Выбрать главу

Der Erste Sucher lächelte kalt. »Siehst du, ich bin ein Schattenwesen. Alle Sucher sind Schattenwesen. Was für eine Ironie, nicht wahr? Die Föderation weiß es nicht. Sie halten uns für gewöhnliche Menschen, weiter nichts, Menschen, die ihren perversen Interessen dienen, die so wie sie versuchen, das Land von Magie zu befreien. Sie sind Dummköpfe. Magie ist nicht der Feind der Menschen. Sie sind es. Und die Druiden. Und jeder, der Männer und Frauen daran hindern will, zu sein, was und wer sie sind.«

Wie ein Dolch zeigte ein Finger auf Coll. »Ich habe deinem Bruder das alles erzählt, und ich habe ihm noch etwas gesagt. Ich habe ihm gesagt, daß auch er ein Schattenwesen ist. Ah, du glaubst mir noch immer nicht, nicht wahr? Aber hör mir zu. Par Ohmsford ist in Wahrheit ein Schattenwesen, gleich, ob ihr es zugeben wollt oder nicht. Desgleichen Walker Boh. Und jeder, der über wahre Magie verfügt. Das ist es, was wir alle sind, alle von uns – Schattenwesen. Wir sind gesunde, vernunftbegabte und in den meisten Fällen normale Männer, Frauen und Kinder, bis wir von Idioten wie der Föderation gehetzt und gefangen und zum Wahnsinn getrieben werden. Dann überwältigt uns die Magie, und wir werden zu Tieren wie die Waldfrau und der Riese, wie diese Geschöpfe in der Grube.«

Coll schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist alles gelogen.«

»Wie kommt es dann, daß ich so viel über dich weiß? Was meinst du?« beharrte Felsen-Dall mit sogar jetzt noch nervtötend ruhiger Stimme. »Ich weiß alles über deine Flucht südwärts den Mermidon hinunter, deine Begegnungen mit der Waldfrau und dem alten Mann; wie du dem Hochländer begegnet bist und ihn überredet hast, sich euch anzuschließen; wie du nach Culhaven gereist bist, dann nach Hearthstone und schließlich zum Hadeshorn. Ich weiß von den Zwergen und von Walker Boh. Ich weiß von deiner Kusine Wren Ohmsford. Ich weiß von den Geächteten und von Padishar Creel und dem Mädchen und all den anderen. Ich wußte, wann du in die Grube hinuntersteigen würdest, und ich habe versucht, dich aufzuhalten. Ich wußte, daß du wiederkommen würdest, und ich habe dort auf dich gewartet. Wie kann ich das wissen, Talbewohner? Sag es mir.«

»Ein Spion im Lager der Geächteten«, antwortete Coll plötzlich verunsichert.

»Wer denn?«

Coll zögerte. »Ich weiß es nicht.«

»Dann werde ich es dir sagen. Der Spion war dein Bruder.«

Coll starrte ihn an.

»Dein Bruder, auch wenn er es nicht gemerkt hat. Par ist ein Schattenwesen, und ich weiß manchmal, was andere Schattenwesen denken. Wenn sie ihre Magie einsetzen, reagiert die meine. Sie offenbart mir ihre Gedanken. Als dein Bruder das Zauberlied benutzt hat, ließ es mich wissen, was er dachte. So habe ich dich gefunden. Aber Pars Magie alarmierte auch andere Feinde. Daher kam es, daß der Gnawl dich im Wolfsktaag verfolgt hat, und die Spinnengnome in Hearthstone. Denk nach, Talbewohner! Alles, was dir widerfahren ist, hast du selbst verursacht. Es war nicht meine Absicht, dir in Tyrsis ein Leid anzutun. Es war Pars Entscheidung, in die Grube hinunterzugehen, die dir Kummer brachte. Ich habe euch das Schwert von Shannara nicht vorenthalten. Ja, ich habe es versteckt – aber nur, um Par zu zwingen, zu mir zu kommen, damit ich ihn warnen konnte.«

Coll streckte sich. »Was willst du damit sagen?«

Felsen-Dalls blasse Augen schauten ihn eindringlich an. »Ich habe dir gesagt, daß ich dich aus dem einfachen Grund hierhergebracht habe, weil ich dich vor deinem Bruder schützen wollte. Das entspricht der Wahrheit. Die Magie eines Schattenwesen ist so zweischneidig wie ein Schwert. Du hast das vermutlich selber oft gemerkt. Sie kann ein Segen sein oder auch ein Fluch. Sie kann helfend wirken oder verletzen. Aber es ist noch viel komplizierter als das. Ein Schattenwesen kann von der Belastung, die der Einsatz der Magie verlangt, angegriffen werden, vor allem, wenn es bedroht oder verfolgt wird. Die Magie kann kampflustig werden und entkommen. Erinnerst du dich an die Kreaturen in der Grube? Erinnerst du dich an jene, denen du auf deinen Reisen begegnet bist? Was meinst du, was ihnen widerfahren ist? Dein Bruder besitzt das Zauberlied als seine Magie. Doch das Zauberlied ist nur eine dünne Schicht, die das, was darunter liegt, verdeckt – Magie, die viel mächtiger ist, als dein Bruder ahnt. Sie fängt an, stärker zu werden, während er fortläuft und sich versteckt und versucht, sich in Sicherheit zu bringen. Wenn ich ihn nicht rechtzeitig erreiche, wenn er weiterhin meine Warnungen in den Wind schlägt, wird diese Magie ihn verschlingen.«

Es folgte eine lange Stille. Coll dachte schweigend nach. Er erinnerte sich daran, daß Par ihm gesagt hatte, er glaube, die Magie des Zauberliedes vermöge weit mehr als nur die Erzeugung von Bildern; daß er fühlen könne, wie sie freigesetzt werden wollte. Er erinnerte sich daran, wie sie reagiert hatte, als sie zum ersten Mal in die Grube gestiegen waren, wie sie Licht in die Dämmerung gestrahlt und die Schriftrolle in dem Gewölbe beleuchtet hatte. Er dachte an die dort gefangenen Kreaturen, die zu Monstern und Dämonen geworden waren.

Er fragte sich nur für einen Augenblick, ob Felsen-Dall ihm vielleicht die Wahrheit sagte.

Der Erste Sucher trat einen Schritt auf ihn zu und blieb stehen. »Denk darüber nach, Coll Ohmsford«, schlug er leise vor. Er stand groß und dunkel im Dämmerlicht und war furchteinflößend anzuschauen. Aber seine Stimme klang beruhigend. »Durchdenke es. Du hast genug Zeit dazu. Ich habe die Absicht, dich hierzubehalten, bis dein Bruder dich suchen kommt oder seine Magie benutzt. So oder so muß ich ihn finden und warnen. Ich muß euch beide und jene, mit denen ihr eventuell in Kontakt kommt, beschützen. Hilf mir. Wir müssen deinen Bruder finden. Wir müssen es versuchen. Ich weiß, daß du mir jetzt nicht glaubst, doch das wird sich ändern.«

Coll schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«

Draußen grollte ein ferner Donner und verlor sich im Prasseln des Regens. »So viele Lügen sind dir von anderen erzählt worden«, sagte Felsen-Dall. »Mit der Zeit wirst du es einsehen.«

Er ging zur Zellentür und blieb noch einmal stehen. »Du bist lange genug in dieses Zimmer gesperrt gewesen. Während des Tages kannst du hinausgehen. Du brauchst nur an die Tür zu klopfen, wenn du hinaus möchtest. Geh hinunter in den Übungshof und trainiere mit den Waffen. Jemand wird dort sein, der dir helfen wird. Du mußt lernen, dich besser zu verteidigen. Aber begehe keinen Fehler. Du darfst nicht fort. Nachts wirst du wieder eingesperrt. Ich wünschte, es könnte anders sein, aber das geht leider nicht. Zu vieles steht auf dem Spiel.«

Er machte eine Pause. »Ich habe einen kurzen Besuch zu machen, eine Reise von ein paar Tagen. Jemand anderes braucht meine Aufmerksamkeit. Wenn ich zurückkomme, werden wir uns wieder unterhalten.«

Er musterte Coll eine Weile, als schätze er ihn irgendwie ab, dann wandte er sich um und ging hinaus. Coll schaute ihm nach, dann trat er wieder an das verschlossene Fenster und lugte in den Regen hinaus.

Er schlief schlecht in jener Nacht, geplagt von Träumen von finsteren Gestalten, die das Gesicht seines Bruders trugen, und wenn er wach wurde, quälte ihn, was man ihm gesagt hatte. Unsinn, war sein erster Gedanke. Lügen. Aber sein Instinkt sagte ihm, daß zumindest ein Teil davon der Wahrheit entsprach – und das wiederum unterstellte die unerfreuliche Möglichkeit, daß es alles stimmen konnte. Par ein Schattenwesen. Die Magie eine Waffe, die ihn zerstören konnte. Beide von finsteren Mächten jenseits ihres Verständnisses bedroht.

Er wußte nicht mehr, was er glauben sollte.

Als er aufwachte, klopfte er an die Tür. Ein Sucher in schwarzem Umhang ließ ihn hinaus und führte ihn hinunter in den Übungshof. Ein anderer, ein grober Kerl mit kahl rasiertem Schädel und Narben und Knoten überall bot ihm an, mit ihm zu kämpfen. Mit gepolsterten Keulen trainierten sie den ganzen Morgen. Coll schwitzte und strengte sich an. Es tat gut, den Körper wieder zu benutzen.