»Es gibt noch einen Grund, warum ihr mir helfen solltet«, sagte sie. »Alles ist möglich, wenn ihr mitkommt. Walker Boh. Ich habe das Gift aus deinem Körper entfernt und dich gesund gemacht. Ich habe deinen Arm geheilt, aber ich bin nicht in der Lage, dich wieder heil und ganz zu machen. Komm mit mir auf die Suche nach dem schwarzen Elfenstein, dann wirst du einen Weg finden, deine Ganzheit wiederzugewinnen. Morgan Leah. Du kannst die Magie deines zerbrochenen Schwertes wiederherstellen. Komm mit. Pe Ell. Du trachtest nach stärkerer Magie, als sie die Schattenwesen haben. Komm mit. Mein Vater sagt, daß ihr zusammen alle Schlüssel besitzt, die alle diese Geheimnisse erschließen. Mein Vater weiß, was möglich ist. Er würde nicht lügen.«
Sie hob ihr Gesicht. »Die Vier Länder und ihre Völker werden von den Schattenwesen bedroht; doch nicht mehr, als von Uhl Belk. Die Mittel, die eine Bedrohung beenden, werden sich durch die Beendigung der anderen finden. Der schwarze Elfenstein ist der Talisman, der beide enden kann. Ich weiß, daß ihr das noch nicht verstehen könnt; ich weiß, daß ich es euch nicht erklären kann. Ich weiß nicht, wie es euch bei dieser Suche ergehen wird. Aber ich werde mit euch gehen, mit euch leben oder sterben, erfolgreich sein oder versagen. Wir werden durch das, was geschehen wird, für immer verbunden sein.«
So, wie wir irgendwie schon jetzt verbunden sind, dachte Walker und wunderte sich erneut über das Gefühl, das nach wie vor da war.
Stille kristallisierte sich um sie herum. Niemand wollte seine Schale brechen. Da waren Fragen, die noch nicht gestellt, Antworten, die noch nicht gegeben waren; da waren Zweifel und Vorbehalte und Ängste, die es zu überwinden galt. Ihnen allen war vor kaum einer Woche eine Zukunft gegeben worden, die sich nun als dunkler, ungewisser Pfad vor ihnen auftat, der sie führen würde, wohin es ihm beliebte. Uhl Belk, der Steinkönig, wartete am Ende dieses Pfads, und sie waren bereit, ihn aufzusuchen. Es war längst beschlossene Sache. Ohne daß irgendwer etwas gesagt hätte, war es entschieden. Das war die Macht von Quickenings Zauber, der Magie, die sie auf des Leben anderer ausübte, einer Magie, die nicht nur Leben von Totgeglaubtem wiedererweckte, sondern auch Hoffnungen und Träume in den Lebenden freisetzte.
So war es auch jetzt.
Morgan Leah dachte darüber nach, wie es wäre, wenn er das Schwert von Leah wiederbekäme. Er erinnerte sich daran, wie es sich anfühlte, als er seine Magie befehligen konnte. Pe Ell malte sich aus, wie es wohl wäre, wenn er im Besitz einer Waffe wäre, gegen die niemand etwas ausrichten konnte. Er erinnerte sich, wie es war, wenn er den Stiehl benutzte. Er fragte sich, ob es wohl genauso wäre.
Nur Walker Boh dachte weniger an sich selbst als an den schwarzen Elfenstein. Er blieb der Schlüssel zu all den verschlossenen Türen. Konnte Paranor wiedererstellt, konnten die Druiden zurückgebracht werden? Allanons Auftrag an ihn, Teil dessen, was getan werden mußte, sollten die Schattenwesen vernichtet werden. Und nun, zum ersten Mal, seit er die Träume gehabt hatte, wünschte er sie vernichtet. Mehr noch, er wollte derjenige sein, der es tat.
Er schaute in Quickenings schwarze Augen, und es war, als könne sie seine Gedanken lesen. Ein Druidentrick. Eine Feengabe.
Und plötzlich erinnerte er sich voller Schrecken, wo er sie schon einmal gesehen hatte.
Später in der Nacht ging er zu ihr, um es ihr zu sagen. Er brauchte lange, bis er sich dazu durchrang. Es wäre leichter gewesen, nichts zu sagen, denn wenn er davon sprach, riskierte er, seine Freundschaft mit ihr und seine Teilnahme an der Reise nach Eldwist aufs Spiel zu setzen. Aber zu schweigen wäre einer Lüge gleichgekommen, und dazu konnte er sich nicht entschließen. Er wartete, bis Morgan und Pe Ell eingeschlafen waren, bis die Nacht in Schwärze gehüllt war und die Zeit nur noch langsam vorankroch. Dann erhob er sich geräuschlos von seiner Decke, noch immer steif und mit Schmerzen von seiner Krankheit, und überquerte die feuerbeschienene Lichtung zu der Stelle, wo sie ihn erwartete.
Als er an der Ruine der Hütte vorbeikam, schaute er hinüber. Früher am Abend, als es noch hell war, hatte er die schwelende Asche nach Resten der Druidengeschichte durchsucht. Er hatte nichts gefunden.
Quickening schlief nicht. Er wußte, daß sie nicht schlafen würde. Sie saß im Schatten einer gewaltigen Kiefer, wo die Bäume, die die Lichtung umgaben, am weitesten von den Schlafenden entfernt waren. Er war noch immer schwach und konnte nicht weit gehen, doch er wollte nicht mit ihr sprechen, wo die beiden anderen ihn hören könnten. Sie schien dies zu fühlen; als er sich näherte, ging sie wortlos mit ihm tiefer in den Wald. Als sie in sicherem Abstand waren, verlangsamte sie ihre Schritte und schaute ihn an.
»Was möchtest du mir sagen, Walker Boh?« fragte sie und zog ihn hinunter auf den kühlen Waldboden.
Er brauchte eine Weile, ehe er zu sprechen begann. Er fühlte wieder die seltsame Verwandtschaft zu ihr, ohne bislang zu verstehen, warum, und das brachte ihn beinahe dazu, sich anders zu besinnen. Er fürchtete sich vor den Worten, die zu sagen er gekommen war, und vor der Reaktion, die sie auslösen würden.
»Quickening«, sagte er schließlich, und als der Klang ihres Namens über seine Lippen kam, ließ ihn das erneut innehalten. Dann riß er sich zusammen. »Cogline gab mir einen Band der Druidengeschichte, bevor er starb. Das Buch wurde vom Feuer zerstört. In dem Buch stand eine Passage, die besagte, daß der schwarze Elfenstein ein Druidenzauber sei und die Macht besitze, das untergegangene Paranor wieder erstehen zu lassen. Das war die Aufgabe, mit der mich der Schatten Allanons betraute, als ich ihn vor ein paar Wochen am Hadeshorn getroffen habe – den Vier Ländern Paranor und die Druiden wiederzubringen. Es war ein Auftrag, den anzunehmen Cogline mich drängte. Er brachte mir die Druidengeschichte, um mich davon zu überzeugen, daß es durchführbar ist.«
»Ich weiß das«, sagte sie leise.
Ihre schwarzen Augen drohten ihn zu verschlingen, und er zwang sich wegzuschauen. »Ich habe daran gezweifelt«, fuhr er fort, und es fiel ihm immer schwerer. »Ich zweifelte an seinen Absichten, wußte nicht, warum er mir das erzählte, beschuldigte ihn, den Interessen der Druiden zu dienen. Ich wollte mit keinem von ihnen etwas zu tun haben. Aber meine Neugier auf den schwarzen Elfenstein brachte mich dazu, der Sache trotzdem nachzugehen, sogar, nachdem Cogline fortgegangen war. Ich beschloß herauszufinden, wo der Elfenstein versteckt war. Ich ging zum Finsterweiher.«
Er schaute wieder zu ihr auf und hielt seinen Blick beständig. »Mir wurden drei Visionen gezeigt. Alle drei handelten von mir. In der ersten stand ich vor den anderen der Gruppe, die zum Treffen mit Allanon zum Hadeshorn gereist waren, und verkündete, daß ich mir eher eine Hand abhacken, als die Druiden wiederzubringen helfen würde. Die Vision verspottete meine Worte und zeigte mich schon ohne meine Hand. Und nun ist sie wirklich weg. Nicht nur die Hand, der ganze Arm.«
Seine Stimme bebte. »Die dritte Vision hat in diesem Zusammenhang keine Bedeutung, doch in der zweiten stand ich am Rande eines Abgrundes, von dem aus man über die Welt schauen konnte. Ein Mädchen war bei mir. Sie verlor das Gleichgewicht und faßte nach mir. Als sie das tat, stieß ich sie fort, und sie stürzte in die Tiefe. Dieses Mädchen warst du, Quickening.«
Er wartete auf ihre Reaktion. Schweigen füllte den Raum zwischen ihnen, bis Walker das Gefühl hatte, nichts trenne sie mehr. Quickening sagte nichts. Sie hielt den Blick auf ihn gerichtet, und ihr Gesicht war bar jeden Ausdrucks.
»Du kennst doch den Finsterweiher!« rief er schließlich voller Entrüstung.
Dann sah er sie blinzeln und erkannte, daß sie an etwas völlig anderes gedacht hatte. »Er ist ein verbannter Geist«, sagte sie.
»Einer, der in Rätseln spricht und lügt und doch ein gewisses Maß an Wahrheit sagt, die er in irreleitender Weise verbrämt. Er tat es bei meiner ersten Vision. Mein Arm ist weg. Ich will nicht, daß dir das gleiche geschieht.«