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Cogline machte die Türe auf und trat auf die überdachte Veranda vor der Hütte. Der Himmel war klar. Mondlicht flutete zwischen den Bäumen hindurch und tauchte das Tal in weißes Leuchten. Die Luft war kühl und machte Cogline hellwach. Am Rand der Veranda blieb er stehen. Dutzende von winzigen, roten Lichterpaaren blinkten ihn aus den Schatten des Waldes an. Wie eine unendliche Schar zarter, roter Blüten schimmerten sie in der Finsternis. Sie schienen überall zu sein, rund um die Hütte und die Lichtung herum.

Cogline blinzelte, um sie besser erkennen zu können. Und dann begriff er, daß es Augen waren.

Er fuhr zusammen, als sich zwischen den Augen etwas rührte. Es war ein Mann in einer schwarzen Uniform mit den silbernen Insignien eines Wolfsschädels auf der Brust. Cogline sah ihn ganz deutlich, als er ins Mondlicht trat, groß und grobknochig, mit einem zerfurchten, ausgehöhlten Gesicht und leblosen Augen.

Felsen-Dall, dachte er, und ein Schwindelgefühl packte ihn.

»Alter Mann«, sagte der andere, und seine Stimme war ein krächzendes Flüstern.

Cogline antwortete nicht. Er starrte den anderen fest an und zwang sich, nicht nach rechts zu schauen, zu dem offenen Fenster von Walkers Schlafzimmer, wo Walker schlief. Angst und Zorn wüteten in ihm, und eine innere Stimme schrie ihm zu, um sein Leben zu rennen, zu fliehen. Schnell, warnte sie. Wecke Walker auf. Hilf ihm, zu entkommen!

Aber er wußte, daß es dafür längst zu spät war.

Er wußte schon seit einiger Zeit, daß es so sein würde.

»Wir sind deinetwegen gekommen, alter Mann«, krächzte Felsen-Dall, »meine Freunde und ich.« Er winkte, und die Geschöpfe, die ihn begleiteten, rückten eines nach dem anderen ins Licht, allesamt Horrorgestalten, Schattenwesen. Manche waren mißgestaltete Kreaturen wie die Waldfrau, die er vor ein paar Wochen von dem Lager von Par und Coll Ohmsford vertrieben hatte; manche sahen aus wie Hunde oder Wölfe, auf allen vieren, pelzig und mit zu Tierschnauzen verzerrten Gesichtern mit Zähnen und Krallen. Die Laute, die sie von sich gaben, ließen keinen Zweifel darüber, daß sie gierig auf Futter waren.

»Versager«, sagte ihr Anführer. »Menschen, die sich über ihre Schwächen nicht haben erheben können. Sie dienen jetzt einem besseren Zweck.« Er trat einen Schritt vor. »Du bist der letzte, alter Mann – der letzte, der sich mir in den Weg stellt. Alle Shannara-Kinder sind fort, von der Erde gewischt. Du bist der letzte, der übrigbleibt, ein armer, ehemaliger Druide, der niemanden mehr hat, der ihn retten kann.«

Die Runzeln, die Coglines Gesicht zeichneten, vertieften sich. »Ist das so?« fragte er. »Alle getötet hast du?« Felsen-Dall starrte ihn an. Kaum denkbar, entschied Cogline auf der Stelle. In Wahrheit hat er nicht einen umgebracht, will nur, daß ich das glaube. »Und du bist den ganzen Weg hierhergekommen, um es mir zu berichten, ja?«

»Ich bin hergekommen, um dir ein Ende zu setzen«, erwiderte Felsen-Dall.

Nun, da hast du es, dachte der alte Mann. Was immer der Erste Sucher mit den Shannara-Kindern angestellt hatte, es war nicht genug; er war jetzt auch hinter Cogline her, vielleicht, weil er die leichtere Beute abgab. Der alte Mann mußte beinahe lächeln. Wenn man bedachte, daß es alles hierauf hinauslief. Nun, nicht, daß er es nicht längst gewußt hätte. Allanon hatte ihn vor Wochen gewarnt, warnte ihn übrigens schon, als er ihn aufforderte, die Druidengeschichte aus Paranor zu besorgen. Oh, er hatte Walker natürlich nichts davon gesagt. Er hatte daran gedacht, doch er hatte es nicht getan. Es schien einfach keinen triftigen Grund dafür zu geben. Wisse dies, Cogline, hatte der Schatten prophetisch und mit tiefer Stimme erklärt. Ich habe die Zeichen der Unterwelt gelesen; deine Zeit in dieser Welt ist beinahe abgelaufen. Der Tod ist dir auf den Fersen, und er ist ein unerbittlicher Jäger: Wenn du das nächste Mal Felsen-Dall zu Gesicht bekommst, wird er dich gefunden haben. Wenn dieser Augenblick gekommen ist, nimm Walker Boh die Druidengeschichte wieder ab und halte sie fest, als sei sie dein Leben. Lasse sie nicht los. Gib sie nicht auf. Denk daran, Cogline. Denk daran.

Cogline ordnete seine Gedanken. Die Druidengeschichte ruhte in einer Nische in dem steinernen Kamin in der Hütte, wo Walker sie versteckt hatte.

Denk daran.

Er seufzte müde und resigniert. Er hatte natürlich Fragen gestellt, doch der Schatten hatte keine Antworten gegeben. Typisch Allanon. Es reichte offenbar, daß Cogline wußte, was auf ihn zukam. Es war nicht nötig, daß er die Einzelheiten kannte.

Ondit knurrte. Ihr Fell stand rundum zu Berge. Sie kauerte schützend vor dem alten Mann, und Cogline wußte, daß es unmöglich sein würde, die große Katze zu retten. Ondit würde ihn niemals verlassen. Er schüttelte den Kopf. Nun. Eine seltsame Ruhe nahm von ihm Besitz. Seine Gedanken waren ziemlich klar. Die Schattenwesen waren seinetwegen gekommen. Sie wußten nichts davon, daß Walker Boh hier war. Und dabei wollte er es auch belassen.

Er runzelte die Stirn. Würde ihm die Druidengeschichte, falls es ihm gelang, sie an sich zu nehmen, dabei helfen?

Seine Augen trafen die von Felsen-Dall. Diesmal erschien tatsächlich ein Lächeln auf seinem Gesicht. »Ich glaube, ihr seid zu wenige, um die Arbeit zu erledigen«, sagte er.

Sein Arm schwang in die Höhe, Silberstaub flog auf den Ersten Sucher und entflammte, als er auftraf. Felsen-Dall schrie auf vor Wut und taumelte zurück. Die Kreaturen, die mit ihm waren, griffen an. Von allen Seiten stürmten sie auf Cogline zu, doch Ondit stellte sich ihnen entgegen, stoppte sie am Rand der Veranda und riß die vordersten in Stücke. Cogline warf Händevoll des Silberstaubs auf seine Angreifer, und reihenweise gingen sie in Flammen auf. Die Schattenwesen kreischten und jaulten und stolperten übereinander, als sie erst anzugreifen und dann zu entkommen suchten. Leichen flogen wild durch den Mondschein und füllten die Lichtung mit brennenden Gliedmaßen. Sie fingen an, aufeinander loszugehen. Sie starben zu Dutzenden. Leichte Beute, das haben sie sich so gedacht! Cogline genoß eine wilde, perverse Freude, als er seine Gewänder zurückschlug und die Nacht in grellem Gleißen aufleuchten ließ.

Einen unmöglichen Augenblick lang hielt er es für möglich, daß er überleben würde.

Aber dann tauchte Felsen-Dall wieder auf; zu mächtig, um mit Coglines kleiner Zauberkraft überwältigt zu werden, peitschte er mit seinem eigenen Feuer die Kreaturen an, die er befehligte, seine Hunde und Wölfe und Halbmenschen, seine beinahe verstandeslosen Gehilfen. Die Schattenwesen, die von ihm terrorisiert wurden, griffen mit neuem Haß und neuer Wut wieder an. Diesmal ließen sie sich nicht zurückschlagen. Ondit zerfetzte die erste Welle, riesig und behende zwischen ihren kleineren Gestalten, und dann fielen sie alle über ihn her, ein Wirbelsturm aus Zähnen und Krallen. Cogline konnte nichts tun, um der Katze zu Hilfe zu kommen; selbst als der Silberstaub mitten zwischen ihnen explodierte, ließen die Schattenwesen nicht locker. Ondit verlor langsam an Boden.

Verzweifelt setzte Cogline den letzten Rest seines Pulvers ein und warf es auf den Boden, so daß eine Flammenwand entstand, die dem Vordringen der Biester für einen kurzen Moment Einhalt gebot. Pfeilschnell rannte er in die Hütte und riß die Druidengeschichte aus dem Versteck.

Jetzt werden wir sehen. Kaum war er wieder an die Tür gelangt, als die Schattenwesen die Feuerwand durchbrachen und sich auf ihn stürzten. Er hörte Felsen-Dall, der sie anstachelte. Er fühlte, wie Ondit sich schützend an ihn drückte. Es gab keinen Ausweg, und es war sinnlos, eine Flucht zu versuchen. So blieb er einfach stehen, drückte das Buch an seine Brust wie eine Vogelscheuche in zerrissenen Gewändern vor einem Wirbelsturm.

Seine Angreifer kamen näher. Als ihre Hände ihn berührten, als sein Körper jeden Augenblick in Fetzen gerissen werden würde, fühlte er die Runenzeichen auf dem Buch zu Leben erwachen. Grelles, weißes Feuer brach hervor, und alles im Umkreis von fünfzehn Metern wurde verbrannt.