Выбрать главу

Pe Ell drehte sich zu Dees. »Überwach du die Straße«, flüsterte er. »Pfeif, wenn was ist.«

Er schlüpfte in die Finsternis, verschmolz damit so selbstverständlich, als wäre er ein Teil der Schatten. Er war sofort in seinem Element, und seine Augen und Ohren paßten sich an die Umgebung an. Die Mauern des Gebäudes waren nackt und verwittert, an manchen Stellen feucht, wo das Wasser durch die Fugen gesickert und über den Stein geronnen war, hoch und starr in dem schwachen Licht. Pe Ell bewegte sich vorsichtig weiter und wartete darauf, daß irgend etwas sich bemerkbar machen würde. Er fühlte nichts. Das Haus wirkte völlig leer.

Etwas knirschte unter seinen Stiefeln und erschreckte ihn. Er spähte in die Schwärze hinunter. Knochen lagen über den Boden verstreut, Hunderte von Knochen, Überreste von Geschöpften, die der Kratzer bei seinen nächtlichen Reinigungszügen eingesammelt und in seinen Bau gebracht hatte, um sie zu fressen.

Vom Eingang führte ein breiter Flur in eine große Halle und endete dort. Keine Türen, keine Gänge. Die Halle war einmal ein Innenhof gewesen und ragte bald hundert Meter zu einer gewölbten Decke, die von seltsamen Lichtmustern und dem langsamen Vorüberziehen der Wolken gesprenkelt war. In der Halle war es still. Pe Ell sah sich unglücklich um. Er wußte sofort, daß es hier nichts zu entdecken gab – weder den Steinkönig noch den schwarzen Elfenstein. Er hatte sich geirrt. Wut und Enttäuschung stiegen in ihm auf und zwangen ihn, seine Suche fortzusetzen, obwohl er wußte, daß es sinnlos war. Er machte sich daran, die gegenüberliegende Wand zu untersuchen, ließ seinen Blick in der verzweifelten Hoffnung, irgend etwas zu finden, über die Mörtelfugen wandern, über den Boden, die Wände und hinauf bis zur Decke.

Da pfiff Horner Dees.

Fast gleichzeitig hörte Pe Ell das leise Kratzen von Metall auf Stein.

Er wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte durch die dunkle Halle zurück. Der Kratzer war wiedergekommen. Es gab keine andere Erklärung dafür, als daß er sie entdeckt hatte. Aber wie? Hektisch kämpfte er gegen die Verwirrung an. Der Kratzer war blind, er verließ sich auf seine anderen Sinne. Gesehen konnte er sie nicht haben. Vielleicht gewittert? Pe Ell wußte die Antwort im gleichen Augenblick. Ihr Geruch vor dem Eingang hatte ihn alarmiert, darum war er dort stehengeblieben. Er hatte so getan, als ginge er fort, wartete und kam wieder.

Pe Ell kochte vor Zorn über seine eigene Dummheit. Wenn er nicht machte, daß er sofort hier rauskam, saß er in der Falle.

Er stürmte in den düsteren Eingang und stellte fest, daß es zu spät war. Durch die offene Tür sah er, wie der Kratzer eben um die Hausecke gegenüber bog und so schnell ihn seine Beine tragen konnten zu seinem Bau watschelte. Das Seil und Horner Dees waren verschwunden. Pe Ell verschmolz mit dem Schatten an der dunkelsten Stelle der Wand und glitt geräuschlos vorwärts. Er mußte den Eingang erreichen, ehe der Schleicher den Riegel betätigte. Wenn es ihm mißlang, saß er in der Falle. Selbst der Stiehl würde ihn da nicht retten können.

Der Kratzer stampfte mit knirschenden Krallen durch die Öffnung, seine Tentakel peitschten gegen die Steinmauern, und er begann, das Innere zu untersuchen. Pe Ell zog den Stiehl aus der Scheide und kauerte sich ins Dunkel. Er mußte schnell sein. Er war seltsam ruhig, so wie vor einem Mord. Er beobachtete, wie das Monster die Öffnung ausfüllte und hereinkam.

Er sprang sofort los und rannte. Der Kratzer entdeckte ihn sofort, seine Instinkte noch schärfer als Pe Ells. Ein Tentakel schlug aus und erwischte ihn wenige Zentimeter vor dem Ausgang. Der Stiehl schnellte hervor und zerschlitzte die Fessel. Der Mörder war wieder frei. Der Kratzer schnellte keuchend herum. Pe Ell versuchte zu fliehen, doch da waren schlängelnde Arme überall.

Da schoß der Ankerhaken aus der Dunkelheit hinter dem vorwärtsstürmenden Schleicher, und das Seil wickelte sich um seine Beine. Das Seil straffte sich, und das Monster wurde nach hinten gerissen. Es strampelte mit allen Gliedern und versuchte sich festzukrallen. Für einen Augenblick war seine Aufmerksamkeit abgelenkt. Der Augenblick reichte. Im Bruchteil einer Sekunde war Pe Ell an ihm vorbei und rannte so schnell er konnte auf die Straße. Horner Dees rannte fast gleichzeitig neben ihm her, seine Bärengestalt hatte Mühe bei der Anstrengung. Hinter ihnen hörten sie das Seil reißen und den Kratzer die Verfolgung aufnehmen.

»Hier!« bellte Dees und zerrte Pe Ell nach links in einen Eingang.

Sie jagten hinein, mehrere Treppen hinauf, einen Flur entlang und hinaus auf eine Brücke, die zu einem anderen Haus führte. Der Schleicher polterte hinterher und zerschmetterte dabei alles, was ihm in den Weg kam. Die Männer rasten in das Gebäude am anderen Ende der Brücke, wieder mehrere Treppen hinunter und auf die Straße zurück. Die Geräusche ihres Verfolgers wurden leiser. Sie verlangsamten ihren Lauf, bogen um eine Ecke und spähten vorsichtig die leere Straße hinunter. Dann folgten sie dem Gehsteig mehrere Häuserblöcke weit nach Süden zu einer Gruppe kleinerer Gebäude, die einen guten Unterschlupf boten, und krochen hinein. Sicher drinnen angekommen, ließen sie sich erschöpft nebeneinander niedersinken, den Rücken an die Wand gelehnt, und atmeten heftig.

»Ich dachte, du wärst abgehauen«, keuchte Pe Ell.

Dees grunzte und schüttelte den Kopf. »Wäre ich gern, aber ich hatte dir mein Wort gegeben. Was machen wir jetzt?«

Pe Ell dampfte vor Schweiß, doch tief innen baute sich eine kalte Wut auf. Er konnte den Tentakel des Kratzers um seinen Leib noch immer fühlen. Er empfand einen solchen Ekel, daß er sich kaum daran hindern konnte, laut herauszubrüllen.

Noch nie war er dem Tod so nah gewesen.

Er drehte sich zu Horner Dees um und sah, wie sich das grobe, bärtige Gesicht runzelte und die Augen glitzerten. Pe Ells Stimme war frostig vor Zorn. »Du kannst tun, was du willst, Alter«, flüsterte er. »Aber ich gehe zurück und bring’ das Viech um.«

27

Morgan Leah war entsetzt. »Was soll das heißen, wir gehen wieder zurück?« wollte er von Walker Boh wissen. Er war nicht einfach entrüstet, er war zutiefst erschrocken. »Wer gibt dir das Recht, irgendeine Entscheidung zu treffen, Walker? Quickening hat die Führung in diesem Unternehmen, nicht du!«

»Morgan«, sagte das Mädchen. Sie versuchte, seine Hand zu nehmen, doch er wich hastig zurück.

»Nein. Ich will das klarstellen. Was geht hier vor? Ich gehe für einen Augenblick aus dem Zimmer, nur um zu sehen, ob Horner nicht … und als ich zurückkomme, finde ich euch nah genug, um …« Die Worte blieben ihm im Hals stecken, sein Gesicht lief rot an, als ihm das, was er sagen wollte, in vollem Umfang bewußt wurde.

»Morgan, hör mich an«, fuhr Quickening fort. »Wir müssen den schwarzen Elfenstein zurückerobern. Wir müssen.«

Der Hochländer ballte seine Hände hilflos zu Fäusten. Ihm war bewußt, wie albern er aussah, wie jung. Mit großer Anstrengung versuchte er, seine Selbstkontrolle zurückzugewinnen. »Wenn wir wieder dorthin zurückgehen, Quickening, werden wir getötet. Vorher wußten wir nicht, mit was wir es zu tun haben, jetzt wissen wir es. Uhl Belk ist zu viel für uns. Wir haben es alle gesehen – etwas, das nur noch ganz entfernt menschlich ist, steingepanzert und in der Lage, uns beiseite zu fegen, als wären wir gar nichts. Er ist Teil des Landes selbst! Wie sollen wir gegen so etwas ankommen? Er wird uns mit Haut und Haaren verschlingen, ehe wir auch nur in seine Nähe gekommen sind!«

Er zwang sich dazu, ruhiger zu atmen. »Und das nur, wenn er nicht erst einmal den Kratzer oder den Malmschlund ruft. Wir kommen schon gegen die nicht an, geschweige denn gegen ihn. Überleg doch mal, ja? Was ist, wenn er den Elfenstein gegen uns einsetzt? Was machen wir dann? Was machen wir? So oder so – du ohne jede Magie, die du benutzen kannst, ich mit meinem zerbrochenen Schwert, das den größten Teil seiner Magie verloren hat, und Walker mit … ich weiß nicht, was? Was, Walker? Was bist du?«