pe Ell. Vielleicht von jemandem, der noch schlimmer ist. Die Waffe muß irgendwo eingeschlossen werden, wo niemand sie mehr erreichen kann.« Er wandte sich an Horner Dees. »Wenn du sie mir überlassen willst, dann werde ich dafür sorgen, daß das geschieht.«

Ohne sich zu rühren, standen sie eine Weile da, drei erschöpfte, zerlumpte Gestalten in einem Gelände zerborstenen Gesteins und frischen Grüns, und maßen einander ab. Dees warf einmal einen Blick auf Morgan, dann reichte er Walker das Messer. »Ich nehme an, wir können uns darauf verlassen, daß du dein Wort so gut hältst wie sonst irgendwer«, meinte er.

Walker verstaute den Stiehl und den Elfenstein in den tiefen Taschen seines Umhangs und hoffte, daß es so sei.

Für den Rest des Tages wanderten sie nach Süden und verbrachten ihre erste Nacht fern von Eldwist auf einer kargen, mit Gestrüpp bewachsenen Ebene. Einen Tag zuvor war die Ebene noch ein Teil von Uhl Belks Königreich gewesen, infiziert vom Gift des Malmschlunds, ein zerklüfteter steinerner Teppich. Selbst mit nichts als dem Gestrüpp zu ihrem Schmuck, wirkte die Ebene wohltuend üppig nach der Leblosigkeit der Stadt. Es gab nach wie vor nicht viel zu essen, ein paar Wurzeln und Wildgemüse, doch es gab wieder frisches Wasser, der Himmel war voller Sterne und die Luft sauber und frisch. Sie entfachten ein Feuer und saßen bis spät in die Nacht davor, sprachen leise über ihre Empfindungen und verbrachten lange Zeit schweigend mit ihren Erinnerungen an das Geschehene.

Als der Morgen anbrach, erwachten sie mit der Sonne im Gesicht, ganz einfach dankbar, noch am Leben zu sein.

Sie zogen wieder durch die hohen Wälder auf das Charnalgebirge zu.

Horner Dees führte sie einen anderen Weg diesmal, östlich an den Stacheln vorbei und sorgfältig das Gebiet von Carismans Stamm der Urdas meidend. Das Wetter blieb mild, selbst im Gebirge, und weder Stürme noch Lawinen verursachten ihnen weitere Probleme. Nahrung war wieder in Hülle und Fülle zu finden, und sie kamen langsam wieder zu Kräften. Auch ein Wohlgefühl stellte sich langsam wieder ein, und die grausamsten der Erinnerungen verblaßten ein wenig.

Morgan Leah sprach häufig von Quickening. Es schien ihm gut zu tun, von ihr zu reden, und sowohl Walker als auch Horner Dees ermutigten ihn dazu. Manchmal redete der Hochländer, als wäre sie noch am Leben, berührte dabei das Schwert von Leah und gestikulierte zurück zu dem Land, das sie hinter sich ließen. Sie war dort, behauptete er beharrlich, und es war besser, daß sie dort war, als ganz und gar verschwunden. Manchmal konnte er ihre Gegenwart fühlen, dessen war er sicher. Er lächelte und scherzte und kam langsam wieder zu sich.

Horner Dees wurde fast ebensoschnell wieder der alte; der geplagte Ausdruck verschwand aus seinem Blick, die Anspannung seines Gesichts löste sich, die Schroffheit seiner Stimme verlor ihre Schärfe, und zum ersten Mal seit Wochen tauchte seine Liebe zu den Bergen wieder in seinen Gesprächen auf.

Walker Boh erholte sich langsamer. Er steckte in einem eisernen Panzer fatalistischer Resignation, die seine Gefühle fast gänzlich umschlossen hielt. Er hatte seinen Arm in der Halle der Könige verloren. Er hatte Cogline und Ondit in Hearthstone verloren. Er hatte unzählige Male beinahe sein Leben verloren. Carisman war tot. Quickening hatte recht gehabt. Es gab immer Alternativen. Aber die Wahl wurde manchmal für einen getroffen, ob man es wollte oder nicht. Er mochte vorgehabt haben, sich nicht in die Machenschaften der Druiden verstricken zu lassen und sein Leben von Brin Ohmsford und ihrem Vermächtnis der Magie abzuwenden. Aber die Umstände und das Gewissen machten es einfach unmöglich. Sein Schicksal war mit Fäden gewoben, die Hunderte, ja Tausende von Jahren zurückreichten, und er konnte sich nicht von ihnen befreien, jedenfalls nicht vollständig. Er hatte die Sache immer wieder durchdacht, seit er sich in jener Nacht in Eldwist bereiterklärt hatte, mit Quickening in den Unterschlupf des Steinkönigs zurückzukehren und den schwarzen Elfenstein zu holen. Er wußte in dem Augenblick, daß er, indem er sich dazu bereit erklärte, den Talisman, falls sie Erfolg hätten, in die Vier Länder tragen und versuchen würde, das verschwundene Paranor und die Druiden zurückzubringen – ganz wie Allanon ihm aufgetragen hatte.

Er wußte, ohne die Worte auszusprechen, was das bedeutete.

Triff die Wahl, die du willst, hatte Quickening ihm geraten.

Aber welche Alternativen blieben ihm denn? Er hatte schon vor langer Zeit beschlossen, nach dem schwarzen Elfenstein zu suchen – vielleicht seit dem Moment, als er von seiner Existenz in der Druidengeschichte las; gewiß seit Coglines Tod. Er hatte ebenfalls entschieden, herauszufinden, was seine Magie leisten würde – und das bedeutete, daß er Allanons Behauptung, Paranor und die Druiden könnten zurückgebracht werden, testete. Er konnte sich sagen, daß er die Sache bis zu dem Moment erwogen hätte, als die Stadt Eldwist ihr Ende fand. Aber er wußte, daß die Wahrheit anders war. Er wußte ebensogut, daß Paranor, wenn die Magie des schwarzen Elfensteins alldem entsprach, was versprochen war, wenn sie wirkte, wie er glaubte, wiederhergestellt werden würde. Und wenn das geschah, würden die Druiden in die Vier Länder zurückkommen.