Выбрать главу

So viele Ablenkungen von dem, was einzig wichtig war! Seine scharfen Augen richteten sich eine Weile auf Dees. Dieser Alte. Er war der Schlimmste in dem Haufen, der, der am schwierigsten zu durchschauen war. Er hatte so etwas an sich …

Er fing sich wieder. Geduld. Abwarten. Die Ereignisse würde zweifellos fortfahren, ihn zu provozieren, die Geduld zu verlieren, aber er mußte durchhalten. Er mußte die Kontrolle bewahren.

Nur war das hier so schwer. Dies war nicht sein Land, es war nicht sein Volk, und die Vertrautheit mit Land und Leuten, mit Verhalten und Sitten, auf die er immer mit Selbstverständlichkeit hatte bauen können, fehlte hier. Er bewegte sich auf einer Klippe, die er nie zuvor gesehen hatte, und das Gelände war heimtückisch.

Vielleicht würde es sich diesmal als unmöglich erweisen, die Kontrolle zu bewahren.

Er schüttelte mißmutig den Kopf. Dieser Gedanke blieb und ließ sich nicht vertreiben.

Mitternacht war verstrichen, als Carisman wieder erschien.

Quickening weckte Morgan, indem sie ihn mit der Hand an der Wange berührte. Er sprang auf und sah, daß die anderen schon aufgestanden waren. Die Tür ging auf, und der Sänger schlüpfte herein.

»Ah, ihr seid wach. Gut.« Er ging sofort zu Quickening hinüber, zögerte zu sprechen, war in ihrer Gegenwart verunsichert wie ein Junge, der etwas beichten muß, das er lieber für sich behalten hätte.

»Was hat der Rat beschlossen, Carisman«, spornte Quickening ihn freundlich an, faßte seinen Arm und zog ihn herum, so das er sie anschauen mußte.

Der Sänger schüttelte den Kopf, »Lady, das Beste und das Schlimmste, muß ich leider sagen.« Er schaute die anderen an. »Ihr seid allesamt frei fortzugehen, wann immer ihr wollt.« Dann wandte er sich wieder zu Quickening. »Außer dir.«

Morgan fiel augenblicklich wieder ein, in welcher Weise die Urdas Quickening angeschaut hatten, und erinnerte sich, wie fasziniert sie von ihr gewesen waren. »Wieso?« fragte er hitzig. »Warum wird sie nicht auch freigelassen?«

Carisman schluckte. »Meine Untertanen finden sie wunderschön. Sie glauben, sie könne magisch sein, so wie ich. Sie … sie wollen, daß sie mich heiratet.«

»Na hör mal! Was ist denn das für eine wilde Geschichte?« fauchte Horner Dees, und sein borstiges Gesicht verzerrte sich ungläubig.

Morgan packte Carisman am Kittelkragen. »Ich habe genau gesehen, wie du sie anschaust, Sänger! Das war deine Idee!«

»Nein, wirklich nicht! Ich schwöre es!« rief er verzweifelt mit entsetztem Gesicht. »So etwas würde ich nie tun. Die Urdas …«

»Den Urdas ist es völlig egal …«

»Laß ihn los, Morgan«, unterbrach Quickening mit leiser, ungerührter Stimme. »Er sagt die Wahrheit. Er kann nichts dafür.«

Pe Ell schnellte hervor wie die Schneide eines Messers. »Spielt keine Rolle, wer dafür verantwortlich ist.« Er fixierte Carisman. »Sie kommt mit uns.«

Carisman wurde bleich, und er schaute verängstigt von einem zum anderen. »Sie werden sie nicht gehen lassen«, flüsterte er und senkte den Blick. »Und wenn sie sie nicht lassen, dann wird sie da enden, wo ich bin.«

Er begann zu singen:

»Es war einmal vor langer Zeit ein wunderschönes Mädchen. Sie wanderte durch Wald und Feld, zu Hause in der ganzen Welt. Ein mächt’ger Herr verliebte sich und wollte sie zum Weibe. Sie wollt’ ihn nicht, er nahm sie heim, in seinen Turm sperrt’ er sie ein. Sie grämte sich und trauerte um das verlor’ne Leben. Für ihre Freiheit wollte sie ihr Hab und Gut hergeben. Ein Kobold hörte ihren Eid und öffnete den Zwinger. Mitnichten ließ er sie dann frei, ihr Flehen war ihm einerlei, er nannte sie sein eigen. Und die Moral von der Geschicht’: Willst’ alles geben, was du hast, dann bleibt dir vielleicht gar nichts.«

Horner Dees warf voller Entrüstung die Hände in die Luft. »Was soll das denn heißen, Carisman?« schnaubte er.

»Daß deine Wünsche dich zerstören können. Daß du, wenn du alles willst, alles verlieren kannst.« Es war Walker Boh, der geantwortet hatte. »Carisman hatte geglaubt, daß er, wenn er König würde, Freiheit fände. Statt dessen fand er Fesseln.«

»Ja«, seufzte der Sänger, und seine feinen Gesichtszüge waren voller Kummer. »Ich gehöre hier genausowenig her wie Quickening. Wenn ihr sie mitnehmt, wenn ihr geht, müßt ihr mich auch mitnehmen!«

»Nein!« rief Pe Ell sofort.

»Lady«, bettelte der Sänger. »Bitte. Ich bin jetzt schon seit fast fünf Jahren hier – nicht nur ein paar Jährchen, wie ich behauptet habe. Ich sitze so fest wie das Mädchen in meinem Lied. Wenn ihr mich nicht mitnehmt, werde ich bis zu meinem Lebensende hier gefangen bleiben.«

Quickening schüttelte den Kopf. »Es ist gefährlich, wo wir hingehen. Weit gefährlicher als hier. Du würdest ein großes Risiko eingehen.«

Carismans Stimme zitterte. »Das ist egal! Ich will frei sein!«

»Nein!« wiederholte Pe Ell und bewegte sich wie eine Katze. »Denk nach, Mädchen! Noch so einen Dummkopf, der uns im Weg ist? Warum nicht gleich eine ganze Armee davon? Idioten!«

Morgan Leah war es jetzt leid, dauernd als Idiot bezeichnet zu werden, und wollte es gerade äußern, doch Walker Boh packte ihn fest am Arm und schüttelte den Kopf. Morgan runzelte zornig die Stirn, doch er gab nach.

»Was weißt du über das Land im Norden, Carisman?« fragte Horner Dees plötzlich. »Warst du schon mal dort?«

Carisman schüttelte den Kopf. »Nein. Es spielt keine Rolle, was dort ist. Es ist jedenfalls weg von hier.« Seine Augen blitzen listig. »Außerdem müßt ihr mich mitnehmen. Ihr könnt nicht weg, wenn ich euch nicht zeige, wie.«

Das wirkte. Alle drehten sich zu ihm um. »Was meinst du damit?« fragte Dees mißtrauisch.

»Ich meine, daß ihr ohne meine Hilfe ein dutzendmal und mehr ums Leben kommt«, erwiderte der Sänger.

Er begann zu singen:

»Stock und Stein bricht euch die Bein’, wenn’s nicht die Speere sind, Fallen lauern ungesehn. Nur ich kann euch bewahren. Diddelduh, diddeldah, diddeldeih.«

Pe Ell war ihm an die Kehle gesprungen, ehe irgendwer Zeit hatte, ihn daran zu hindern. »Du sagst uns alles, was du weißt, bevor ich dich umbringe!« drohte er wütend.

Aber Carisman hielt stand, sogar in der Lage, in der er sich befand, mit den harten Augen direkt vor den seinen. »Niemals«, keuchte er. »Es sei denn … ihr seid bereit … mich mitzunehmen.«

Sein Gesicht verlor jegliche Farbe, als Pe Ells Hände fester zupackten. Morgan und Horner Dees sahen sich unentschlossen an und schauten dann zu Quickening, gegen ihren Willen abwartend. Es war Walker Boh, der eingriff. Er trat hinter Pe Ell und berührte ihn in einer Weise, die sie nicht sehen konnten. Der hagere Mann sprang zurück. Sein Gesicht war starr vor Verblüffung. Walker nutzte den Augenblick, sein Arm packte Carisman und zog ihn beiseite.

Pe Ell schnellte herum, kalte Wut in den Augen. Morgan war sicher, daß er Walker angreifen würde, und das konnte nicht gutgehen. Doch Pe Ell überraschte ihn. Statt loszuschlagen, starrte er Walker nur an und wandte sich dann ab. Sein Gesicht war eine ausdruckslose Maske.

»Carisman«, sagte Quickening und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf sich. »Kennst du einen Weg, der uns hier herausführt?«

Carisman nickte. Er mußte schlucken, ehe er antworten konnte. »Ja, Lady.«

»Wirst du ihn uns zeigen?«

»Wenn ihr bereit seid, mich mitzunehmen, ja.« Er feilschte jetzt, aber er wirkte zuversichtlich.

»Würde es dir reichen, wenn wir dir helfen würden, das Dorf zu verlassen?«

»Nein, Lady. Ich würde mich verirren, und sie würden mich wieder zurückholen. Ich muß mit euch gehen, wo immer ihr hinwollt – weit weg von hier. Vielleicht«, fügte er fröhlich hinzu, »kann ich euch sogar nützlich sein.«