„Woher wollen Sie das wissen?“
„Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.“
„Schön. Einfach hervorragend… Und was wollen Sie damit?
Veröffentlichen in unserer Zeitung?“
„Ich bin nur mal hergekommen. Irgendeinem Menschen muß ich es doch mal zeigen.“
„Wollen Sie sich damit nun ernsthaft befassen? Ihren Lebensinhalt darin finden? Oder nur einfach so?“
„Ich möchte schon allen Ernstes“, erwiderte Tschesnokow, allen Mut zusammennehmend.
„Prima!“ Der Redakteur kam sogar hinter seinem Schreibtisch hervor und klopfte dem werdenden Dichter auf die Schulter. „Wenn Sie das hier nur mal eben so hingeschrieben hätten, würden wir es etwa in zwei, drei Wochen herausbringen. Aber wenn es etwas Ernstes ist, muß man noch daran arbeiten. Das Ernsthafte ist stets schwieriger als nur ›einfach so…‹“
Zwanzig Minuten später verließ Tschesnokow frohgelaunt und lächelnd die Redaktion. Das Gedicht war selbstverständlich nicht angenommen worden, aber wieviel Nützliches hatte er statt dessen vernommen, wieviel interessante Themen hatte ihm der Redakteur aufgezählt! Sollten seine Verse später Originalität und Frische atmen, würde man sie sogar drucken.
Ehrenwort, man wird sie drucken!
Tschesnokow lief eilig in seine kleine Wohnung im vierten Stock, öffnete geräuschvoll die Tür, gab seiner Frau Annetschka einen Kuß, ließ sich auf die Couch fallen und rief mit lauter Stimme: „Arbeiten und immer wieder arbeiten!“ Dann erzählte er Einzelheiten.
Annetschka hatte sich auf den Rand der Couch gesetzt, ihre hellblauen Augen waren weit geöffnet, und bei besonders schrecklichen Stellen des Berichtes drückte sie ihre kleinen Fäuste gegen die Brust, wobei sie „Oh!“ und „Ach!“ rief. Auf diese Weise hörte sie Wolodenka aufmerksam bis zum Schluß zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als er seinen Bericht beendet hatte, sagte sie: „Wolodenka! Tief in deinem Innern bist du sowieso ein Dichter. Ich weiß das.“
Wladimir wurde verlegen und setzte zum Widersprechen an, doch Anja schnitt ihm das Wort ab: „Willst du denn wirklich ein richtiger, allgemein anerkannter Dichter werden?“
Tschesnokow seufzte und brachte kühl heraus: „Das hängt alles nur von uns ab.“
Annetschka nickte bestätigend.
2
Tschesnokow arbeitete als Oberingenieur in einem Betrieb für Radiogeräte. Annetschka stellte in einer Backwarenfabrik Torten her. Beide liebten die Literatur, kannten sich in der Lyrik aus und verwendeten einen beträchtlichen Teil ihres Geldes zur Anschaffung von Büchern. Das stieß bei ihrem Etagennachbarn, Benjamin Kondratjuk, auf Verständnislosigkeit und entlockte ihm zuweilen sogar ein Lächeln; denn sein Budget war auf den Kauf eines Motorrollers, eines Motorrades, eines Motorrades mit Beiwagen, eines „Saporoshez“, schließlich eines „Moskwitsch“ und so weiter ausgerichtet.
Für ein Vierteljahr wurde Tschesnokow daheim von der Fußbodenreinigung dispensiert. Schließlich hatte er pausenlos zu schreiben!
Sie kamen beide fast gleichzeitig von der Arbeit heim.
Schnell wurde die Nudel- oder Rote-Rüben-Suppe vom Vortag aufgewärmt und das Essen rasch erledigt. Wladimir legte ein unbeschriebenes, sauberes Blatt Papier und einen Kugelschreiber auf den Tisch und schritt im Zimmer hin und her. Annetschka hatte im Haushalt zu tun, wo die Arbeit nie abriß.
Jeder dieser Abende verlief anfangs für Tschesnokow ergebnislos. Er war nicht imstande, etwas zu schreiben. Jeder erdenkliche Unsinn kam ihm in den Kopf, es reimte sich auch vortrefflich, aber es war nicht eine Spur von Gefühl darin.
Alles seicht, routinemäßig, wie bei einer Bestellung für Massenkonsum.
„Wowka, hör doch mit dieser Quälerei auf“, sagte Annetschka dann für gewöhnlich, trocknete ihre feuchten Hände an der Schürze ab und ließ die Arbeit liegen. Sie schlang ihre kleinen, kräftigen Arme um seinen Hals und blickte ihm in die Augen.
In ihren Augen leuchtete eine winzige, aber interessante, freundliche Welt, ein kleines Universum.
„So, nun laß mich wieder los“, sagte sie.
„Warte mal“, antwortete er. „Ich habe noch nicht alles gelesen.“
„Was kann man denn dort lesen?“
„Alles. Da sind alle meine Verse.“
Sie drückte ihren Kopf an seine Brust und hörte auf das Schlagen seines erregten, aufgewühlten Herzens.
Dann setzten sie sich zusammen auf die Couch oder direkt auf den Fußboden, sie fragte ihn irgend etwas, und er antwortete ihr. Oder er fragte sie, und sie gab die Antworten. Sie kramten in Erinnerungen: „Weißt du noch…“, träumten: „Das wird schön werden…“, stritten miteinander: „Wolodka, du bist im Unrecht.“ Sie lösten tausend Probleme und entdeckten tausend neue. In Tschesnokows Kopf erklangen Musik und Verse.
Dichten war bei ihm stets an Musik gebunden. Annetschka verstummte, weil sie spürte, daß in ihm etwas Seltsames vor sich ging. Vielleicht war es sogar dieser seltsame Ausgang, war es gerade diese Verfassung, was sie an ihm am meisten liebte. Er war immer noch genau so wie am Tag ihrer ersten Begegnung. Sie wünschte sich, daß er immer so wäre, ihr nah vertraut und bemerkenswert anders.
„Lies mir vor“, bat sie flüsternd.
Er begann zu sprechen, und sie ließ sich in eine wundersame ungewöhnliche, gleichzeitig aber auch wieder sehr bekannte Welt versetzen.
Es gab dort ihre Freunde, die Bekannten, das alte sibirische Städtchen, den Wind am Meer, Sternschnuppen, die jungen Bäumchen und die Schreie kleiner Kinder hinterm Fenster.
Alles war genau so, wie sie es tagtäglich zu sehen gewohnt war, und nur eine winzige, seiner Stimmung entspringende Verschiebung ließ alles neu und ungewöhnlich werden. Die Welt erschloß sich unter einem anderen Blickwinkel. Möglicherweise nannte man das Inspiration oder Talent? In seiner Wohnung wurde geweint und gelacht, man war fröhlich oder traurig, liebte und haßte sich. Doch alles war dort aufrichtig, merkwürdig und ungewöhnlich; wenn in seinen Versen zuweilen ein Schmerzensschrei aufklang und Enttäuschung über entartete menschliche Beziehungen, so war es stets eine Dissonanz. Eine sehr eigenwillige Dissonanz, ohne die alle Musikalität der Dichtung nichts weiter gewesen wäre als eine elegant geformte Gemeinheit.
Schreibgerät und Papier lagen unbenutzt auf dem Fußboden umher.
„Anscheinend wird es jetzt absoluter Unsinn“, meinte er, und sie machten in den Anlagen der Universität einen Spaziergang oder im Garten des Lagers, sofern das Wetter dies erlaubte, oder aber sie hörten bei geschlossener Balkontür auf das Rauschen des Regens und überließen sich dem Schweigen.
Wieviel kann man einander sagen mit solchem Schweigen!
Manchmal schrieb er die Verse auf, manchmal tat sie es.
Es geschah auch, daß sein Versstrom versiegte und gar nichts zu Papier gebracht werden konnte. Dann gingen sie in den nächsten Laden, kauften dort eine große Flasche Wein und besuchten irgendwen, oder sie luden sich Besuch ein.
3
Der Wohnungsnachbar kaufte sich einen Motorroller, Tschesnokow half ihm beim Transportieren, beim Unterbringen in einer Garage und war zusammen mit seiner Frau eingeladen, den Kauf „zu begießen“.
Es waren acht Personen gekommen, alles fanatische, leidenschaftliche Auto- und Motorradfahrer. Selbstverständlich drehte sich das Gespräch um das Thema Kraftfahrzeuge. Man gratulierte Kondratjuk, trank auf die Reifen, auf das Lenkrad, auf die Ersatzteile. Von allen Seiten wurden gute Ratschläge erteilt. Benjamin Kondratjuk strahlte. Seine Frau stahl sich unbemerkt aus dem Zimmer, ging in die Küche und klapperte dort mit Tellern und Gläsern.
Tschesnokow war sich zunächst überflüssig und fehl am Platze vorgekommen, doch später hatte sich das gegeben.