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Nach einer Weile streckte Quickening sich neben Walker Boh aus und schlief eng an ihn geschmiegt ein. Morgan beobachtete es mit steinernem Gesicht, und eine Welle von Eifersucht, daß der Dunkle Onkel ihr so nah sein durfte, überrollte ihn. Er musterte ihr Gesicht im Feuerschein, die Kurve ihres Körpers, ihre Sanftheit. Sie war so schön. Er konnte die Wirkung, die sie auf ihn hatte, nicht erklären; er hielt sich für außerstande, ihr irgend etwas auszuschlagen. Nicht, daß er die Hoffnung hegte, sie empfände für ihn, was er für sie empfand – oder daß sie überhaupt etwas für ihn übrig hätte. Es war die Sehnsucht, die sie in ihm erweckte. Er hätte nicht mit ihr gehen dürfen, nachdem er aus dem Gefängnis entkommen war und sich vergewissert hatte, daß Elise und Jilt in Sicherheit waren. Er hätte den Talbewohnern Par und Coll Ohmsford folgen sollen. Er hatte sich mehr als einmal vorgenommen, während er in der Finsternis und dem Dreck jener Föderationsgefängniszelle lag, daß er das täte, wenn er je freikommen sollte. Und dennoch war er jetzt hier im tiefsten Anar hinter einem Mädchen her, das nach einem Talisman suchte, von dem sie behauptete, daß es ihn gab, den sie jedoch nie genauer benannt hatte, in Gesellschaft dieses rätselhaften Pe Ell und nun auch noch von Walker Boh. Es verblüffte ihn, doch er stellte es nicht in Frage. Er war hier, weil er hier sein wollte. Er war hier, weil er sich in dem Augenblick, als er Quickening zum ersten Mal sah, hoffnungslos in sie verliebt hatte.

Er betrachtete sie, bis es schmerzte. Dann zwang er sich, den Blick abzuwenden. Er war überrascht, als er Pe Ell am Waldrand stehen sah, der sie ebenfalls betrachtete.

Ein Weilchen später war er wieder überrascht, als der Mann herüberkam und sich neben ihn ans Feuer setzte. Pe Ell tat so, als sei es die natürlichste Sache der Welt, als hätten die beiden Männer nie Abstand voneinander gehalten, als wären sie Gefährten und nicht Fremde. Mit schmalem Gesicht, mager wie der Schatten eines Drahtes, war er kaum mehr als einen Anhäufung von Linien und Kanten, die in der Dunkelheit zu verschwinden drohten. Mit gekreuzten Beinen saß er da, die magere Gestalt entspannt, zusammengekauert, und ein kleines Lächeln spielte um seinen Mund, als er Morgan die Stirn runzeln sah. »Du traust mir nicht«, sagte er. »Das solltest du auch nicht.«

»Warum nicht?« fragte Morgan.

»Weil du mich nicht kennst, und man traut niemandem, den man nicht kennt. Und den meisten, die man kennt, traut man besser auch nicht. So ist es einfach. Sag mal, Hochländer, was meinst du, warum ich hier bin?«

»Keine Ahnung.«

»Ich weiß es selber nicht. Und ich wäre bereit zu wetten, daß es dir genauso geht. Wir sind hier, du und ich, weil das Mädchen uns sagt, daß sie uns braucht, aber wir wissen nicht wirklich, was sie meint. Wir bringen es einfach nicht fertig, nein zu sagen.« Pe Ell schien sich gleichzeitig selbst die Situation zu erklären, während er zu Morgan sprach. Er sah kurz in Quickenings Richtung und nickte. »Sie ist hinreißend, nicht wahr? Wie kann man jemandem etwas abschlagen, der so aussieht? Aber da ist noch mehr, denn sie hat auch etwas in sich, etwas Besonderes, sogar in dieser Welt. Sie hat Magie, die stärkste Art von Magie. Sie bringt Totes wieder zum Leben – wie die Gärten, wie den da drüben.«

Er schaute Morgan wieder an. »Wir alle wollen diese Magie berühren, wollen über sie damit in Berührung kommen. Das ist, was ich glaube. Vielleicht gelingt es uns, wenn wir Glück haben. Aber wenn die Schattenwesen in diese Angelegenheit verwickelt sind, wenn die Dinge, mit denen wir uns abzugeben haben, so schlimm sind, na, dann werden wir uns um einander kümmern müssen. Du brauchst mir also nicht zu trauen, und ich nicht dir – vielleicht sollten wir das nicht –, aber wir müssen einander Rückendeckung geben. Meinst du nicht auch?«

Morgan war nicht sicher, ob er das auch meinte, aber er nickte trotzdem. Was er meinte, war, daß Pe Ell nicht von der Sorte zu sein schien, der sich darauf verließ, daß irgendwer ihm Rückendeckung gäbe. Oder gar seinerseits irgend jemandem Rückendeckung geben würde.

»Weißt du, was ich bin?« fragte Pe Ell leise, den Blick ins Feuer gerichtet. »Ich bin ein Handwerker. Ich kann Orte betreten und verlassen, ohne daß man mich bemerkt. Ich kann Sachen wegrücken, die sich nicht bewegen lassen wollen. Ich lasse Leute verschwinden.« Er schaute auf. »Ich verfüge über ein wenig Magie. Du auch, nicht wahr?«

Morgan schüttelte den Kopf, er war auf der Hut. »Da drüben ist der Mann mit der Magie«, bot er mit einer Geste in Walker Bohs Richtung an.

Pe Ell lächelte zweifelnd. »Schien ihm mit den Schattenwesen nicht allzuviel gebracht zu haben.«

»Vielleicht hat es ihm das Leben gerettet.«

»Haarscharf, wie es scheint. Und was soll er uns nützen, mit seinem Arm?« Pe Ell faltete die Hände. »Sag mal. Was kann er mit seiner Magie denn anfangen?«

Morgan gefiel diese Frage nicht. »Er kann eine Menge von dem, was du kannst. Frag ihn selbst, wenn’s ihm besser geht.«

»Falls es ihm je besser geht.« Pe Ell erhob sich geschmeidig und ohne jede Anstrengung, so daß Morgan überrascht war. Schnell, dachte der Hochländer. Viel schneller als ich. Der andere schaute ihn an. »Ich fühle die Magie in dir, Hochländer. Ich möchte, daß du mir mal davon erzählst. Später, wenn wir ein bißchen länger zusammen gereist sind, wenn wir einander ein bißchen besser kennen. Wenn du mir vertraust.«

Er verzog sich in den Schatten am Rande des Feuers, breitete seine Decke auf dem Boden aus und rollte sich hinein. Er schlief fast augenblicklich ein.

Morgan saß da und starrte eine Weile zu ihm hinüber. Es dürfte einige Zeit dauern, bis er dem da vertrauen würde, dachte er. Pe Ell lächelte zwar leicht, aber es sah so aus, als sei nur sein Mund an diesem Akt beteiligt. Morgan überdachte, was der Mann von sich selber gesagt hatte, und versuchte, einen Sinn darin zu finden. Ich kann Orte betreten und verlassen, ohne daß man mich bemerkt? Ich kann Sachen wegrücken, die sich nicht bewegen lassen wollen? Ich lasse Leute verschwinden? Was war das für ein zweideutiges Gerede?

Das Feuer brannte herunter, und alle um ihn herum schliefen. Morgan dachte an die Vergangenheit, an seine Freunde, die tot oder verschollen waren, an den unaufhaltbaren Lauf der Ereignisse, die ihn mitschwemmten. Und vor allem dachte er über das Mädchen nach, das behauptete, die Tochter des Königs vom Silberfluß zu sein. Quickening.

Was würde sie von ihm verlangen?

Was würde er zu geben in der Lage sein?

Walker Boh erwachte bei Sonnenaufgang, tauchte aus dem schwarzen Abgrund der Bewußtlosigkeit. Er schlug die Augen auf und sah das Mädchen, das auf ihn hinunterblickte. Ihre Hände lagen auf seinem Gesicht. Ihre Finger fühlten sich kühl und sanft auf seiner Haut an, und es war, als hebe sie ihn mit ebensowenig Anstrengung hoch, wie es braucht, um eine Feder zu heben.

»Walker Boh.« Freundlich nannte sie ihn beim Namen.

Sie kam ihm seltsam bekannt vor, obwohl er sicher war, daß er sie noch nie gesehen hatte. Er versuchte zu sprechen, doch er konnte nicht. Irgend etwas hinderte ihn daran, ein Staunen über ihre exquisite Schönheit, über die Gefühle, die sie in ihm weckte. Er empfand sie wie die Erde, voll fremdartiger Magie, die gleichzeitig einfach und komplex war, ein Gefäß von Elementen, Erde, Luft und Wasser, Teil von allem, das Leben gibt. Er sah sie anders als Morgan Leah und Pe Ell, doch das konnte er noch nicht wissen. Er fühlte sich nicht als Liebhaber oder als Beschützer zu ihr hingezogen, er hatte nicht den Wunsch, sie zu besitzen. Statt dessen bestand eine Zuneigung zwischen ihnen, die Leidenschaft und Sehnsucht transzendierte. Ein Band unmittelbaren Verstehens einte sie, wie Gefühle es niemals konnten. Walker erkannte das Vorhandensein dieses Bandes, auch ohne es beschreiben zu können. Dieses Mädchen war etwas von dem, was er sein Leben lang zu sein sich abgemüht hatte. Dieses Mädchen war ein Spiegel seiner Träume.