Die fünf aus Rampling Steep starrten ihn an.
»Bitte«, sagte er. »Es macht die Sache leichter, wenn ihr es tut.« Dees schaute seine Gefährten an, zuckte mit den Achseln und tat, um was man ihn gebeten hatte. Walker und Quickening besaßen keine Waffen. Morgan zögerte. Pe Ell rührte sich überhaupt nicht.
»Es soll nur zeigen, daß ihr mit freundlicher Absicht gekommen seid«, fuhr der Mann aufmunternd fort. »Wenn ihr eure Waffen nicht niederlegt, erlauben mir meine Untertanen nicht, mich euch zu nähern. Ich müßte euch von hier aus zubrüllen.« Dann sang er wieder:
Morgan fügte sich nach einem strengen Blick von Dees. Es war schwer zu sagen, was Pe Ell getan hätte, wenn Quickening sich nicht zu ihm umgedreht und geflüstert hätte: »Tu, was er sagt.« Selbst dann zögerte Pe Ell noch, ehe er sein Breitschwert losschnallte. Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel übrig. Morgan wäre jede Wette eingegangen, daß Pe Ell abgesehen von dem Breitschwert noch eine weitere Waffe bei sich hatte.
»So ist es besser«, verkündete der Fremdling. »Und jetzt tretet einen Schritt zurück. So!« Er winkte, und die Urdas erhoben sich rasch auf die Füße. Er war ein mittelgroßer Mann mit schnellen, energischen Bewegungen und einem glattrasierten hübschen Gesicht unter seinem langen, goldblonden Haar. Seine blauen Augen zwinkerten. Er gestikulierte zu den Urdas und dann auf die Waffen am Boden. Die merkwürdig aussehenden Geschöpfe murmelten zustimmend und nickten mit den Köpfen. Er sang wieder etwas, das die Urdas zu kennen schienen. Seine Stimme war voll und wohltönend, und sein hübsches Gesicht strahlte. Als er geendet hatte, teilte sich der Kreis und ließ ihn hindurchtreten. Er trat direkt vor Quickening, verbeugte sich tief vor ihr, nahm ihre Hand in die seine und küßte sie. »Meine Lady«, sagte er.
Dann sang er:
Er verbeugte sich wieder vor Quickening. »So werde ich genannt, Lady. Und du?«
Quickening stellte sich und ihre Gefährten vor. Es schien sie nicht zu beunruhigen, wenn er sie erführe. »Bist du tatsächlich ein König?« fragte sie.
Carisman strahlte. »O ja, Lady. Ich bin König der Urdas, Herr über alle, die du hier versammelt siehst, und noch viele, viele mehr. Um ehrlich zu sein, ich habe mir diesen Job nicht ausgesucht, er wurde mir sozusagen aufgezwungen. Aber kommt nun. Wir haben reichlich Zeit, diese Geschichte später zu erzählen. Nehmt eure Waffen – behutsam natürlich. Wir dürfen meine Untertanen nicht mißtrauisch machen, sie beschützen mich eifrig. Ich lade euch in meinen Palast ein, und wir werden reden und Wein trinken und exotische Früchte und Fische verspeisen. Kommt jetzt, kommt, es soll ein königliches Fest werden!«
Dees versuchte etwas zu sagen, doch Carisman war so schnell wie eine Feder, die vom Wind getragen wird, verschwunden; tanzend und irgendein neues Lied singend winkte er ihnen zu folgen. Der Fährtensucher, Morgan und Pe Ell nahmen ihre Waffen wieder an sich, und zusammen mit Quickening und Walker folgten sie ihm. Urdas umzingelten sie von allen Seiten, sie drängten sie nicht, doch sie blieben unbehaglich nah. Die seltsamen Kreaturen sprachen nicht, sondern machten sich nur Zeichen, und ihre Blicke huschten zwischen Carisman und den Reisenden fragend und wachsam hin und her. Morgan erwiderte den Blick jener, die ihm am nächsten waren, und versuchte ein Lächeln. Sie lächelten nicht zurück.
Sie stiegen von den Stacheln hinunter in das bewaldete Tal westlich des Riffs, wo die Schatten am tiefsten waren. Ein schmaler Pfad schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch, Carisman ging singend vorneweg, und die Prozession folgte ihm gehorsam. Morgan war im Laufe seines Lebens schon einigen seltsamen Gestalten begegnet, aber Carisman erschien ihm noch seltsamer als die meisten. Er konnte nicht umhin, sich zu fragen, warum irgendwer, selbst die Urdas, einen Kerl wie ihn zu ihrem König machten.
Dees war einen Schritt zurückgefallen, um neben ihm zu gehen, und er fragte den alten Fährtensucher danach. »Wie gesagt, ein Stammesvolk. Abergläubisch wie die meisten Gnome. Glauben an Geister und Gespenster und anderen Unsinn.«
»Und Carisman?« wollte Morgan wissen.
Dees schüttelte den Kopf. »Ich gebe zu, ich habe keine Ahnung. Die Urdas wollen gewöhnlich nichts mit Fremden zu tun haben. Dieser hier wirkt so albern wie ein unreifer Bengel, aber offensichtlich ist es ihm irgendwie gelungen, ihren Respekt zu gewinnen. Ich habe noch nie von ihm gehört. Ich glaube nicht, daß bislang irgendwer von ihm gehört hat.«
Morgan warf einen Blick über die Köpfe der Urdas auf den vorneweg stolzierenden Carisman. »Er wirkt reichlich harmlos.«
»Ist er wahrscheinlich auch«, knurrte Dees. »Aber wie auch immer, seinetwegen mußt du dir keine Sorgen machen.«
Sie zogen westwärts in Richtung der hohen Bergmauer. Das Tageslicht schwand jetzt schnell, die Dämmerung breitete sich aus, bis das ganze Waldland davon erfaßt war. Morgan und Dees tauschten Kommentare miteinander aus, doch die drei anderen behielten ihre Gedanken für sich. Pe Ell und Walker waren kaum erkennbare Schatten, Quickening ein heller Sonnenstrahl. Die Urdas waren überall um sie herum, verschwanden im dichten Gestrüpp, tauchten wieder auf, vor ihnen, hinter ihnen und zu beiden Seiten. Carisman hatte sie als Gäste bezeichnet, doch Morgan wurde das Gefühl nicht los, daß sie in Wahrheit Gefangene waren.
Nach geraumer Zeit endete der Pfad auf einer Lichtung, beim Dorf der Urdas. Ein Palisadenzaun schützte es vor Eindringlingen, und die Tore wurden jetzt geöffnet, um die Jäger und jene, die sie wie eine Herde mitbrachten, einzulassen. Drinnen wartete ein Meer von Frauen, Kindern und alten Leuten. Alle starrten mit knochigen Gesichtern und murmelten mit leisen Stimmen miteinander. Das Dorf bestand aus kleinen Hütten und seitlich offenen Unterständen um ein Gebäude aus verfugten Balken und einem Schindeldach herum. Bäume wuchsen innerhalb der Palisaden, überschatteten das Dorf und bildeten Säulenträger für Baumwege und Flaschenzüge. Es gab verstreute Brunnen und Räucherhütten zur Fleischkonservierung. Die Urdas besaßen, so schien es, zumindest gewisse Fertigkeiten.
Die fünf aus Rampling Steep wurden zu dem Hauptgebäude auf eine Plattform geführt, auf der ein roh gezimmerter, mit frischen Blumengirlanden geschmückter Stuhl bereitstand. Carisman ließ sich zeremoniell darauf nieder und lud seine Gäste ein, neben ihm auf Matten Platz zu nehmen. Morgan und die anderen taten wie geheißen und hielten wachsam die Urdas im Auge, die sich in großer Zahl auf dem Boden unter der Plattform lagerten. Als sich alle hingesetzt hatten, stand Carisman auf und sang wieder, diesmal in einer Sprache, die Morgan nicht verstand. Als er geendet hatte, erschienen mehrere Urdafrauen und reichten Platten mit Nahrung herum.
Carisman setzte sich. »Ich muß singen, um sie dazu zu kriegen, irgend etwas zu tun«, vertraute er ihnen an. »Manchmal ist das mühsam.«
»Was tust du denn eigentlich hier?« fragte Horner Dees ohne Umschweife. »Wo kommst du her?«
»Ach«, sagte Carisman mit einem Seufzer.
Er sang:
Er zog eine Grimasse. »Nicht besonders gelungen, fürchte ich. Ich versuch’s noch mal.« Er sang: