Sie zogen weiter in ein drittes Bierhaus und in ein viertes. Überall waren die Antworten auf Quickenings Fragen die gleichen. Niemand wußte etwas über Eldwist und Uhl Belk, und niemand wollte etwas wissen. Es gab vielleicht acht Trinkhäuser an der Straße. Die meisten boten Betten im Oberstock und Vorräte aus dahinterliegenden Lagern an. Einige waren gleichzeitig Handels- oder Tauschstationen. Rampling Steep war die einzige Stadt im Umkreis von mehreren Tagesreisen in allen Richtungen im unteren Teil des Charnalgebirges, und es lag an der Kreuzung der Wege, die aus dem Gebirge herunterführten, so daß viel Verkehr hindurchkam, vor allem Trapper und Händler, doch auch andere. In allen Bierhäusern waren Durchreisende oder zeitweilig Ansässige auf dem Weg von oder nach irgendwo versammelt. Die Gespräche aller Art handelten von Geschäft und Politik, von bereisten Straßen und gesehenen Wundern, von Leuten und Orten aller Vier Länder. Walker lauschte, ohne den Anschein zu erwecken, und er meinte, Pe Ell tue das gleiche.
In dem fünften Bierhaus, das sie aufsuchten – Walker hatte nicht einmal auf seinen Namen geachtet –, erhielten sie endlich die Information, die sie suchten. Der Wirt war ein großer, rotgesichtiger Kerl mit Narben im Gesicht und beflissenem Lächeln. Er musterte Quickening in einer Weise, die Walker unbehaglich war. Dann schlug er vor, das Mädchen solle für ein paar Tage ein Zimmer mit ihm teilen, nur um zu sehen, ob sie die Stadt nicht gern genug mochte, um zu bleiben. Morgan Leah funkelte zornig mit den Augen, doch Quickening schirmte ihn durch eine leichte Drehung ihres Körpers ab, gab den dreisten Blick des Wirts zurück und erklärte, sie sei nicht daran interessiert. Der Wirt drängte nicht. Statt dessen, und zu aller Überraschung angesichts des Korbs, den er gerade bekommen hatte, sagte er ihr, daß der Mann, den sie suchte, ein Stück weiter die Straße hinunter in der Gehäuteten Katze zu finden sei. Sein Name, sagte er, laute Horner Dees.
Sie traten wieder in die Nacht hinaus, und der Wirt sah aus, als sei er ganz und gar nicht sicher, was er da gerade getan hatte. Der Blick sagte alles. Quickening hatte diese Gabe; es war die Essenz ihrer Magie. Sie konnte einen umstimmen, ehe man es begriff. Sie konnte einen dazu bringen, sich in einer Weise preiszugeben, die man niemals beabsichtigt hatte. Sie konnte einen dazu bringen, ihr gefallen zu wollen. Es war etwas, das eine schöne Frau einen Mann veranlassen konnte zu tun, doch bei Quickening war es viel mehr als nur ihre Schönheit, die einen entwaffnete. Es war das Wesen, das in ihr steckte, der Elementargeist, der menschlich aussah, aber weit mehr war, eine Verkörperung der Magie, von der Walker glaubte, sie reflektiere ihren Vater, der sie geschaffen hatte. Er kannte die Geschichten über den König vom Silberfluß. Wenn man ihm begegnete, sagte man ihm, was er wissen wollte, und man konnte sich nicht verstellen. Seine Gegenwart reichte aus, einen wollen zu lassen, es ihm zu sagen. Walker hatte gesehen, wie Morgan und Pe Ell und die Männer in den Kneipen auf sie reagierten. Und er ebenso. Sie war wirklich durch und durch das Kind ihres Vaters.
Sie fanden die Gehäutete Katze am Ortsausgang im Schatten mehrerer gewaltiger alter Korkeichen. Es war ein großes, ausladendes Gebäude, das allein durch die Bewegungen der Männer und Frauen im Inneren in allen Fugen knirschte und quietschte, und das nur aus Starrsinnigkeit zusammenzuhalten schien. Es war voll wie die anderen, doch es gab mehr Raum zum Füllen und entlang der Wände hatte man Nischen und Abtrennungen errichtet, um es weniger scheunenartig wirken zu lassen. Lampen standen verstreut herum wie Freunde, die einander im Dämmerlicht zublinzelten, und die Kunden drängten sich an der Theke und saßen an langen Tischen. Als sie eintraten, drehten sich die Köpfe nach ihnen um, wie sie sich in den anderen Kneipen umgeschaut hatten, die Blicke folgten ihnen. Quickening suchte den Wirt auf, der sie anhörte und auf das hintere Ende des Saales zeigte. Dort saß ein Mann allein in einer schattigen Nische am Tisch, gebeugt und gesichtslos, fern der Menge und der Lichter.
Die vier gingen zu ihm und blieben vor seinem Tisch stehen.
»Horner Dees«, sagte Quickening mit ihrer Seidenstimme.
Grobe Hände setzten den Bierkrug langsam von den bärtigen Lippen zurück auf den Tisch, und ein breites, zerzaustes Gesicht hob sich ihnen entgegen. Der Mann war riesig, ein großer, alter Bär von einem Kerl, der seine besten Jahre hinter sich hatte. Er war über und über behaart, auf den Unterarmen, den Handrücken, am Hals und auf der Brust, auf dem Kopf und im Gesicht, so überwachsen, daß abgesehen von seiner Nase und seinen Augen seine Züge fast vollständig zugedeckt waren. Es war unmöglich, sein Alter zu schätzen, doch das Haar war silbergrau und die Haut darunter runzlig, gebräunt und gesprenkelt, seine Finger knorrig wie alte Wurzeln.
»Mag sein«, brummte er unwillig. Seine Stimme schien aus der Höhle eines Riesen zu dröhnen. Seine Augen waren fest auf das Mädchen gerichtet.
»Ich heiße Quickening«, sagte sie. »Das hier sind meine Gefährten. Wir suchen einen Ort namens Eldwist und einen Mann namens Uhl Belk. Man sagte uns, daß du beide kennst.«
»Man hat euch was Falsches gesagt.«
»Kannst du uns hinbringen?« fragte sie, ohne auf seine Worte einzugehen.
»Ich habe doch gesagt …«
»Kannst du uns hinbringen?« wiederholte sie.
Der große Mann starrte sie an, ohne etwas zu sagen, ohne sich zu rühren, ohne einen Hinweis auf seine Gedanken. Er war wie ein gewaltiger Felsblock, der Wetter und Erosion über sich hatte ergehen lassen und sie nur als eine vorüberwehende Brise betrachtet hatte. »Wer bist du?« fragte er schließlich. »Wer, abgesehen von deinem Namen?«
Quickening zögerte nicht. »Ich bin die Tochter des Königs vom Silberfluß. Kennst du ihn, Horner Dees?«
Er nickte bedächtig. »Ja, ich kenne ihn. Und vielleicht bist du, wer zu sein du vorgibst. Vielleicht bin ich derjenige, für den du mich hältst. Vielleicht kenne ich sogar Eldwist und Uhl Belk. Vielleicht bin ich der einzige, der sie kennt – der einzige, der noch lebt, um dir darüber zu erzählen. Vielleicht kann ich sogar tun, was du erbittest, und dich hinbringen. Aber ich sehe keinen Grund dazu. Setzt euch.«
Er zeigte auf eine Reihe leerer Stühle, und die vier ließen sich ihm gegenüber am Tisch nieder. Er musterte die Männer einen nach dem anderen, dann richtete er seinen Blick wieder auf das Mädchen. »Ihr seht nicht aus wie Leute, die nicht wissen, was sie tun. Warum wollt ihr Uhl Belk aufsuchen?«
Quickenings schwarze Augen waren unergründlich und intensiv. »Uhl Belk stahl etwas, das ihm nicht zusteht. Es muß zurückgeholt werden.«
Horner Dees schnaubte höhnisch. »Ihr wollt es zurückstehlen, ja?
Oder ihn einfach bitten, es zurückzugeben? Wißt ihr etwas über Belk? Ich ja.«
»Er stahl einen Talisman der Druiden.«
Dees zögerte. Sein bärtiges Gesicht verzog sich, während er auf etwas Eingebildetem kaute. »Mädchen, niemand, der nach Eldwist geht, kommt wieder heraus. Niemand außer mir, und ich hatte ganz einfach Glück. Es gibt Dinge dort, gegen die nichts ankommt. Belk ist ein Überbleibsel aus einem anderen Zeitalter, voll finsterer Magie und Bosheit. Du wirst ihm nichts wegnehmen, und er wird euch nichts geben.«
»Meine Begleiter sind stärker als Uhl Belk«, erwiderte Quickening. »Auch sie haben Magie, und die wird seine überwinden. Mein Vater sagt, daß es so sein wird. Diese drei«, und sie nannte ihre Namen, »werden erfolgreich sein.«