Morgan Leah, falls Pe Ell sich die Mühe gemacht hätte, ihn zu fragen, hätte vielleicht zugestimmt. Er war der Jüngste und trotz seiner kecken Art der Unsicherste. Er war noch immer eher ein Junge als ein erwachsener Mann, eine Tatsache, die er sich gezwungenermaßen selbst eingestehen mußte, wenn auch keinem anderen. Er war weniger weit herumgekommen und hatte weniger geleistet. Er wußte über praktisch alles weniger gut Bescheid. Den größten Teil seines Lebens hatte er im Hochland von Leah verbracht, und auch wenn er den Föderationsoffizieren die Besetzung seiner Heimat, die sie zu regieren suchten, einigermaßen unerfreulich gestaltet hatte, so hatte er doch darüber hinaus wenig Beachtenswertes geleistet. Er war hoffnungslos in Quickening verliebt, und er hatte ihr nichts anzubieten. Das Schwert von Leah war die Waffe, die sie für ihre Suche nach dem schwarzen Elfenstein brauchte, der Talisman, der Uhl Belk besiegen konnte. Doch das Schwert hatte den größten Teil seiner Magie eingebüßt, als es an der runengeschmückten Tür, die aus der Grube führte, zersplitterte. Was davon übrig war, war unzureichend und – schlimmer noch – unzuverlässig. Und ohne das Schwert sah er nicht, wie er in dieser Angelegenheit von Nutzen sein könnte. Vielleicht hatte Quickening recht, wenn sie meinte, er könne die Magie des Schwertes wiedererlangen, wenn er mit ihr ginge. Aber was würde geschehen, wenn sie bedroht würde, ehe das geschah? Wer von ihnen würde sie beschützen? Er hatte nur ein zerbrochenes Schwert. Walker Boh schien ohne seinen Arm weit weniger großartig als zuvor – ein Mann auf der Suche nach sich selbst. Horner Dees war alt und ergraut. Nur Pe Ell mit seiner nach wie vor geheimnisvollen Magie und seiner rätselhaften Art schien in der Lage, die Tochter des Königs vom Silberfluß zu verteidigen.
Trotzdem war Morgan entschlossen, die Suche fortzusetzen. Er war sich nicht ganz sicher über die Gründe. Vielleicht war es Stolz, vielleicht eine starrsinnige Weigerung, sich selbst aufzugeben. Was immer es war, es hielt eine leise Hoffnung am Leben, daß er sich irgendwie diesem wundersamen, merkwürdigen Mädchen, in das er sich verliebt hatte, als nützlich erweisen könnte, daß er irgendwie imstande wäre, sie vor allem zu beschützen, was immer sie bedrohte, und daß er mit Zeit und Geduld herausfinden würde, wie er die Magie des Schwertes von Leah wiederherstellen könnte. Er erledigte fleißig die Aufgaben, die Horner Dees ihm zur Ausrüstung der kleinen Mannschaft für die Reise nach Norden stellte, und war meistens eifriger als die anderen. Er dachte ständig an Quickening, spielte mit Bildern von ihr in seinem Bewußtsein. Sie war ein Geschenk, das wußte er. Sie war die Erfüllung all dessen, was er erträumt hatte. Es war mehr als nur die Tatsache, daß sie hinreißend war, mehr als nur ihr Anblick oder ihre Berührung, oder daß sie ihn aus dem Föderationsgefängnis befreit oder den Zwergen von Culhaven die Meadegärten wiedergegeben hatte. Es war das, was er zwischen ihnen beiden fühlte, ein unantastbares Band, das sich von dem, das sie mit den anderen verband, unterschied. Es war da, wenn sie mit ihm sprach, wenn sie ihn beim Vornamen nannte, was sie bei den anderen nicht tat. Es lag in der Weise, wie sie ihn anschaute. Es war etwas unglaublich Kostbares.
Er faßte den Entschluß, es nicht aufzugeben, was immer es war, als was immer es sich herausstellen würde. Es wurde, zu seiner Überraschung und sogar zu seiner großen Freude, das Wichtigste in seinem Leben.
Auch Walker Boh hatte etwas in der Hand, aber es war nicht so leicht zu bestimmen. Entsprechend Morgans Entschlossenheit zu lieben, und Pe Ells, zu töten, gab es eine Verbindung, die ihn mit Quickening verkettete. Da war diese seltsame Verwandtschaft zwischen ihnen, diese Gemeinsamkeit von Magie, die ihnen den Einblick ineinander gab und die kein anderer besaß. Wie der Hochländer und der Mörder glaubte auch er, daß ihre Beziehung anders war als die der anderen, persönlicher und bedeutsamer, dauerhafter. Er fühlte nicht Liebe zu ihr wie Morgan, er wollte sie nicht besitzen wie Pe Ell. Ihm lag daran, ihre Magie zu verstehen, denn wenn ihm das gelänge, so würde er, davon war er überzeugt, endlich auch seine eigene begreifen.
Das Dilemma lag darin, festzulegen, ob es eine gute Idee war oder nicht. Es reichte nicht, daß sein Bedürfnis unwiderstehlich war. Der Tod von Cogline und Ondit hatte das bewirkt. Er wußte, daß er die Magie verstehen mußte, wenn er die Schattenwesen vernichten wollte. Aber er hatte noch immer Angst vor einem solchen Wissen. Die Magie verlangte immer ihren Preis. Er war fasziniert davon, seit er entdeckte, daß er sie besaß – und hatte gleichzeitig Angst davor. Angst und Neugier hatten ihn sein Leben lang hin und her gerissen. So war es gewesen, als sein Vater ihm von seinem Erbe berichtet hatte, als er sich erfolglos abgemüht hatte, bei den Leuten von Shady Vale zu Hause zu sein, als Cogline zu ihm gekommen war und ihm angeboten hatte, ihn zu lehren, wie die Magie funktionierte, und als er aus der Druidengeschichte von der Existenz des schwarzen Elfensteins erfahren und begriffen hatte, daß die Aufgabe, die Allanons Schatten ihm anvertraut hatte, erfüllt werden konnte. Und jetzt war es wieder so.
Er hatte sich eine Weile Sorgen gemacht, daß er die Magie gänzlich verloren habe, daß sie durch das Gift des Asphinx zerstört worden sei. Doch mit der Genesung seines Körpers war auch sein Geist wiederhergestellt, und damit das Bewußtsein, daß seine Magie überlebt hatte. Er hatte sie unterwegs mit Kleinigkeiten getestet. Er wußte, daß sie da war, wenn zum Beispiel etwas in seinem Inneren auf Quickenings Gegenwart reagierte und auf ihre Wirkung auf andere, darauf, wie sie ihre eigene Magie einsetzte, um Morgan und Pe Ell und ihn selbst an sich zu binden. Sie war auch spürbar in der Weise, wie er Dinge fühlte. Er hatte das Zögern in dem Blick, den Horner Dees Pe Ell gewidmet hatte, bemerkt. Er konnte die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Gruppe und Quickening wahrnehmen, er hatte ein Gespür für die Gefühle, die unter der Oberfläche der Blicke und Worte lagen, die sie austauschten. Manchmal hatte er Einsichten, Vorahnungen. Es gab keinen Zweifel. Die Magie war noch immer da.
Doch sie war geschwächt und nicht mehr die furchteinflößende Waffe, die sie einst gewesen war. Das gab Walker Luft. Es war eine Gelegenheit, sich ihrem Einfluß zu entziehen, dem Schatten, den sie auf sein Leben warf, dem Vermächtnis von Brin Ohmsford und den Druiden, allem, was ihn zum Dunklen Onkel gemacht hatte. Wenn er es nicht auf die Probe stellte, gäbe es auch kein Unheil. Die Magie würde schlummern, glaubte er, wenn sie nicht aufgestört wurde. Wenn er sie in Ruhe ließ, mochte er sich vielleicht losbrechen können.
Doch ohne sie würden auch die Schattenwesen ungeschoren bleiben. Und was hatte es für einen Sinn, diese Reise nach Eldwist zu unternehmen und Uhl Belk herauszufordern, wenn er nicht die Absicht hatte, die Magie zu benutzen? Welchem Zweck sollte der schwarze Elfenstein dienen?
So strich jeder in seinem selbstgemachten Käfig herum, Walker Boh und Morgan Leah und Pe Ell, mißtrauische Katzen mit scharfen Augen und hungrigem Blick, jeder begierig auf das, was er in den kommenden Tagen tun würde, und gleichzeitig noch immer zu sehr voller Fragen, um sicher zu sein. Sie leisteten sich gegenseitig Gesellschaft, ohne sich näherzukommen. Vorräte wurden zusammengetragen und eingepackt, und die Zeit verging wie im Fluge. Horner Dees schien zufrieden, doch er war der einzige. Die drei anderen kämpften gegen die Zwänge ihrer Ungewißheit, Ungeduld und Zweifel an, trotz ihrer Entschlossenheit, es anders sein zu lassen, und nichts, was sie taten oder dachten, schaffte ihnen Erleichterung. Finsternis lag vor ihnen, baute sich wie eine Gewitterwolke auf, und sie konnten nicht sehen, was sie dahinter erwartete. Sie sahen, wie sie sich vor ihnen auftürmte wie eine Mauer, ein Zusammentreffen von Ereignis und Umständen, eine Explosion von Magie und roher Gewalt, eine Offenbarung von Bedürfnis und Absicht. Schwarz und undurchdringlich und bereit, sie zu verschlingen.