Kondratjuk lief immer wieder mal in die Garage, um nachzuschauen, ob man nicht etwa seinen Motorroller demoliert hatte.
Aber kein Mensch hatte sich daran vergriffen. Kondratjuk zeigte allen den Zündschlüssel und ließ ihn vorsichtig in ein Glas Wodka fallen.
„Weshalb wollen Sie sich eigentlich keinen Motorroller kaufen?“ wandte er sich fragend an Tschesnokow.
„Das ist wahr, weshalb nicht?“ erklang es in der Runde. „Ist doch wunderbar! Schnell in den Wald oder rasch auf den Markt, um Kartoffeln zu holen.“
„Wir haben das irgendwie noch nie in Erwägung gezogen“, sagte Tschesnokow.
„Außerdem haben wir auch kein Geld dazu“, warf Annetschka ein.
„So ist das also! Ihr habt kein Geld! Aber für Bücher und allen möglichen Plunder, da habt ihr welches. Doch für einen Motorroller ist keins da!“
„Bücher sind kein Plunder“, sprach Tschesnokow.
„Wozu braucht ihr denn so viele Bücher?“
„Und wozu brauchst du einen Motorroller?“
„Um mal in den Wald zu fahren. Man braucht sich nicht erst im Omnibus stoßen und schieben zu lassen. Sobald man Lust hat, fährt man eben los. Da ist keine Zeit einzuhalten, der Roller steht in jeder beliebigen Minute zur Verfügung.“
„Genauso ist das auch mit Büchern. Sobald du Lust verspürst, nimmst du dir eins vom Regal und liest.“
„Nun gut, du liest es, und fertig. Außerdem kann man in die Bibliothek gehen und sich eins leihen.“
„Ebensogut kann ich auch mit einem Taxi fahren. Wozu brauche ich einen Roller?“
Kondratjuk war für einen Augenblick etwas verdutzt. „Jedenfalls werde ich auf dem Motorroller fahren. Er macht sich bezahlt. Aber eure Makulatur steht sinnlos ‘rum. Wozu ist sie gut?“
„Das ist keine Makulatur. Das sind Menschen, Freunde.
Treue Freunde fürs ganze Leben.“
„Schwindel ist das! Ihr wollt bloß als Intellektuelle gelten!
Wenn man in eure Wohnung kommt, sollen einem gleich die Bücherregale ins Auge fallen. Was für kluge Menschen wohnen hier, soll man sich sagen. Die Vitrine mit dem Geschirr steht in der Ecke, aber die Bücher muß man präsentieren…
Jeder soll wissen, daß wir dem Nachbarn weit überlegen sind!
Er hat sich einen Roller gekauft, Bücher schafft er sich nicht an! Die Schreiber- und Dichterlinge bekommen ihre Honorare völlig umsonst. Umgraben sollte man sie lassen!“
„Jetzt übertreibst du aber…“
Man bemühte sich, Kondratjuk zu beruhigen.
„Ich werd’s euch zeigen!“ posaunte der Hausherr. „Ich werde mir auch einen Bücherschrank zulegen!“
„Jetzt läßt er die Katze aus dem Sack“, meinte Tschesnokow.
„Sobald ich mein Motorrad habe, kommt ein Schrank her, vollgestopft mit Büchern, damit alle wissen, daß ich auch kein Dummkopf bin.“
„Bloß das nicht!“ Tschesnokow schrie auf und schlug sogar mit der Faust auf den Tisch. „Ich werde es nicht zulassen, daß du Bücher kaufst. Auf keinen Fall kann ich das mitmachen!
Das sind Menschen, sind Gedanken. Dein Bücherschrank wäre für sie wie ein Grab, eine finstere Grube. Sie müßten darin dahinsiechen, verrückt werden, sterben. Das erlaube ich nicht!“
„Laß uns heimgehen, Wolodja“, sagte Annetschka.
Sie zog Tschesnokow am Ärmel. Kondratjuk hielt man am Jackett fest, aber er schlug immer wieder um sich.
Am nächsten Tag erwachte Tschesnokow mit einem üblen Geschmack im Mund. Wenigstens gab es, Gott sei Dank, keine Kopfschmerzen. Annetschka sagte lediglich: „Wie konntest du dich mit ihm auf so ein Gespräch einlassen?“
„War ich es denn, der angefangen hat?“ rechtfertigte sich Tschesnokow.
Auf dem Treppenabsatz traf er mit Kondratjuk zusammen.
Der Vorfall am Tag zuvor war ihm irgendwie peinlich, und er fragte: „He, Benjamin, was macht dein Motorroller?“
„Danke, alles in Ordnung“, entgegnete Kondratjuk. Auch ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut nach dem gestrigen Vorfall. „Kannst du mir mal was zum Lesen geben, Wladimir, hm? Was richtig zu Herzen geht!“
„So was habe ich überhaupt nicht, wird sich wohl auch kaum finden lassen“, entgegnete Tschesnokow, doch Kondratjuk begriff die Ironie nicht.
„Na, vielleicht etwas aus der letzten Zeit? Was ist denn in diesem Jahr zur Auszeichnung mit einem Staatspreis vorgesehen?“
Sie zündeten sich ihre Zigaretten an demselben Streichholz an und verließen gemeinsam das Haus. Sie arbeiteten im selben Betrieb, in derselben Abteilung.
Eine Woche später bat Tschesnokow Annetschka, von Gedichten und überhaupt von der Literatur nicht mehr zu sprechen.
Dann verließ er die Wohnung.
4
Drei Monate später waren annähernd dreißig Gedichte fertig.
Tschesnokow gab sie einer Schreibkraft, die Heimarbeit machte, zur Abschrift. Dabei war er fürchterlich aufgeregt, nannte ihr einen anderen Namen und benahm sich unbeholfen. Als schließlich alles abgeschrieben vor ihm lag, atmete er erleichtert auf. Am folgenden Freitag zog er nach Arbeitsschluß ein schneeweißes Hemd und seinen schwarzen Anzug an, legte einen Synthetikschlips um, gab Annetschka einen Kuß und machte sich auf den Weg zur Redaktion.
Ohne langes Überlegen ging er direkt zum Redakteur. Doch der war gar nicht in Stimmung. Man wollte ihn in keiner Weise von der Arbeit in der Jugendzeitung ablösen. Natürlich hatte er Tschesnokows einmaligen Besuch längst vergessen; aufgeregt und unfreundlich hieß er ihn gehen. Tschesnokow, der nun überhaupt nichts mehr begriff — schließlich war er gebeten worden, nach drei Monaten wiederzukommen! — , schlüpfte auf den Korridor hinaus, und nachdem er seine Gedanken geordnet hatte, beschloß er, alles aufzugeben und heimzugehen. Dem Redakteur, der im allgemeinen ein guter, freundlicher Mann war, kamen Gewissensbisse, daß er einen unbekannten Mann so mir nichts dir nichts angeschrien hatte. Schon wenig später war auch er auf dem Flur. Tschesnokow war noch nicht weggegangen. Der Redakteur atmete erleichtert auf.
„Junger Mann, was haben Sie auf dem Herzen?“
Tschesnokow rief kurz seinen ersten Besuch in Erinnerung und griff verlegen nach seinem Stoß Papier. Der Redakteur führte ihn in die Abteilung Lyrik zu Pionow. Dort unterhielt man sich freundschaftlich. Tschesnokow ließ seine Verse da.
Pionow warf einen flüchtigen Blick darauf und sagte: „Das hat schon was für sich…“ Dann notierte er sich Tschesnokows Telefonnummer und Anschrift und versprach, in der kommenden Woche anzurufen.
Als vier Tage vergangen waren, rief Pionow tatsächlich an.
Er bat Tschesnokow, unverzüglich in die Redaktion zu kommen. Es handle sich um etwas Wichtiges und Eiliges.
Tschesnokow ließ sich von der Arbeit beurlauben und stürzte in die Redaktion. Wenn sie ihm absagen wollten, hätten sie ihn ja nicht erst rufen lassen, dachte er. Wahrscheinlich ging es um die Veröffentlichung.
Er verließ seinen Betrieb sehr aufgekratzt und hätte am liebsten aus vollem Halse gesungen, doch je näher er der Redaktion kam, um so stiller wurde er. Erregung befiel ihn.
Pionow begrüßte ihn ziemlich entgegenkommend, ließ ihn in einem Sessel Platz nehmen, bot ihm eine Zigarette an und betrachtete Tschesnokow minutenlang, wobei er vortäuschte, in den Papieren auf dem Tisch herumzuwühlen.
Auch Tschesnokow schwieg.
„Ich habe Ihre Verse gelesen“, sagte schließlich Pionow.
„Und ich übertreibe nicht im mindesten, wenn ich sage, daß sie hervorragend sind.“
Tschesnokow wurde aus irgendeinem Grunde stutzig.
„Ich bin selbst Dichter“, fuhr Pionow fort. „In Kürze wird in einem westsibirischen Verlag ein kleiner Sammelband von mir erscheinen. Ich weiß genau, was ich sage. Bei Ihnen steckt Talent dahinter. Wann haben Sie das geschrieben?“
„Von Juni bis August“, entgegnete Tschesnokow und fühlte, wie ihm innerlich immer kälter wurde. Irgend etwas in Pionows Stimme sagte ihm, daß mit seinen Versen nicht alles in Ordnung war. Man würde sie nicht drucken. Unter keinen Umständen würde man das tun. „Alles in allem drei Monate.