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Eine verhüllte Gestalt erschien, groß und dunkel und abweisend, ohne Gesicht und Gliedmaßen, wie ein Geist der Nacht. Colls erster Gedanke galt den Schattenwesen, und er kauerte sich schutzsuchend hin, tastete in der plötzlich eng gewordenen Zelle verzweifelt nach einer Waffe, mit der er sich verteidigen könnte.

»Fürchte dich nicht, Talbewohner«, sagte der Geist mit einer seltsam vertrauten Flüsterstimme. »Du bist hier nicht in Gefahr.«

Der Geist schloß die Tür hinter sich und trat in das dämmrige Licht der Zelle. Coll sah nacheinander den weißen Wolfsschädel auf dem schwarzen Umhang, die linke Hand mit dem Handschuh bis zum Ellbogen und dann das grobknochige, schmale Gesicht mit dem unverkennbaren roten Bart.

Felsen-Dall.

Augenblicklich dachte Coll an die Umstände seiner Gefangennahme. Er war mit Par, Damson und dem Maulwurf durch die Tunnel unter Tyrsis in den verlassenen Palast der Könige der alten Stadt gegangen, und von dort aus waren die Ohmsfordbrüder auf der Suche nach dem Schwert von Shannara allein in die Grube gestiegen. Er hatte vor dem Gewölbe, in dem sich das Schwert befinden sollte, Wache gestanden, während sein Bruder hineinging. Seither hatte er Par nicht wiedergesehen. Er war von hinten gepackt, bewußtlos gemacht und fortgezaubert worden. Bis zu diesem Augenblick hatte er nicht gewußt, wer dafür verantwortlich war. Es schien einleuchtend, daß es Felsen-Dall war, der Mann, der vor Wochen nach Varfleet gekommen war und sie seither durch alle Vier Länder verfolgt hatte.

Der Erste Sucher trat auf Coll zu und blieb kurz vor ihm stehen. Sein schroffes Gesicht war ruhig und beschwichtigend. »Hast du dich ausgeruht?«

»Was für eine dumme Frage«, antwortete Coll, ohne nachzudenken. »Wo ist mein Bruder?«

Felsen-Dall zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Als ich ihn zum letzten Mal sah, trug er das Schwert von Shannara aus dem Gewölbe.«

Coll starrte ihn an. »Du warst dort – drinnen?«

»Ja.«

»Und du hast Par das Schwert von Shannara mitnehmen lassen? Hast ihn einfach damit fortgehen lassen?«

»Warum nicht? Es gehört ihm.«

»Du willst mir weismachen«, sagte Coll vorsichtig, »daß es dir egal ist, ob er im Besitz des Schwertes ist? Daß dir das unwichtig ist?«

»Nicht so, wie du denkst.«

Coll ließ eine Pause entstehen. »Du hast Par also gehen lassen und hast mich gefangengenommen. Ist das richtig?«

»Ja.«

Coll schüttelte den Kopf. »Warum?«

»Um dich zu schützen.«

Coll lachte. »Wovor? Freiheit der Wahl?«

»Vor deinem Bruder.«

»Vor Par? Du mußt mich für den größten Trottel halten, den es je gegeben hat!«

Der große Mann faltete die Arme vor seiner Brust. »Um ehrlich zu sein, steckt mehr dahinter als nur dein Schutz. Du bist auch noch aus einem anderen Grund mein Gefangener. Früher oder später wird dein Bruder nach dir suchen. Wenn er das tut, werde ich eine weitere Gelegenheit haben, mit ihm zu reden. Wenn ich dich hier festhalte, gibt mir das die Gewißheit, daß mir diese Gelegenheit geboten wird.«

»Was wirklich geschehen ist«, fauchte Coll ärgerlich, »ist, daß du mich erwischt hast, während Par entkommen ist! Er fand das Schwert von Shannara und entschlüpfte dir irgendwie, und jetzt benutzt du mich als Köder, um ihn in die Falle zu locken. Nun, das wird nicht klappen. Par ist zu klug dafür.«

Felsen-Dall schüttelte den Kopf. »Wenn ich dich am Eingang zu dem Gewölbe habe fangen können, wie soll es deinem Bruder dann gelungen sein, zu entkommen? Beantworte mir das.« Er wartete einen Augenblick, dann ging er zu dem Tisch und ließ sich auf einem der Stühle nieder. »Ich werde dir die Wahrheit sagen, Coll Ohmsford, wenn du mir die Gelegenheit dazu gewährst. Willst du?«

Coll studierte wortlos einen Augenblick lang das Gesicht des anderen, dann zuckte er mit den Schultern. Was hatte er zu verlieren? Er blieb, wo er war, stehend und den Abstand zwischen ihnen messend.

Felsen-Dall nickte. »Laß uns mit den Schattenwesen beginnen. Die Schattenwesen sind keine Monster, keine Gespenster, deren einziges Ziel darin besteht, die Rassen zu zerstören, deren bloße Anwesenheit die Vier Länder krank gemacht hat. Sie sind zum größten Teil Opfer. Es sind Männer, Frauen und Kinder, die über ein gewisses Maß an Elfenmagie verfügen. Sie sind das Ergebnis vieler Generationen menschlicher Evolution, in denen die Magie mitgespielt hat. Die Föderation jagt sie wie Tiere. Du hast die armen Geschöpfe gesehen, die dort in der Grube gefangen sind. Weißt du, wer sie sind? Es sind Schattenwesen, die die Föderation gefangengenommen und bis zum Wahnsinn hat aushungern lassen, was sie so verändert hat, daß sie jetzt schlimmer sind als Tiere. Du hast auf deiner Reise nach Culhaven auch die Waldfrau und den Riesen gesehen. Was sie sind, ist nicht ihre Schuld.«

Die behandschuhte Hand hob sich schnell, als Coll zu sprechen ansetzen wollte. »Talbewohner, höre mich zu Ende an. Du fragst dich, woher ich so viel über dich weiß. Ich werde es dir erklären, wenn du geduldig bist.«

Die Hand senkte sich wieder. »Ich wurde Erster Sucher, um die Schattenwesen zu verfolgen – nicht um ihnen ein Leid zuzufügen oder sie gefangen zu setzen, sondern um sie zu warnen und in Sicherheit zu bringen. Deshalb bin ich zu euch nach Varfleet gekommen – um dafür zu sorgen, daß du und dein Bruder beschützt wurden. Ich bekam keine Gelegenheit dazu. Ich habe seither nach dir gesucht, um dir zu erklären, was ich weiß. Ich dachte, du würdest vielleicht nach Vale zurückkehren, und stellte also deine Eltern unter meinen Schutz. Ich glaubte, daß du, wenn ich dich zuerst erreichte, ehe die Föderation dich auf irgendeine andere Weise ausfindig machte, in Sicherheit wärest.«

»Ich glaube dir kein Wort«, warf Coll eisig dazwischen.

Felsen-Dall achtete nicht darauf. »Talbewohner, man hat dich von Anfang an belogen. Dieser alte Mann, der sich Cogline nennt, hat dir gesagt, die Schattenwesen seien deine Feinde. Der Schatten von Allanon warnte dich am Hadeshorn im Tal von Shale und sagte, die Schattenwesen müßten vernichtet werden. Man riet dir, die verlorenen Zauber der Alten Welt wiederzufinden. Das Schwert von Shannara zu finden. Die Elfensteine zu finden. Das verlorene Paranor zu finden und die Druiden zurückzubringen. Doch wurde dir gesagt, was das alles erbringen würde? Natürlich nicht. Denn die Wahrheit ist, daß du es nicht wissen darfst. Denn wenn du es wüßtest, würdest du die Angelegenheit auf der Stelle fallenlassen. Die Druiden scheren sich einen Dreck um dich und deinesgleichen, und haben es immer getan. Ihr einziges Interesse liegt darin, die Macht wiederzuerlangen, die sie verloren, als Allanon starb. Wenn du sie zurückholst und ihre Magie wiederherstellst, werden sie erneut das Schicksal der Rassen kontrollieren. Darum geht es ihnen, Coll Ohmsford. Die Föderation hilft ihnen, ohne es zu ahnen. Die Schattenwesen sind die idealen Opfer, über die beide herfallen können. Dein Onkel erkannte die Wahrheit. Er sah, daß Allanon ihn zu manipulieren versuchte und im Sinn hatte, ihn in eine Aufgabe zu verwickeln, die niemandem dienen würde. Er warnte euch alle. Er weigerte sich, sich an dem Wahnsinn der Druiden zu beteiligen. Er hatte recht. Die Gefahr ist weit größer, als dir klar ist.«

Er beugte sich vor. »Das alles habe ich deinem Bruder erzählt, als er wegen des Schwertes in das Gewölbe kam. Ich wartete dort auf ihn – ich hatte übrigens schon mehrere Tage dort gewartet. Ich wußte, daß er wiederkommen würde, um das Schwert zu holen. Er mußte es tun, er konnte nicht anders. Das ist, was die Magie euch antut. Ich weiß es. Auch ich habe Magie.«

Er stand plötzlich auf, und Coll wich erschreckt zurück. Der schwarzgekleidete Körper begann im Zwielicht zu schimmern, als wäre er durchscheinend. Dann schien er sich aufzulösen, und Coll hörte sich stöhnen. Die dunkle Gestalt eines Schattenwesens mit glühenden, roten Augen hob sich langsam aus Felsen-Dalls Körper, blieb einen Augenblick in der Luft hängen und tauchte dann wieder zurück.