Выбрать главу

In jener Nacht lagerten sie in einem Wald aus toten Bäumen, wo die Luft so still war, daß sie einander atmen hören konnten. Das Holz wollte nicht brennen, und so hatten sie kein Feuer. Licht von einer Mischung von Elementen im Boden spiegelte sich an der dichten Wolkendecke und warf die Schatten der Bäume als Netzwerk über ihre zusammengekauerten Gestalten.

»Morgen bei Einbruch der Nacht sind wir da«, sagte Horner Dees, als sie einander in der Stille gegenübersaßen. »Eldwist.«

Finstere Blicke waren die einzige Antwort.

Von da an war Uhl Belks Anwesenheit nicht mehr zu übersehen. Er lauerte in ihrer Nähe in der einfallenden Dämmerung, schlief bei ihnen in jener Nacht und wanderte mit ihnen, als sie am nächsten Tag aufbrachen. Sie atmeten seinen Atem, seine Stille war die ihre. Sie fühlten, wie er sie heranwinkte, wie er sich nach ihnen ausstreckte, um sie aufzulesen. Niemand sprach es aus, aber Uhl Belk war da.

Gegen Mittag war das Land zu Stein erstarrt. Es war ganz und gar krank, welk und leblos geworden, und jeglicher Farbe außer Grau beraubt. Alles war perfekt konserviert wie eine riesige Skulptur. Bäume und ihre Äste, Gestrüpp und Gräser, Felsen und Erde – alles war, so weit das Auge reichte, zu Stein geworden. Es war eine öde, frostige Landschaft, die trotz ihrer Kälte eine merkwürdig anziehende Schönheit ausstrahlte. Die Gruppe aus Rampling Steep war verzückt. Vielleicht war es die Solidität, die sie anzog, das Gefühl, daß hier etwas Dauerhaftes, Beständiges und irgendwie perfekt Gestaltetes vor ihnen lag. Die Verheerungen der Zeit, der Wechsel der Jahreszeiten, die eingreifendsten Bemühungen des Menschen – es war, als ob nichts von alledem hier etwas ausrichten könnte.

Horner Dees nickte, und sie gingen weiter.

Dunst hing über ihnen, als sie über diesen Teppich erstarrter Zeit wanderten, und nur unter Mühen konnten sie nach mehreren Stunden etwas anderes in der Ferne schimmern sehen. Es war eine weite Wasserfläche, so grau wie das Land, über das sie wanderten, die mit dieser Öde verschmolz, eine Kulisse, die sich so trostlos mit Himmel und Erde verband, als wäre der Übergang ohne Bedeutung.

Sie hatten den Gezeitenstrom erreicht.

Zwei Berggipfel kamen in Sicht, gezackte Felsspiralen, die sich starr vor dem Horizont abzeichneten. Es stand außer Frage, daß die Gipfel ihr Ziel darstellten.

Ab und zu rumpelte die Erde unter ihnen unheilverkündend, und ein Beben erschütterte sie, als wäre das Land ein Teppich, den ein Riese schüttelte. Das Beben hatte keine erkennbare Ursache, aber Horner Dees wußte etwas. Morgan erkannte es an der Art, wie er sein bärtiges Kinn gegen seine Brust preßte und Angst in seinem Blick lag.

Nach einiger Zeit verengte sich das Land zu beiden Seiten, und der Gezeitenstrom rückte näher. Sie folgten einem immer schmaler werdenden Felsenstreifen, der sie direkt zu den Zwillingsbergen führte auf einer Rampe, die möglicherweise im Meer endete. Die Temperatur sank, und die Luftfeuchtigkeit bildete Tröpfchen auf ihrer Haut. Ihre Stiefel waren seltsam geräuschlos auf dem harten Fels, während sie stetig weiter in den Dunst trotteten. Bald waren sie nur noch eine Reihe von Schemen in der einfallenden Dämmerung. Dees marschierte vorneweg, alt, massig und beständig. Morgan folgte mit Quickening. Das Gesicht des großen Hochländers war von Besorgnis gezeichnet, Quickenings dagegen glatt und ruhig. Der hübsche Carisman summte vor sich hin, während sein Blick so schnell herumhuschte wie ein Vogel. Walker Boh glitt blaß und nach innen gekehrt in seinem weiten Umhang hinter ihnen her. Pe Ell bildete den Schluß, seine Jägeraugen sahen alles.

Vor ihnen spaltete sich die Rampe in einem Steilabbruch, aus dem seltsame Felsformationen ins Licht ragten. Es hätten irgendwelche Skulpturen sein können, außer daß sie keinerlei bekannte Form hatten. Wie Säulen, die im Laufe von Jahrtausenden von der zornigen Hand des Wetters zerschlagen worden waren, bauchten und winkelten sie sich zu bizarren Bildern, wahnhaften Visionen eines Verrückten. Die Gruppe ging zwischen ihnen entlang, furchtsam eilten sie in ihrem Schatten voran.

Schließlich erreichten sie die Felsengipfel. Zwischen den beiden war eine Kluft, ein tiefer, enger Spalt, der den Eindruck erweckte, als sei er das Ergebnis einer gewaltigen Naturkatastrophe, die entzweigespalten hatte, was einst ein einziger Berg gewesen war. Die beiden Spitzen türmten sich zu beiden Seiten, Felsspiralen, die in die Wolken hinaufragten, als wollten sie sie festnageln. Der Himmel war trüb und dunstig, und die Wogen des Gezeitenstroms brachen und donnerten gegen die Felsenufer.

Horner Dees ging voraus, und die anderen folgten, bis sie alle von den Schatten umgeben waren. Die Luft war eisig und still in der Kluft, nur die fernen Rufe von Seevögeln hallten schrill durch die Luft. Was für Geschöpfe außer dem Meeresgetier konnten in dieser Umgebung wohl leben, fragte sich Morgan Leah unbehaglich. Er zog sein Schwert. Sein ganzer Körper war gespannt, und er spähte angestrengt um sich, suchte nach einem Zeichen der Gefahr, deren Drohen er spürte. Dees ging gebeugt wie ein Tier auf Jagd, und die drei hinter dem Hochländer waren wie Geister ohne Substanz. Nur Quickening schien unbeeinträchtigt, mit hocherhobenem Kopf wanderten ihre Augen wachsam über den Fels, den Himmel und das Grau, das alles umhüllte.

Morgan schluckte gegen die Trockenheit in seiner Kehle an. Was ist das, was uns hier erwartet? Die Wände der Kluft schienen sich über ihren Köpfen zu berühren, und für einige Zeit befanden sie sich in völliger Finsternis. Nur der schmale Lichtschlitz vor ihnen ließ erkennen, daß sie nicht in einer Gruft eingeschlossen waren. Dann verbreiterte sich der Spalt wieder, und es wurde heller. Die Kluft öffnete sich auf ein Tal, das zwischen den beiden Gipfeln eingebettet lag. Flach, zerfurcht, erstickt unter den Überresten von Bäumen und Gestrüpp, mit Felsbrocken vielfach größer als ein Mann, war es eine häßliche Anhäufung vom Abfall der Natur und dem Müll der Zeit. Überall lagen Skelette in riesigen Haufen, alle Größen und Formen, zerschmettert und zerbrochen, so daß man nicht mehr erkennen konnte, was es für Geschöpfe gewesen sein mochten.

Horner Dees ließ sie anhalten. »Das ist die Knochensenke«, sagte er leise. »Das Tor nach Eldwist. Dort drüben jenseits der Senke zwischen den Gipfeln beginnt Eldwist.«

Die anderen drängten herbei, um besser sehen zu können. Walker Boh erstarrte. »Da unten ist etwas.«

Dees nickte. »Vor zehn Jahren hab’ ich das auf die unsanfte Art herausgefunden«, sagte er. »Es ist ein Koden. Der Wachhund des Steinkönigs. Siehst du ihn?«

Sie spähten, doch sie sahen nichts, nicht einmal Pe Ell. Dees ließ sich schwerfällig auf einem Felsbrocken nieder. »Ihr werdet ihn nicht sehen. Nicht, bevor er euch erwischt hat. Und dann spielt es keine Rolle mehr, nicht wahr? Ihr könntet alle die armen Kreaturen da unten fragen, wenn sie noch Zungen hätten und lebten, um sie zu benutzen.«

Morgan stieß mit seinem Stiefel an einen toten Ast, während er zuhörte. Das Holz war schwer und gab nicht nach. Stein. Morgan schaute es an, als verstehe er es zum ersten Mal. Stein. Alles unter ihren Füßen, alles um sie herum, alles so weit das Auge reichte – alles war aus Stein.

»Koden sind eine Bärenart«, berichtete Dees. »Riesige Kerle, die oben in den kalten Regionen im Norden der Gebirge leben. Sie bleiben ziemlich unter sich. So oder so sehr unberechenbar. Aber dieser hier?« Er nickte geheimnisvoll. »Er ist ein Monster.«