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Er hob für einen Moment das Gesicht und ließ den Regen darüberrinnen und seine Haut kühlen. Er hatte es nicht für möglich gehalten, daß ihm in so nassem Wetter so heiß sein könnte.

Es war natürlich die Vision des Finsterweihers, die ihn verfolgte – die drei düsteren, rätselhaften Zukunftsvisionen, die nicht notwendigerweise korrekt sein mußten, Lügen, die zu Halbwahrheiten verdreht waren, von Lügen überschattete Wahrheiten und dennoch wirklich. Die erste hatte sich schon erfüllt; er hatte geschworen, er würde sich lieber eine Hand abhacken, als sich der Sache der Druiden zu verschreiben, und das war ganz genau das, was er getan hatte. Und dann hatte er sich trotzdem der Sache verschrieben. Ironisch, poetisch, beängstigend.

Die zweite Vision handelte von Quickening. Die dritte …

Seine gesunde Hand ballte sich zur Faust. Die Wahrheit war, daß er nie über die zweite hinaus nachgedacht hatte. Quickening. Auf irgendeine Weise würde er sie im Stich lassen. Sie würde sich um Hilfe bittend an ihn wenden, und er hätte die Möglichkeit, sie vor dem Fallen zu retten, und er würde sie sterben lassen. Er würde dort stehen und zuschauen, wie sie in einen finsteren Abgrund stürzte. Das war die Vision des Finsterweihers. Das war es, was sich bewahrheiten würde, falls er nicht ein Mittel fände, es zu verhindern.

Es war ihm allerdings nicht gelungen zu verhindern, daß die erste wahr wurde.

Abscheu erfüllte ihn, und er verbannte die Erinnerung an den Finsterweiher wieder in den fernen Winkel, aus dem sie hervorgekommen war. Der Finsterweiher, ermahnte er sich, war an und für sich schon eine Lüge. Aber war er selbst in dem Fall dann nicht auch eine Lüge? War er nicht genau das geworden? Er, der er so entschlossen gewesen war, sich aus den Machenschaften der Druiden herauszuhalten, so willig, jegliche Anwendung der Magie auszuschließen, mit Ausnahme derjenigen, die seinem eigenen, begrenzten Glauben diente, so überzeugt, er könnte der Meister seines eigenen Schicksals sein? Er hatte sich selbst wiederholt belogen, sich bewußt selbst getäuscht, alles mögliche vorgegeben und sein Leben zu einer Karikatur gemacht. Er steckte tief in seinen eigenen Fehleinschätzungen und Vorwänden. Er tat das, was er geschworen hatte, niemals zu tun – die Arbeit der Druiden, die Wiederherstellung ihrer Magie, die Erfüllung ihres Willens. Schlimmer noch, er hatte sich auf einen Handlungsablauf eingelassen, der nur zu seiner Vernichtung führen konnte – eine Konfrontation mit dem Steinkönig, um den schwarzen Elfenstein zu bekommen. Warum? Er klammerte sich an dieses Handlungsschema, als sei es das einzige, das ihn vor dem Untergang retten könnte, die einzige Möglichkeit, die ihm bliebe.

Das war es sicherlich nicht.

Er spähte durch die Nässe in die Stadt und stellte wieder einmal fest, wie sehr er den Wald von Hearthstone vermißte. Es war nicht nur der Stein der Stadt, ihre harte, erdrückende Stimmung, ihr ständiger Nebel und Regen. In Eldwist gab es keine Farben, nichts, was seinen Blick saubergewaschen, sein Gemüt aufgehellt und erwärmt hätte. Es gab nur Schattierungen von Grau, verschwommene Schatten, die sich übereinanderlagerten. Walker kam sich vor, als sei er selbst irgendwie ein Spiegel der Stadt. Vielleicht war Uhl Belk dabei, ihn umzuwandeln, so wie er das Land verwandelt hatte, vielleicht entzog er ihm gerade alle Farben seines Lebens und reduzierte ihn zu etwas ebenso Hartem und Leblosem wie Stein. Wie weit konnte der Steinkönig reichen? fragte er sich. Wie tief in seine Seele? Gab es irgendeine Grenze? Konnte er seine Arme bis nach Darkling Reach und Hearthstone ausstrecken? Konnte er ein Menschenherz finden? Im Laufe der Zeit voraussichtlich. Und Zeit galt einer Kreatur, die schon so lange lebte, überhaupt nichts.

Sie gingen hinüber zum Vordereingang ihres nächtlichen Refugiums und begannen, die Treppe hinaufzusteigen. Da Walker voranging, sah er die Wasserflecken auf den Steinstufen, die von seinen eigenen Tropfspuren für die anderen unkenntlich gemacht wurden. Jemand war kürzlich hereingekommen und wieder hinausgegangen. Horner Dees?

Aber Dees sollte eigentlich die ganze Zeit dort sein und auf ihre Rückkehr warten.

Sie durchquerten das Labyrinth aus Räumen und Fluren und betraten das Zimmer, das ihnen als Hauptquartier diente. Das Zimmer war leer. Walker ließ seinen Blick von den feuchten Flecken über die Schatten der Türen in allen Wänden wandern; er lauschte angestrengt auf irgendwelche Geräusche. Dann ging er hinüber an eine Stelle, wo jemand gesessen und gegessen hatte.

Sein Instinkt reagierte unerwartet.

Er konnte Pe Ell förmlich riechen.

»Horner? Wo bist du?« Morgan spähte in andere Zimmer und Korridore und rief dabei nach dem alten Fährtensucher. Walker begegnete Quickenings Blick und sagte nichts. Der Hochländer verschwand für einen Augenblick und kam dann zurück. »Er sagte, er würde hier auf uns warten. Ich verstehe das nicht.«

»Wahrscheinlich hat er es sich anders überlegt«, gab Walker ruhig zu bedenken.

Morgan sah nicht überzeugt aus. »Ich glaube, ich mache mal eine Runde.«

Er verließ das Zimmer durch die Tür, durch die sie gerade hereingekommen waren, und ließ den Dunklen Onkel und die Tochter des Königs vom Silberfluß allein zurück.

»Pe Ell war hier«, sagte sie, ihre schwarzen Augen fest auf die seinen gerichtet.

Er ließ sich vom Feuer ihres Blicks wärmen; er empfand dieses vertraute Gefühl von Verwandtschaft, von geteilter Magie. »Ich habe nicht den Eindruck, daß es einen Kampf gegeben hat«, sagte er. »Kein Blut, kein Durcheinander.«

Quickening nickte nüchtern und wartete ab. Als er nicht weitersprach, kam sie auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. »Was denkst du, Walker Boh?« fragte sie, Sorge im Blick. »Worüber hast du auf dem ganzen Weg hierher nachgedacht, so in dich selbst versunken?«

Sie streckte die Hände aus und faßte nach seinem Arm und hielt ihn fest. Sie hob das Gesicht, ihr Silberhaar fiel nach hinten, und ihr edles Gesicht wurde in das graue Licht getaucht. »Sag mir’s.«

Er fühlte sich bloßgelegt, ein dünnes, verknittertes, geschlagenes bißchen Leben mit kaum genug Kraft, sich vor dem endgültigen Zusammenbruch zu bewahren. Der Schmerz reichte von seinem verwundeten Arm bis in sein Herz, gleichzeitig körperlich und seelisch, eine alles überrollende Woge, die ihn fortzuschwemmen drohte.

»Quickening«, sagte er leise, und der Klang ihres Namens schien ihn zu beruhigen. »Ich dachte, daß du menschlicher bist, als du dir eingestehen willst.«

Sie war sichtlich überrascht.

Er lächelte traurig, ironisch. »Ich bin vielleicht kein Kenner solcher Sachen, weniger empfänglich, als ich sein sollte, ein Flüchtling, der als Junge ohne Freunde herangewachsen ist und zuviel allein gelebt hat. Aber ich erkenne etwas von mir selbst in dir. Du hast Angst vor den Gefühlen, die du in dir selbst entdeckt hast. Du gibst zu, daß du die menschlichen Emotionen besitzt, mit denen dein Vater dich ausgestattet hat, als er dich erschuf, doch du weigerst dich, das, was du wahrnimmst, als ihre Konsequenzen zu akzeptieren. Du liebst den Hochländer – doch du versuchst es zu verstecken. Du verdrängst es. Du verachtest Pe Ell – doch du verführst ihn wie ein Köder einen Fisch. Du ringst mit deinen Emotionen, du weigerst dich, sie zuzugeben. Du kämpfst so hart darum, dich vor deinen Gefühlen zu verstecken.«