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Aber Walker Boh war dennoch im Frieden mit sich selbst.

Er schritt vor Morgan und Quickening einher, überrascht über die Tiefe seiner Ruhe. Er hatte sich so verausgabt in dem Kampf, den Sinn und das Ziel seines Lebens zu verstehen und zu kontrollieren, hin- und hergerissen zwischen dem Zwillingsgespenst seines Erbes und seines Schicksals. Jetzt war das alles in den Hintergrund gerückt. Zeit und Ereignisse hatten ihn zu diesem Augenblick geführt, einem unerbittlichen Strudel, der den Sinn seines Lebens für ihn entscheiden würde. Die Begegnung mit dem Steinkönig würde darüber entscheiden, wer und was er war. Entweder war er des Auftrags würdig, den Allanons Schatten ihm gegeben hatte, oder er war es nicht. Entweder war er dazu bestimmt, in den Besitz des schwarzen Elfensteins zu gelangen und Paranor und die Druiden zurückzubringen, oder er war es nicht. Entweder würde er Uhl Belk überleben, oder auch nicht. Er stellte nicht mehr in Frage, daß seine Zweifel einer Entschlossenheit weichen mußten; er erlaubte sich nicht mehr, sich mit »Was, wenn’s« abzugeben, die ihn so lange geplagt hatten. Die Umstände hatten ihn an diesen Ort geführt, und das war genug. Gleich, ob er überlebte oder den Tod fand, er wäre endlich frei von der Vergangenheit. War die Shannara-Magie in ihm lebendig und trotz des Verlustes seines Armes an das Asphinxgift stark genug, um dem Zorn des Steinkönigs standzuhalten? War das Vermächtnis, das Allanon Brin Ohmsford übertragen hatte, für ihn bestimmt? Er würde es erfahren. Wissen, dachte er mit unleugbarer Ironie, war immer befreiend.

Morgan Leah war weniger gewiß.

Ein halbes Dutzend Schritte hinter ihm klammerte sich der Hochländer an Quickenings Hand, eine zerbrechliche Schale, in der Ängste und Befürchtungen wie gefangene Fliegen umhersummten. Im Gegensatz zu Walker Boh wußte er schon viel zuviel. Er wußte, daß Walker nicht mehr der Dunkle Onkel von früher war, daß der Mythos seiner Unbesiegbarkeit gleichzeitig mit seinem Arm in Scherben gegangen war und daß er von der gleichen Welle von Prophezeiungen und Versprechungen getragen wurde, wie sie alle. Er wußte, daß er selber noch unfähiger war, ein Mann ohne eine intakte Waffe und einer Magie beraubt, die ihn bei früheren Auseinandersetzungen mit weit geringeren Gegnern nur um Haaresbreite gerettet hatte. Er wußte, daß alles von ihnen beiden allein abhing, daß Quickening nicht eingreifen konnte, daß sie ihr Schicksal teilen, aber nicht beeinflussen konnte. Er konnte behaupten, daß er verstand, warum sie den schwarzen Elfenstein brauchte, warum sie den Versprechungen ihres Vaters glaubte und darauf vertraute – er konnte es beim Namen nennen. Er konnte beten, daß sie das, was sie da unternahmen, irgendwie überleben würden, daß ein Wunder sie retten würde. Aber die Ängste und Befürchtungen ließen sich durch Worte und Gebete nicht vertreiben; sie ließen sich mit falschen Hoffnungen nicht beschwichtigen. Sie flohen in seinem Inneren wie aufgeschrecktes Wild, und er konnte sein Herz zur Antwort auf ihre Flucht heftig pochen hören.

Was würde er tun, fragte er sich verzweifelt, wenn der Steinkönig diese toten Augen auf ihn richtete? Wo sollte er die Kraft hernehmen?

Heimlich warf er einen Seitenblick auf Quickening, auf die Linien und Schatten ihres Gesichts und den dunklen, beruhigenden Glanz in ihren Augen.

Doch Quickening ging neben ihm, ohne es zu merken.

Sie folgten den leeren Straßen zum Herzen der Stadt, schlichen wie Katzen mit dem Rücken zu den Hausmauern entlang der steinernen Bänder der Gehsteige. Sie konnten den Boden unter sich beinahe von dem Leben des Steinkönigs pulsieren fühlen; konnten fast das Geräusch seines Atems in der Stille hören. Eine alte Gottheit, ein Geist, ein Wesen von unbegreiflicher Macht – sie konnten seine Augen auf sich gerichtet fühlen. Die Minuten verstrichen, Straßen und Gebäude kamen und gingen mit einer Gleichförmigkeit, die von Zeitaltern wisperte, die gekommen und gegangen waren, von Leben vor dem ihren, das diesen Weg gegangen war, ohne Spuren zu hinterlassen. Eine erdrückende Gewißheit erfaßte sie, eine wortlose Stimme, ein kaum erinnertes Gesicht, eine federleichte Berührung, alles dazu angetan, sie von der Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens zu überzeugen. Sie fühlten seine Gegenwart und reagierten jeder auf seine Weise, jeder mit der ihm zur Verfügung stehenden Abwehr. Keiner kehrte um. Keiner gab nach.

Aneinander gebunden durch ihre Entschlossenheit, diesem Alptraum ein Ende zu setzen, gingen sie weiter.

Im Osten hellte sich das fahle Dämmerlicht zu frostigem Silbernebel auf, der sich mit den Wolken paarte und die Stadt kristallen machte.

Kurz darauf sahen sie die Kuppel zum ersten Mal, und Walker Boh drängte sich in den Schatten des Hauses, an dem sie entlanggingen, als fürchte er, die Kuppel könne sie sehen. Er führte sie den Gehsteig zurück und eine Nebenstraße entlang, hinüber und eine andere hinunter; im Zickzack schlängelten sie sich durch das Labyrinth. Sie schlichen durch die Feuchtigkeit wie ein Wasserrinnsal, das immer das niedrigste Niveau sucht und nie langsamer wird. Ihr Weg führte sie in Mäandern, doch die Kuppel rückte hinter den Mauern, die sie abschirmte, immer näher.

Schließlich blieb Walker stehen und hob den Kopf aus der Kapuze seines Umhangs, als schnuppere er die Luft. Er war nach innen gekehrt, lotete in der Finsternis seines Bewußtseins die Magie aus, die ihn führen würde, so seine Augen nicht sehen konnten. Dann ging er wieder weiter, führte sie über eine Straße, durch eine kleine Gasse und weitere Straßen hinunter zu einem Gebäude mit einem Eingang zu einem breiten Treppenhaus. Sie stiegen die dunklen Treppen hinunter in einen höhlenartigen Keller, wo Dutzende der Waggons der Alten Welt auf ihren versteinerten Schienen ruhten. Die massiven, steinernen Wagen, vom Zahn der Zeit zerbrochen und zerklüftet, gaben dem Keller das Aussehen eines Gebeinhauses. Licht fiel in dünnen Streifen über die Skelette, und Staubwolken dekorierten die Luft mit feinem Dunst.

Die Treppen führten weiter in die Tiefe, und die drei stiegen hinunter. Sie gelangten in einen Vorraum mit einem runden Portal am gegenüberliegenden Ende, gingen zögernd hindurch und befanden sich wieder im Abwassersystem der Stadt. Die Kanäle führten in drei Richtungen in die Finsternis – Katakomben, in Schweigen gehüllt und mit dem Geruch toter Dinge geschwängert. Walker hob seine Hand und silbernes Licht strahlte aus seinen Fingern. Er blieb wieder stehen, als untersuche er die Luft. Dann führte er sie nach links.

Der Tunnel verschluckte sie mühelos mit seinen undurchdringlichen, steinernen Wänden, die sie für immer festzuhalten drohten. Die Stille war ein heimlicher, unsichtbarer Beobachter. Der Malmschlund war nicht zu hören – kein Gerumpel, nicht einmal das Beben seines Atems. Eldwist fühlte sich wieder an wie ein Grab, vom Leben verlassen, eine Heimat der Toten. Sie gingen im Gänsemarsch hintereinander, Walker vorneweg, dann Quickening und hinter ihr Morgan. Kein Wort wurde gewechselt, kein Blick. Sie hielten die Augen auf das Licht gerichtet, das Walker in die Höhe hielt, auf den Tunnelboden, auf dem sie gingen, und auf die Bewegungen ihrer eigenen Schritte.

Walker wurde langsamer. Seine leuchtende Hand bewegte sich erst zu der einen, dann zur anderen Seite. Ein schwacher Schein erfaßte die Umrisse einer dunklen Öffnung in der linken Wand mit einer Treppe dahinter.

Wieder stiegen sie tiefer, folgten den feuchten, glitschigen, groben Stufen durch ein Wurmloch in der Erde. Sie rochen jetzt den Gezeitenstrom, hörten sein fernes Donnern gegen Eldwists Küste. Sie lauschten aufmerksam auf das Quieken der Ratten, doch sie hörten nichts. Als sie das untere Ende der Treppe erreichten, führte Walker sie nach rechts durch einen engen Spalt, gespickt mit messerscharfen, von der Natur und der Zeit geschliffenen steinernen Vorsprüngen. Langsam und vorsichtig bewegten sie sich nah beieinander, um innerhalb des Lichtkegels zu bleiben, hindurch. Nässe überzog die Wände mit dunklen Flecken. Im Licht bewegte sich etwas, flitzte davon. Morgan erhaschte einen Blick darauf. Meeresgetier, erkannte er überrascht. Kleine, schwarze Krebse. Waren sie tief genug unter Uhl Belk, daß solche Tiere hier leben konnten? Waren sie nah genug am Wasser?