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»Riesig?« fragte Morgan.

»Ein Monster«, betonte Dees. »Nicht nur von der Größe her, Hochländer. Dieses Ding ist kein Koden mehr. Man kann noch erkennen, was es eigentlich sein sollte, aber nur so gerade eben. Belk hat irgendwas mit ihm gemacht. Blind gemacht, zum einen. Er kann nichts sehen. Aber seine Ohren sind so scharf, daß er eine Nadel fallen hört.«

»Dann weiß er also, daß wir hier sind«, vermutete Walker und trat an Dees vorbei, um einen besseren Blick in die Senke zu werfen. Seine Augen waren dunkel und nachdenklich.

»Schon seit geraumer Zeit, nehme ich an. Er wartet da unten darauf, daß wir versuchen durchzugehen.«

»Falls er überhaupt noch da ist«, sagte Pe Ell. »Es ist schon lange her, seit du hier warst, Alter. Inzwischen mag er tot und verschwunden sein.«

Dees schaute ihn mitleidig an. »Warum gehst du nicht runter und schaust mal nach?«

Pe Ell schenkte ihm ein schiefes, frostiges Lächeln.

Der alte Fährtensucher wandte sich ab und ließ seinen Blick wieder über sie Senke wandern. »Zehn Jahre sind es her, seit ich ihn gesehen habe, und ich kann ihn noch immer nicht vergessen«, flüsterte er. Er schüttelte sein ergrautes Haupt. »So was furchtbares wie ihn vergißt man nicht.«

»Vielleicht hat Pe Ell recht; vielleicht ist er inzwischen tot«, schlug Morgan hoffnungsvoll vor. Er schaute Quickening an, deren Blick auf Walker fixiert war.

»Nicht dieses Ding.« Dees war sich sicher.

»Nun, warum können wir ihn dann nicht sehen, wenn er so riesig und so scheußlich ist?« fragte Carisman und lugte dabei vorsichtig über Morgans Schulter.

Dees kicherte. Seine Augen verengten sich. »Man kann ihn nicht sehen, weil er genauso aussieht wie alles andere da unten – wie Stein, ganz grau und hart, nur ein weiterer Felsbrocken. Schaut selbst. Einer von diesen Brocken, einer von diesen Findlingen, etwas, das nach nichts aussieht – das ist er. Liegt einfach nur da, absolut reglos. Und wartet.«

»Und wartet«, wiederholte Carisman.

Er begann zu singen:

»Drunten im Tal, im steinigen Karst, im Gebein seiner Opfer, liegt der Koden und wacht.
Er lauert in seinem steinernen Horst, bis sein er dich macht.«

»Sei still, Sänger«, warnte Pe Ell mit drohendem Unterton in der Stimme. Dann wandte er sich stirnrunzelnd an Dees. »Du bist an ihm vorbeigekommen, wenn wir glauben, was du uns erzählst. Wie hast du das gemacht?«

Dees lachte laut auf. »Ich hatte einfach Schwein! Ich hatte zwölf Mann bei mir, und wir gingen hinunter, Dummköpfe alle miteinander. Er konnte uns nicht alle kriegen, nicht, nachdem wir angefangen hatten zu rennen. Nein, er mußte sich mit dreien zufriedengeben. Das war auf dem Hinweg. Auf dem Rückweg kriegte er nur einen. Aber da waren wir nur noch zu zweit. Ich war derjenige, den er verpaßt hat.«

Pe Ell starrte ihn ausdruckslos an. »Wie du gesagt hast, Alter – Schwein gehabt.«

Dees stand auf, so bärenhaft wie irgendein Koden, den Morgan sich vorstellen konnte, mürrisch und abweisend. Er stellte sich vor Pe Ell, als wollte er ihn angreifen. »Es gibt viele Sorten von Glück«, sagte er. »Manches hast du, manches machst du dir selbst. Manches hast du bei dir, manches sammelst du unterwegs auf. Ihr werdet alle Sorten brauchen, um nach Eldwist und wieder hinauszugelangen. Der Koden ist etwas, wovon du in deinen schlimmsten Nächten nicht träumen wolltest. Aber eins kann ich dir sagen. Wenn du gesehen hast, was da unten sonst noch ist, jenseits der Knochensenke, dann brauchst du dir wegen des Kodens keine Sorgen mehr zu machen. Denn die Träume, die dich danach heimsuchen werden, handeln von anderen Sachen!«

Pe Ells Achselzucken war verächtlich und ablehnend. »Träume sind was für alte Männer, Horner Dees.«

Dees funkelte ihn an. »Mutige Worte für den Augenblick.«

»Ich kann ihn sehen«, sagte Walker Boh plötzlich.

Seine Stimme war leise, fast nur ein Flüstern, aber es brachte die anderen sofort zum Schweigen. Sie drehten sich nach ihm um. Der Dunkle Onkel starrte hinaus auf die Trostlosigkeit der Knochensenke. Ihm war offenbar nicht bewußt geworden, daß er etwas gesagt hatte.

»Den Koden?« fragte Dees barsch. Er trat einen Schritt näher.

»Wo?« fragte Pe Ell.

Walkers Geste war undeutlich. Morgan schaute trotzdem in die Richtung, doch er konnte nichts erkennen. Er sah die anderen an. Keiner von ihnen schien etwas sehen zu können. Doch Walker Boh achtete nicht auf sie. Er schien eher auf etwas zu lauschen.

»Wenn du ihn wirklich sehen kannst, dann zeig ihn mir«, sagte Pe Ell schließlich mit sorgsam neutral klingender Stimme.

Walker reagierte nicht. Er fuhr fort, hinunterzustarren. »Es fühlte sich an …«

»Walker?« flüsterte Quickening und berührte seinen Arm.

Sein bleiches Antlitz wandte sich endlich von der Senke ab, und seine dunklen Augen fanden die ihren. »Ich muß ihn finden«, sagte er. Dann schaute er einen nach dem anderen an. »Wartet hier, bis ich euch rufe.«

Morgan wollte protestieren, doch etwas im Blick des Dunklen Onkels ließ ihn innehalten.

Statt dessen beobachtete er zusammen mit den übrigen, wie Walker Boh allein in die Knochensenke stieg.

Es war ein stiller Tag, kein Windhauch regte sich, und nichts bewegte sich in der karstigen Weite der Senke, mit Ausnahme von Walker Boh. Er überquerte leise die zersplitterten Steine wie ein Gespenst, das keinen Laut macht und keine Spur hinterläßt. In den letzten Wochen war es mehrfach vorgekommen, daß er sich als ziemlich genau das gefühlt hatte. Er wäre fast an dem Gift des Asphinx zugrunde gegangen, dann erneut bei dem Angriff der Schattenwesen in Hearthstone. Ein Teil von ihm war sicherlich zusammen mit seinem Arm gestorben, ein weiterer Teil beim Versagen seiner Magie, seine Krankheit zu heilen. Ein Teil von ihm war mit Cogline gestorben. Auf dieser Reise war er leer und verloren gewesen, zum Mitgehen gedrängt von seinem Zorn auf die Schattenwesen, der Furcht, allein zu sein, und dem Wunsch, das Geheimnis von Uhl Belk und dem schwarzen Elfenstein zu lüften. Nicht einmal Quickening, trotz ihrer Bemühungen, ihm physisch wie seelisch zur Hilfe zu kommen, war stark genug gewesen, ihn sich selbst wiederzugeben. Er war ein hohles Gehäuse all dessen, was und wer er sein sollte, beraubt, und zu diesem Unternehmen in der schwachen Hoffnung bereit, daß es ihm helfen könnte, seine Aufgabe in dieser Welt zu erkennen.

Und nun glaubte Walker Boh in diesem weiten, trostlosen Tal, wo Ängste und Zweifel und Schwächen am schneidendsten zu fühlen waren, er habe eine Chance, wieder lebendig zu werden.

Es war die Gegenwart des Kodens, die seine Hoffnung anstachelte. Bis jetzt war die Magie merkwürdig still in ihm gewesen, ein erschöpftes, müdes Ding, das mehrfach versagt hatte und schließlich aufgegeben zu haben schien. Sicherlich, sie war noch dagewesen, als er bedroht wurde, um die Urdas abzuschrecken, die zu nah gekommen waren, und ihre Wurfgeschosse abzulenken. Doch das war eine ärmliche, magere Sache im Vergleich zu dem, was er einst damit hatte ausrichten können. Was war aus dem Einfühlungsvermögen mit anderen Lebewesen geworden, daß sie ihm gestattet hatte? Was aus seinem Gefühl für Emotionen und Gedanken? Und was aus dem Wissen, daß ihm immer zugefallen zu sein schien? Was aus den flüchtigen Einblicken auf das, was kommen würde? All das hatte ihn verlassen, war so gewiß entschwunden wie seine alte Welt, wie sein Leben mit Cogline und Ondit in Hearthstone. Einst hatte er sich gewünscht, es wäre so, hatte gewünscht, die Magie würde ihn freigeben und verschwinden, er würde in Frieden sein und ein Mensch wie jeder andere. Doch im Laufe dieser Reise, als sein Verständnis, wer und was er war, durch den Tod von Cogline und Ondit und durch seine eigene körperliche und seelische Verheerung noch gesteigert worden war, war ihm immer klarer geworden, daß dieser Wunsch töricht gewesen war. Er konnte niemals wie andere Menschen sein, und er hätte ohne die Magie nie den Frieden. Er konnte nicht ändern, wer und was er war. Cogline hatte es gewußt und versucht, ihm klarzumachen. Auf dieser Reise hatte er erkannt, daß es stimmte.