Walker nickte. »Dennoch, ich bin grob zu dir gewesen, und ich wünschte, das wäre nicht geschehen. Ich wollte, daß du der Feind bist, weil du aus Fleisch und Blut bist und nicht ein toter Druide oder ein unsichtbarer Zauber, und ich konnte auf dich einschlagen. Ich wollte dich als die Ursache für meine Angst betrachten. Es machte es mir leichter, wenn ich dich so sah.«
Cogline zuckte mit den Schultern. »Entschuldige dich nicht. Die Magie ist eine für jeden unterschiedliche Last, die er zu tragen hat, doch für dich um so mehr.« Er machte eine Pause. »Ich glaube, du wirst niemals von ihr freikommen.«
»Außer im Tod«, erwiderte Walker.
»Falls der Tod dich so schnell ereilt, wie du glaubst.« Die alten Augen zwinkerten. »Würde Allanon einen Plan machen, der sich so leicht durchkreuzen läßt? Würde er das Risiko eingehen, daß seine ganze Arbeit umsonst wäre, falls du so bald sterben würdest?«
Walker zögerte. »Selbst Druiden können sich in ihrem Urteil irren.«
»In seinem Urteil?«
»Vielleicht war der Zeitpunkt falsch gewählt. Jemand anderer als ich war bestimmt, die Magie über die Jugend hinaus zu besitzen. Ich bin der falsche Träger. Cogline, was kann mich denn noch retten? Was ist denn noch unversucht geblieben?«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Walker. Aber ich spüre, daß da noch etwas ist.«
Dann schwiegen sie. Ondit lag ausgestreckt vor dem Feuer, hob den Kopf und schaute Walker an, dann ließ er ihn wieder sinken. Das Holz knisterte laut, und eine Rauchfahne schwebte durchs Zimmer.
»Du glaubst also, die Druiden sind mit mir noch nicht fertig?« sagte Walker schließlich. »Du meinst, sie lassen mich mein Leben nicht aufgeben?«
Cogline antwortete nicht sogleich. »Ich glaube«, sagte er nach einer Weile, »daß du bestimmen wirst, was aus dir wird, Walker. Das habe ich immer geglaubt. Was dir fehlt, ist die Fähigkeit zu erkennen, was du zu tun hast. Oder zumindest, es zu akzeptieren.«
Walker spürte, wie ein kalter Schauder ihn durchlief. Die Worte des alten Mannes wiederholten, was Allanon gesagt hatte. Er wußte, was sie bedeuteten. Daß er zugeben mußte, daß Brin Ohmsfords Vermächtnis für ihn gedacht war, daß er die Rüstung der Magie anlegen und hinaus in den Kampf ziehen mußte – wie ein unbesiegbarer Krieger, der aus alter Zeit herübergekommen war. Daß er die Schattenwesen vernichten mußte.
Als sterbender Mann?
Wie?
Wieder herrschte Schweigen. Diesmal brach er es nicht.
Drei Tage später verschlimmerte sich Walkers Zustand. Die Heilmittel der Stors und die Verschreibungen von Cogline gaben plötzlich dem Angriff des Giftes nach. Walker erwachte fiebrig und krank, konnte sich kaum erheben. Er frühstückte, ging auf die Veranda hinaus, um die Sonnenwärme zu genießen, und brach zusammen.
Er erinnerte sich nur noch bruchstückhaft an das, was danach geschah. Cogline brachte ihn wieder ins Bett und machte ihm kalte Umschläge, während das Fieber des Gifts in ihm wütete, ein unlöschbares Feuer. Er nahm Flüssigkeit zu sich, aber er konnte nichts essen. Er träumte ohne Unterlaß. Ein endloser Wahn von häßlichen, angsteinflößenden Geschöpfen, die vor ihm paradierten und ihn bedrohten, während er hilflos dastand und langsam seinen Verstand zu verlieren drohte. Er kämpfte dagegen an, so gut er es vermochte, doch ihm fehlten die nötigen Waffen. Was immer er auffuhr, die Monster hielten stand. Schließlich gab er auf und überließ sich ihnen und fiel in schwarzen Schlaf.
Von Zeit zu Zeit erwachte er, und jedesmal war Cogline da. Wieder einmal war es die tröstliche Gegenwart des alten Mannes, die ihn rettete, ein Lebensfaden, an den er sich klammerte, der ihn aus dem Vergessen zurückholte, in das er sonst geschwemmt worden wäre. Die knorrigen Hände streckten sich ihm entgegen; manchmal packten sie ihn, als wollten sie ihn festhalten, manchmal streichelten sie ihn, als wäre er ein trostbedürftiges Kind. Die vertraute Stimme beschwichtigte ihn, sprach Worte, die keinen Sinn ergaben, aber voller Wärme waren. Er fühlte den anderen neben sich, immer in der Nähe, darauf wartend, daß er erwache.
»Du bist nicht zum Sterben bestimmt, Walker Boh«, meinte er mehr als einmal zu hören, obwohl er sich dessen nicht sicher war.
Manchmal sah er, wie sich das Gesicht des alten Mannes über ihn beugte, die ledrige, runzlige, gezeichnete Haut, das schüttere, graue Haar, der zerzauste Bart, die Augen leuchtend und verständnisvoll. Er konnte ihn riechen, einen Waldbaum mit einem alten Stamm und alten Gliedern, doch mit Blättern so frisch und jung wie der Frühling. Wenn die Krankheit ihn zu überwältigen drohte, war der alte Mann da, um ihm Halt zu geben. Es war der alte Mann, dem zuliebe er nicht aufgab, dem zuliebe er gegen die Wirkung des Giftes ankämpfte und sich erholen wollte.
Am vierten Tag erwachte er gegen Mittag und nahm ein wenig Suppe zu sich. Das Gift war zeitweilig aufgehalten worden, die Arzneien und Mittel und Walkers Überlebenswille hatten noch einmal die Oberhand gewonnen. Walker zwang sich, den Schaden an seinem zerschmetterten Arm zu untersuchen. Das Gift war weiter vorgedrungen. Sein Arm war fast bis zur Schulter zu Stein geworden.
In jener Nacht weinte er aus Wut und Verzweiflung. Bevor er einschlief, wurde ihm bewußt, daß Cogline sich über ihn beugte, eine zerbrechliche Gestalt vor der endlosen, unerforschlichen Finsternis, die ihm leise sagte, daß alles gut werden würde.
Er erwachte während der trägen, ziellosen Stunden zwischen Mitternacht und Morgendämmerung, wenn die Zeit ihren Weg verloren zu haben scheint. Es war sein Instinkt, der ihn weckte, ein Gefühl, daß irgend etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Er rappelte sich hoch und stützte sich schwach und verwirrt auf den Ellenbogen, ohne in der Lage zu sein, die Ursache seiner Besorgnis festzustellen. Ein seltsames, undefinierbares Geräusch stieg aus der nächtlichen Stille, ein Summen irgendeiner Aktivität irgendwo draußen, das von Schlaf und Krankheit undeutlich gemacht wurde. Sein Atem ging unregelmäßig, als er sich aufsetzte. Er schauderte unter seinen Bettüchern in der frostigen Luft.
Grelles Licht flammte plötzlich auf, sichtbar durch einen Spalt in den Vorhängen vor dem Fenster.
Er hörte Stimmen. Nein, dachte er ängstlich. Keine Stimmen, kehlige, unmenschliche Töne.
Es kostete ihn alle seine Kraft, um vom Bett bis zum Fenster zu kriechen. Fieber und Erschöpfung ließen ihn nur langsam und mühevoll vorankommen. Er verhielt sich ruhig, war sich bewußt, daß Vorsicht geboten war, daß er sich nicht sehen lassen durfte. Die Geräusche draußen wurden lauter, und ein ekelerregender Verwesungsgeruch hatte sich über alles gelegt.
Tastend fand er das Fenstersims und zog sich daran hoch, bis er mit den Augen auf gleicher Höhe war.
Was er durch den Spalt in den Vorhängen sah, ließ seinen Magen zu Eis erstarren.
Cogline erwachte, als Ondit ihn mit der Schnauze anstupste, grob und drängend, und der alte Mann fuhr sofort hoch. Er war erst lange nach Mitternacht eingeschlafen, nachdem er sich in seinen Büchern der Wissenschaften der Alten Welt vergraben und wieder einmal versucht hatte, ein Mittel zu entdecken, das Walker Bohs Leben retten könnte. Irgendwann war er in seinem Stuhl beim Feuer eingeschlafen. Das Buch, das er studiert hatte, lag noch immer aufgeschlagen auf seinem Schoß, als Ondit ihn weckte.
»Verflixt noch mal, Katze«, murmelte er.
Sein erster Gedanke war, daß etwas mit Walker nicht stimmte. Dann hörte er die Geräusche, die zwar noch schwach waren, aber lauter wurden. Knurren und Brummen und Fauchen. Tierlaute. Und ohne sich zu bemühen, ihr Kommen zu verbergen.
Er stand auf und wischte sich den Schlaf aus den Augen. Eine Lampe brannte auf dem Eßtisch, das Feuer war erloschen. Cogline zog seine Gewänder fest um sich und schlurfte voller Unbehagen zur Tür, um herauszufinden, was da los war. Ondit lief vor ihm her, das Fell auf ihrem Rücken gesträubt, fletschte sie die Zähne. Was immer sich dort draußen näherte, der Moorkatze behagte es ganz und gar nicht.