Выбрать главу

Felsbrocken knirschten und dröhnten, als sie sich selbst zurechtrückten und die Form des Hanges umgestalteten. Terrassenmauern schichteten sich aus den Feldsteinen auf. Moos und Efeu füllten die Spalten. Pfade wanden sich von einem Niveau zum nächsten in sanfter Neigung. Bäume erschienen, Wurzeln wurden kleine Schößlinge, die Schößlinge ihrerseits wurden dicker und verzweigten sich, durchlebten Dutzende von Jahreszeiten des Wachstums in wenigen Minuten. Blätter knospten und entfalteten sich, als suchten sie gierig das Sonnenlicht. Gras und Buschwerk breiteten sich über die kahle Erde und verwandelten die verkohlte Oberfläche in üppiges Grün. Und Blumen! Pe Ell schrie auf in der Stille seines Bewußtseins. Überall waren Blumen, sie erblühten in den leuchtendsten Farben, die ihn zu blenden drohten. Blau und rot und gelb und lila – alle Schattierungen und Tönungen des Regenbogenspektrums überzogen den Hang.

Dann verstummte das Dröhnen, und die darauf folgende Stille wurde von Vogelgezwitscher gebrochen. Pe Ell warf einen Blick auf die Menge. Die meisten waren noch immer auf den Knien, mit weit aufgerissenen Augen und staunend verzückten Gesichtern. Viele weinten.

Dann wandte er sich wieder dem Mädchen zu. In wenigen Minuten hatte sie den ganzen Hang umgewandelt. Sie hatte ein ganzes Jahrhundert von Verheerung und Vernachlässigung, von absichtlichem Roden und Abbrennen und Einebnen ungeschehen gemacht und den Zwergen von Culhaven das Symbol dessen, wer und was sie waren, zurückgegeben. Sie hatte ihnen die Meadegärten wiedergegeben.

Sie kniete noch immer mit gesenktem Kopf am Boden. Als sie aufstand, konnte sie sich kaum halten. Sie hatte ihre ganze Kraft zur Wiedererstehung der Gärten verausgabt; sie schien nichts mehr übrig zu haben. Schwach schwankte sie mit schlaff herunterhängenden Armen, und ihr hübsches Gesicht war gezeichnet und verhärmt, und ihr silbriges Haar feucht und zerzaust. Pe Ell spürte ihren Blick wieder auf sich gerichtet, und diesmal zögerte er nicht. Hurtig eilte er den Hang hinauf, sprang über Steine und Gebüsch und ließ die Pfade außer acht, als wären sie Hindernisse. Er fühlte, wie die Menge ihm nachdrängte, hörte ihre Stimmen aufschreien, doch sie bedeuteten ihm nichts, und er schaute sich nicht um. Er erreichte das Mädchen, als sie fiel, und fing sie auf. Sanft hielt er sie in den Armen, als habe er ein wildes Geschöpf gefangen, beschützend und besitzergreifend zur selben Zeit.

Ihre Augen schauten in die seinen, er sah ihre Intensität und ihr Leuchten und die Gefühlstiefe, die darin zum Ausdruck kam. In diesem Augenblick war er an sie in einer Weise gebunden, die er nicht zu beschreiben vermochte. »Bring mich an einen Ort, wo ich ruhen kann«, flüsterte sie.

Die Menge umringte sie jetzt, und er konnte sich ihrem aufgeregten Geschnatter nicht entziehen. Ein Meer von Gesichtern drängte in die Nähe. Er sagte etwas zu den Nächststehenden, um sie zu beruhigen, daß das Mädchen nur erschöpft sei, und er hörte, wie seine Worte von Mund zu Mund weitergegeben wurden. Er erhaschte einen Blick der Föderationssoldaten am Rande der Menge, doch sie zogen es weise vor, sich fern zu halten. Mit dem Mädchen auf dem Arm ging er los. Er staunte, wie wenig sie wog. Es ist nichts an ihr dran, dachte er. Und alles.

Eine kleine Gruppe von Zwergen trat ihm entgegen und forderte ihn auf, ihnen zu folgen und die Tochter des Königs vom Silberfluß in ihr Haus zu bringen, damit sie sich dort ausruhe. Pe Ell ließ sich von ihnen führen. Ein Haus war für den Moment so gut wie jedes andere. Die Augen der Menge folgten ihnen, doch sie begann sich schon zu zerstreuen und in das Paradies der Gärten zu schwärmen und sich an ihrer Schönheit zu ergötzen. Gesang erschallte wieder, sanfte Lieder, die das Mädchen priesen und ihm dankten, lyrisch und süß.

Pe Ell, das schlafende Mädchen auf den Armen, ging den Hügel hinunter, verließ die Meadegärten und betrat wieder das Dorf Culhaven. Sie hatte sich in seine Obhut begeben. Sie hatte sich unter seinen Schutz gestellt. Welche Ironie.

Schließlich war er hergeschickt worden, um sie zu töten.

6

Pe Ell trug die Tochter des Königs vom Silberfluß in das Haus der Zwerge, die angeboten hatten, sie zu beherbergen. Die Familie bestand aus dem Mann, seiner Frau, ihrer verwitweten Tochter und zwei kleinen Enkelkindern. Ihre Kate aus Stein stand am Ostrand des Dorfes, geschützt von einer Eiche und einer Blutulme, nicht weit von der Mauer des Waldes und in der Nähe des Flußkanals. Es war ruhig dort, isoliert vom eigentlichen Dorf, und als sie ankamen, hatte sich der größte Teil der Menge zerstreut. Ein paar hatten beschlossen zu bleiben und am Rand des Grundstücks ein Lager aufzuschlagen. Die meisten davon gehörten zu denen, die dem Mädchen aus dem Süden gefolgt waren, Eiferer, die beschlossen hatten, daß sie ihre Retterin sei.

Aber sie war nicht für sie bestimmt, das wußte Pe Ell. Sie gehörte jetzt ihm.

Mit der Hilfe der Familie legte er das Mädchen in ein Bett in einem kleinen Hinterzimmer, wo der Mann und die Frau schliefen. Der Mann, die Frau und die verwitwete Tochter gingen wieder hinaus, um etwas für jene zu essen zu bereiten, die sich entschlossen hatten, Wache über das Mädchen zu halten. Doch Pe Ell blieb. Er setzte sich auf einen Stuhl neben das Bett und beobachtete ihren Schlaf. Eine Weile blieben auch die Kinder dabei, neugierig, was geschehen würde. Doch irgendwann verloren sie das Interesse, und er war allein. Das Tageslicht schwand, und es wurde dunkel und still, und er saß da und wartete geduldig auf ihr Erwachen. Er betrachtete ihre schlafende Gestalt, die Kurve ihrer Hüften und Schultern, die sanfte Rundung ihres Rückens. Sie war so ein winziges Geschöpf, nur ein wenig Fleisch und Knochen unter der Decke, ein winziger Lebensfunken. Er staunte über die Beschaffenheit ihrer Haut, die Färbung, die Makellosigkeit. Sie hätte von einem großen Künstler gestaltet sein können, dessen Kunstfertigkeit und Genie ein einmaliges Meisterwerk geschaffen hatten.

Draußen wurden Feuer entfacht, und Stimmen drangen durch das verhangene Fenster. Nächtliche Geräusche füllten die Stille zwischen den Gesprächen, Vogelgesang und das Summen von Insekten erhoben sich über das ferne Rauschen des Flusses. Pe Ell war nicht müde und empfand keinen Bedarf nach Schlaf.

Er nutzte statt dessen die Zeit zum Nachdenken.

Vor einer Woche war er zur Südwache zu einer Unterredung mit Felsen-Dall gerufen worden. Er war gegangen, weil ihm gerade danach war, nicht, weil es nötig war. Er langweilte sich und hoffte, der Erste Sucher könnte ihm etwas Interessantes zu tun geben, ihm eine Herausforderung bescheren. Für Pe Ells Empfinden war das das einzig Bedeutsame bei Felsen-Dall. Das übrige, was der Erste Sucher mit seinem Leben und dem anderer anfing, interessierte ihn nicht. Er machte sich natürlich keinerlei Illusionen. Er wußte, was Felsen-Dall war. Es war ihm einfach egal.

Er brauchte zwei Tage für die Reise. Er ritt aus dem zerklüfteten Hügelland unterhalb des Battlemound Tieflands, wo er sich niedergelassen hatte, nordwärts und gelangte bei Sonnenuntergang des zweiten Tages zur Südwache. Er stieg vom Pferd, als er noch außer Sichtweite der Wachen war, und näherte sich zu Fuß. Es wäre nicht nötig gewesen; er hätte ohne weiteres offen vorreiten können und wäre sofort vorgelassen worden, aber ihm gefiel es, nach Belieben und ungesehen kommen und gehen zu können. Es gefiel ihm, seine Fähigkeiten zu zeigen.

Vor allem den Schattenwesen.

Pe Ell war wie sie, als er in den schwarzen Monolithen kam, scheinbar durch die Sprünge im Stein drang, eine Erscheinung aus der Finsternis. Ungesehen und ungehört ging er an den Wachen vorbei, so unsichtbar für sie wie die Luft, die sie atmeten. Südwache war still und dunkel, die Mauern glatt und poliert, die Flure leer. Es vermittelte den Eindruck einer guterhaltenen Gruft. Nur die Toten gehörten hierher oder jene, die mit dem Tod Handel trieben. Er durchquerte die Katakomben, spürte das Pulsieren der in der Erde gefangenen Magie, hörte, wie sie in dem Bemühen, sich zu befreien, wisperte. Ein schlafender Riese, den Felsen-Dall und seine Schattenwesen zu zähmen gedachten, wie Pe Ell wußte. Sie hüteten ihr Geheimnis wohl, doch vor ihm konnte man keine Geheimnisse bewahren.