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Später, als er wieder allein in der Zelle war, hellte der Nachmittag sich auf. Die Wolken wurden dünner, und die Sonne brach im fernen Süden hindurch. Er überdachte seine neue Lage. Er war noch immer ein Gefangener, aber es war nicht mehr ganz so schlimm. Er war nicht mehr in eine einzige Zelle eingesperrt. Man hatte ihm die Gelegenheit gegeben, stark und fit zu bleiben. Er fühlte sich nicht bedroht.

Ob Felsen-Dall Rätselspielchen mit ihm trieb, blieb natürlich abzuwarten. Wie auch immer, der Erste Sucher hatte einen Fehler begangen. Er hatte Coll Ohmsford die Gelegenheit gegeben, die Südwache zu erkunden.

Und damit die Gelegenheit, einen Fluchtweg zu finden.

9

Walker Boh schmachtete in Hearthstone in einem bei weitem scheußlicheren Gefängnis als jenem, in dem Morgan Leah festgehalten wurde. Er war mit dem eisernen Vorsatz, seine Krankheit zu heilen, aus Storlock zurückgekommen; er wollte das Gift, das der Asphinx ihm eingespritzt hatte, aus seinem Körper treiben und sich gesund machen, was nicht einmal den Stors gelungen war. Innerhalb einer Woche hatte er sich völlig verändert, war mutlos und bitter geworden und hatte Angst, daß seine Hoffnungen vergeblich seien, daß er sich am Ende nicht würde selber retten können. Seine Tage zogen sich endlos lang und heiß dahin, während er in Gedanken verloren durch das Tal wanderte und verzweifelt darüber nachgrübelte, welchen Zauber es brauchte, um die Ausbreitung des Giftes aufzuhalten. Während der Nächte brütete er weiter, die dunklen Stunden vergingen mit den vergeblichen Versuchen, seine Ideen auszuführen.

Nichts wirkte.

Er versuchte alles. Er begann mit einer Reihe von Bewußtseinssteuerungen, dem inneren Ausloten seiner eigenen Zauberkraft, das dazu angetan sein sollte, die Ausbreitung des Giftes aufzuhalten, zu brechen, rückgängig zu machen oder wenigstens zu verlangsamen. Nichts davon geschah. Er kanalisierte seine Magie in Form eines Angriffs, das innere Äquivalent des Feuers, das er manchmal zum Schutz und zur Verteidigung heraufbeschwor. Die Kanalisierung schien keine taugliche Quelle zu finden, die Magie verstreute sich und verlor ihre Macht. Er probierte die Beschwörungen und Zauberformeln, die er im Laufe der Jahre gesammelt hatte, sowohl jene, die ihm angeboren waren, als auch jene, die man ihn gelehrt hatte. Alle versagten. Schließlich griff er auf die Chemikalien und Pulver zurück, auf die Cogline sich verlassen hatte, die Wissenschaften der Alten Welt, die auf die Neue überkommen waren. Er attackierte die Steinruine seines Arms und versuchte, sie bis zum Fleisch abzubrennen und auszuglühen. Er versuchte Heilmixturen, die von der Haut absorbiert wurden und in den Stein dringen sollten. Er wandte elektrische und magnetische Felder an. Er probierte Antitoxine. Auch das alles versagte. Das Gift war zu stark. Es konnte nicht neutralisiert werden. Es breitete sich weiterhin in seinem Körper aus und brachte ihn langsam um.

Ondit blieb fast ohne Unterbrechung an seiner Seite, folgte ihm geräuschlos auf seinen langen Tageswanderungen, streckte sich in der Dunkelheit seines Zimmers neben ihm aus, während er sich vergeblich abmühte, die Magie in einer Weise anzuwenden, die ihm zu überleben gestattete. Die riesige Moorkatze schien zu spüren, was mit Walker geschah; sie beobachtete ihn, als fürchte sie, er könne jeden Moment verschwinden, als könne sie ihn irgendwie vor dieser unsichtbaren Bedrohung beschützen, indem sie ihn nicht aus den Augen ließe. Die leuchtenden gelben Augen waren immer da, beobachteten ihn mit Klugheit und Sorge, und Walker ertappte sich dabei, wie er voller Hoffnung hineinstarrte und nach den Antworten suchte, die er nirgendwo sonst zu finden vermochte.

Auch Cogline tat alles in seiner Macht Stehende, um Walker in seinem Ringen zu unterstützen. Wie die Moorkatze hielt er Wache, wenn auch aus größerer Distanz, weil er fürchtete, Walker würde es nicht tolerieren, wenn er zu nah käme oder zu lange bliebe. Zwischen den beiden bestand noch immer ein Antagonismus, der nicht zu überwinden war. Es fiel ihnen schwer, mehr als für ein paar Minuten zusammen zu sein. Cogline gab Rat, wo er konnte, mischte Pulver und Arzneien auf Walkers Bitte, verschrieb Salben und Heilmittel und schlug Formen von Zaubern vor, von denen er glaubte, sie könnten helfen. Vor allem aber gab er das bißchen Trost, das er vermitteln konnte, daß ein Gegenmittel gefunden werden würde.

Walker war dankbar für diesen Trost, auch wenn er es dem anderen niemals eingestehen würde. Er hatte seinem eigenen Tod nie viele Gedanken gewidmet, war immer überzeugt gewesen, daß es noch lange hin sei und er, wenn es soweit wäre, dafür vorbereitet sei. Er stellte jetzt fest, daß er sich in beidem geirrt hatte. Er war zornig und verängstigt und verwirrt; seine Gefühle stürzten in ihm durcheinander wie übriggebliebene Steine einer ausgeleerten Ladung in einem fahrenden Lastkarren. Er kämpfte um sein Gleichgewicht, den Glauben an sich selbst, ein winziges Fünkchen Hoffnung, doch ohne die unterstützende Gegenwart von Cogline wäre er verloren gewesen. Gesicht und Stimme des alten Mannes, seine Gesten, seine besonderen Eigenheiten, die ihm alle so vertraut waren, boten ihm Halt an dem Abgrund, an den Walker Boh sich klammerte, und bewahrten ihn davor, ganz und gar in die Tiefe zu stürzen. Er kannte Cogline seit langer Zeit, und in Abwesenheit von Par und Coll und in geringerem Maße auch von Wren stellte Cogline seine einzige Verbindung zur Vergangenheit dar – eine Vergangenheit, die er zuerst verspottet, verachtet und schließlich ganz und gar verleugnet hatte, und die er jetzt verzweifelt zurückzugewinnen versuchte, denn sie war die einzige Verbindung zur Verwendung der Magie, die ihn retten konnte. Wenn er es nicht so eilig gehabt hätte, sie zu verleugnen, ihren Einfluß loszuwerden, wenn er sich mehr Zeit genommen hätte, sie zu begreifen, von ihr zu lernen, sie zu meistern und sie für seine Bedürfnisse zu nutzen, dann hätte er jetzt vielleicht nicht so hart zu ringen, um am Leben zu bleiben.

Doch die Vergangenheit ist nicht wiedergutzumachen. Trotzdem konnte er einen gewissen Trost aus der ständigen Gegenwart des alten Mannes ziehen, der ihm all sein Verständnis der Magie vermittelt hatte. Jetzt, da seine Zukunft so erschreckend ungewiß geworden war, entdeckte er ein seltsames, zwingendes Bedürfnis, nach jenen Dingen zu greifen, die ihm aus der Vergangenheit geblieben waren. Und von denen war Cogline das nächstliegende.

Cogline war im zweiten Jahr seines einsamen Lebens in Hearthstone zu ihm gekommen. Risse war damals schon fünfzehn Jahre tot und Kenner fünf. Er war seither auf sich selbst angewiesen, trotz der Bemühungen von Jaralan und Mirianna Ohmsford, ihn zu einem Mitglied ihrer Familie zu machen, ein von allen Ausgestoßener, denn seine Magie erlaubte ihm nichts anderes. Während sie im Alterwerden bei allen Ohmsfords seit Brin verschwunden war, so war das bei ihm nicht der Fall. Sie wurde statt dessen stärker, drängender, unkontrollierbarer. Es war schon schlimm genug gewesen, als er in Shady Vale lebte, in Hearthstone wurde es unerträglich. Sie zeigte sich auf neue Weise – unerwünschte Empfindungen, befremdliche Vorahnungen, überscharfe Sinneswahrnehmungen und erschreckende Demonstrationen roher Gewalt, die ihn zu zerschmettern drohten. Er schien sie nicht meistern zu können. Er verstand sie einfach nicht und konnte daher auch keinen Weg finden, ihre Funktionsweise zu entziffern. Am besten blieb er allein, niemand wäre in seiner Umgebung sicher gewesen. Er spürte, wie ihm seine geistige Gesundheit entglitt.

Cogline veränderte alles. Eines Nachmittags tauchte er zwischen den Bäumen aus dem Nebel, der zur Neige des Herbstes vom Wolfsktaag herunterrollte, ein kleiner, alter Mann in Gewändern, die locker um seine magere Gestalt hingen, wild zerzaustem Haar und scharfen, klugen Augen. Ondit war bei ihm, ihre massige, unbeirrbare schwarze Anwesenheit schien die Veränderung, die in das Leben des Dunklen Onkels kommen würde, anzukündigen. Cogline berichtete Walker die Geschichte seines Lebens von der Zeit von Bremen und dem Druidenrat bis in die Gegenwart – tausend Jahre. Es war ein aufrichtiger Bericht, der nicht darum bat, akzeptiert zu werden, er forderte es. Seltsamerweise fügte Walker sich. Er fühlte, daß diese wilde, unwahrscheinliche Geschichte der Wahrheit entsprach. Er kannte die Geschichten über Cogline aus Brin Ohmsfords Zeiten, und dieser alte Mann war ganz genauso, wie die Geschichten ihn beschrieben hatten.