Der ungestalte Kopf der Statue begann sich zu bewegen, der Stein knirschte gespenstisch, er brach nicht und splitterte auch nicht, sondern gestaltete sich um, als wäre er gleichzeitig fest und flüssig. Das Knirschen hallte durch die hohle Schale der Kuppel wie das Donnern von Felsbrocken in einer Lawine. Die Arme bewegten sich, dann die Schultern. Der Torso schwenkte herum, der Stein knirschte und malmte, bis Walker die Härchen im Nacken steil zu Berge standen.
Dann begann er zu sprechen. Der Mund öffnete sich, und Stein rieb auf Stein.
– Wer seid ihr –
Walker antwortete nicht. So erstaunt war er über das, was er sah, daß er keine Antwort zustande brachte. Er stand nur völlig verblüfft da. Die Statue lebte, ein steinernes Ding, grauenvoll gestaltet von der Hand eines Wahnsinnigen, bar jeglichen Fleisches und ohne Blut, und dennoch irgendwie lebendig.
Im nächsten Moment begriff er, wen er vor sich hatte, und selbst dann brachte er den Namen der Kreatur nicht über die Lippen. Es war Quickening, die das Wort ergriff.
»Uhl Belk«, flüsterte sie.
– Wer bist du –
Quickening trat vor und sah winzig und unbedeutend aus im Schatten des Steinkönigs, ihr Silberhaar nach hinten gestrichen.
»Ich heiße Quickening«, gab sie zur Antwort. Ihre Stimme, erstaunlich stark und ruhig, hallte durch die Stille. »Und dies sind meine Gefährten Walker Boh und Morgan Leah. Wir sind nach Eldwist gekommen, um dich zu bitten, den schwarzen Elfenstein zurückzugeben.«
Der Kopf drehte sich leicht, der Stein knirschte und malmte.
– Der schwarze Elfenstein ist mein Eigentum –
Es entstand eine lange Pause, ehe der Steinkönig wieder sprach.
– Wer bist du –
»Ich bin niemand.«
– Verfügst du über Magie gegen mich –
»Nein.«
– Und die anderen. Haben sie Magie –
»Nur ein wenig. Morgan Leah besaß einst ein Schwert, das ihm die Druiden gegeben hatten und das die Magie des Hadeshorns enthielt. Doch es ist zerbrochen, die Klinge zersplittert und die Magie verloren. Walker Boh besaß einst die Magie, die er von seinen Vorfahren ererbt hatte, von den Elfen aus dem Hause Shannara. Doch er verlor den größten Teil dieser Magie, als er Schaden an seinem Arm und an seinem Geist erlitt. Er muß sie erst wiedergewinnen. Nein, sie verfügen über keine Magie, die dir Schaden zufügen könnte.«
Walker Boh war so erstaunt, daß er kaum zu glauben wagte, was er da hörte. In wenigen Sekunden hatte Quickening sie vollständig bloßgestellt. Sie hatte nicht nur offenbart, mit welcher Absicht sie hierhergekommen waren, sondern auch, daß sie jeglicher Möglichkeit entbehrten, den Stein gewaltsam in ihren Besitz zu bekommen. Sie hatte eingestanden, daß sie gegenüber dieser Geisterkreatur absolut machtlos waren, daß sie nicht imstande waren, ihn zu zwingen, ihrem Begehren nachzugeben. Sie hatte sogar jeglicher Möglichkeit zu bluffen einen Riegel vorgeschoben. Was dachte sie sich eigentlich dabei? Uhl Belk stellte sich offenbar die gleiche Frage.
– Ich soll den schwarzen Elfenstein hergeben, nur weil du mich darum bittest, soll ihn drei Sterblichen mit begrenzter Lebenserwartung überlassen, einem Mädchen ohne Magie, einem Einarmigen und einem Fechter mit einer zerbrochenen Klinge –
»Es muß sein, Uhl Belk.«
– Ich bestimme im Königreich von Eldwist, was sein muß; ich bin das Gesetz und die Macht, die das Gesetz durchsetzt; es gibt kein anderes Recht als meines und daher auch kein Muß als meines; wer würde es wagen, mir zu widersprechen; keiner von euch; ihr seid so unbedeutend wie der Staub, der über meine Haut weht und ins Meer gespült wird –
Er machte eine Pause.
– Der schwarze Elfenstein gehört mir –
Quickening antwortete diesmal nicht, sondern starrte nur in die vernarbten Augen des Steinkönigs. Uhl Belks massige Gestalt bewegte sich wieder, verschob sich, als sei er von Treibsand bedrängt, der Stein knirschte standhaft, ein Rad der Zeit und der Gewißheit mit einer Haut aus Dauer.
– Du –
Er zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Walker.
– Der Asphinx hat ein Stück von dir genommen; ich kann seinen Gestank an deinem Körper riechen; trotzdem lebst du irgendwie noch; bist du ein Druide –
»Nein«, widersprach Quickening sofort. »Er ist ein Bote der Druiden, hergesandt, den schwarzen Elfenstein zurückzuholen. Seine Elfenmagie rettete ihn vor dem Gift des Asphinx. Sein Anspruch auf den Elfenstein ist rechtmäßig, er wurde ihm von den Druiden verliehen.«
– Die Druiden sind alle tot –
Wieder sagte Quickening nichts, wartete auf den Steinkönig, stand furchtlos unter ihm. Eine plötzliche Bewegung seines Armes, und sie wäre zermalmt worden. Sie schien unbekümmert. Walker warf einen schnellen Blick auf Morgan, doch die Augen des Hochländers waren auf das Gesicht von Uhl Belk gerichtet, gebannt von seiner Häßlichkeit, hypnotisiert von der Gewalt, die er dort sah. Er fragte sich, was man von ihm erwartete. Irgendwas? Er fragte sich plötzlich, was er hier überhaupt zu suchen hatte.
Dann sprach der Steinkönig wieder, ein träges Raspeln in der Stille.
– Ich lebe schon immer, und ich werde leben, wenn ihr längst zu Staub zerfallen seid; ich wurde erschaffen von dem Wort, und ich habe alle jene überlebt, denen mit mir zusammen das Leben gegeben wurde, bis auf einen, und auch der wird bald gegangen sein; ich schere mich kein bißchen um die Welt, in der ich existiere, außer um die Erhaltung dessen, was mir als Domäne zugeteilt wurde – ewiger Stein. Es ist der Stein, der allem trotzt, der unwandelbar und beständig ist und daher so nahe der Vollendung wie Leben nur sein kann; ich bin der Steinmetz der Welt und der Architekt dessen, was sein wird; ich setze alle nötigen Mittel ein, um dafür zu sorgen, daß meine Aufgabe erfüllt wird; daher nahm ich den schwarzen Elfenstein und machte ihn zu meinem Eigentum –
Die Kuppel hallte von seinen Worten wider, und dann verklang das Echo, und es wurde still. Die Schatten wuchsen schon. Walkers Licht begann langsam zu verlöschen. Walker fühlte die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens. Morgans Schwertarm hing schlaff an seiner Seite; was hatte es für einen Sinn, mit einer eisernen Waffe gegen etwas so Uraltes und Unwandelbares angehen zu wollen? Nur Quickening schien zu glauben, daß es noch irgendwelche Hoffnung gab.
– Die Druiden waren nichts im Vergleich zu mir; ihre Vorsichtsmaßnahmen, ihre Magie zu verstecken und zu schützen, waren sinnlos; ich hinterließ den Asphinx, um meiner Verachtung für ihre Absichten Ausdruck zu verleihen; sie glaubten an die Gesetze von Natur und Evolution, törichte Überbringer des Glaubens an Wandel; sie starben und hinterließen gar nichts; Stein ist das einzige Element des Körpers der Erde, das überdauert, und ich werde in diesem Stein bis in alle Ewigkeit leben –
»Beständig«, flüsterte Quickening.
– Ja –
»Ewig.«
– Ja –
»Doch wie steht es mit deinem Auftrag, Uhl Belk? Was ist damit? Du hast das zu sein verachtet, als was du erschaffen wurdest – eine ausgleichende Kraft, ein Erhalter der Welt, so wie sie erschaffen wurde.« Ihre Stimme war leise und eindringlich, webte ein Netz aus Bildern, die in der toten Luft vor ihr Gestalt anzunehmen und zu schimmern schienen. »Man hat mir deine Geschichte erzählt. Dir wurde das Leben gegeben, damit du Leben beschützt; das war der Auftrag, den das Wort dir gab. Stein bewahrt nichts Lebendes. Dir war nicht aufgetragen zu transformieren, dennoch hast du eigenmächtig alles umgestürzt, hast Lebendiges in Stein verwandelt – dies alles, um eine Ausweitung dessen zu schaffen, was und wer du bist. Und schau, was das aus dir gemacht hat.«
Sie wappnete sich gegen den Zorn, der sich schon auf der Stirn des Steinkönigs ankündigte. »Gib den schwarzen Elfenstein wieder her, Uhl Belk. Laß uns dir helfen, wieder frei zu werden.«
Die gewaltige Steinkreatur bewegte sich auf seinem Felsenlager, seine Gelenke knirschten, die Geräusche krachten durch die Arena, als antwortete eine unsichtbare Zuschauermenge. Uhl Belk sprach mit einem neuen, furchteinflößenden Unterton.