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Nikolai Traikow rannte die Treppe der Zentralstation hinunter und eilte zur Unterkunft. Sven und Henry gingen langsam und blieben etliche Male stehen. Man konnte erkennen, daß Thomson etwas zu Wirt sagte. Der Angeredete schüttelte den Kopf.

„Was ist mit ihr?“ fragte Nikolai.

„Schläft“, antwortete Erli einsilbig.

„Hat sie denn überhaupt nicht gesprochen?“

„Sie hat gesagt: ›Wie furchtbar ist es hier.‹“

„Was könnte denn das bedeuten?“

„Entweder bezog es sich auf das, was mit ihnen allen geschehen ist, oder darauf, was sie selbst durchgemacht hat, oder schließlich sowohl auf das eine als auch auf das andere. Wir müssen den Stimulator HD bei ihr anwenden. Wir haben keine Zeit. Sie muß zur Besinnung kommen. Danach kann sie weiterschlafen.“

„Gut“, entgegnete Nikolai und ging ins Bad, weil sich dort gewöhnlich die Medikamente befanden.

Sven und Henry kamen ins Zimmer.

„Henry bittet um den Hubschrauber“, sagte Sven bereits auf der Türschwelle.

„Ich fliege nur mal zu Osa und komme sofort zurück. Das wird höchstens vier Stunden dauern“, sagte Henry hastig. „Wir müssen ja sowieso auf den Basen nachsehen. Und Osa ist auf der allernächsten! Gebt mir doch den Hubschrauber.“

„Du kannst ihn ja gar nicht fliegen“, meinte Sven und wandte sich um, weil Henrys flehender Blick kaum zu ertragen war.

„So schwer ist das nun nicht.“

„Nein, Henry, das geht nicht. Wir sind nur fünf. Seit fünfunddreißig Minuten sind wir hier und wissen noch gar nichts.

Kapiert?“ Leise setzte er hinzu: „Noch ein bißchen Geduld!

Eva wird gleich zu sich kommen.“

Henry sprang auf Sven zu und packte ihn am Zipfel der Kutte. „Mit welchem Recht kommandierst du eigentlich hier herum? Hier ist kein ›Veilchen‹. Wer bist du denn? Stakowski?

Zwei Hubschrauber sind hier für jeden da! Von mir aus könnt ihr tun und lassen, was ihr wollt. Ich jedenfalls fliege jetzt zu Osa. Ich muß erfahren, was ihr passiert ist. Sofort muß ich das wissen, verstehst du? Ich kann nicht warten, bis ihr hier klargekommen seid!“

„Na schön“, sagte Sven leise. „Mögen alle darüber entscheiden.“

Nikolai kam aus dem Bad und hatte eine Spritze in der Hand.

Er rieb Evas Arm mit einem alkoholgetränkten Wattebausch ein und gab die Injektion. Henry hatte sich urplötzlich in einen Sessel fallen lassen, die Augen geschlossen, sich zurückgelehnt und war in leichte Schaukelbewegungen übergegangen, wobei er sich mit den Händen an den Lehnen festhielt.

Eva öffnete die Augen, ließ ihren Blick ungläubig im Zimmer umherschweifen und flüsterte kaum hörbar: „Jungens…“

„Beruhige dich, Eva.“ Sven trat zu ihr und war ihr beim Aufrichten behilflich. Mit einer Handbewegung in Erlis Richtung:

„Erli Kosales, Journalist und Physiker. Er ist mit uns hierhergeflogen…“

Das Mädchen saß mit angewinkelten Beinen da und stützte sich auf den rechten Arm. „Demnach bin ich also gar nicht verrückt?“

„Was ist hier vor sich gegangen?“ fragte Sven mit Entschiedenheit.

„Ich weiß nicht, was passiert ist. Doch ich will alles erzählen, was ich weiß. Vier Tage nach eurem Abflug vom Eremiten hat Stakowski bekanntgegeben, daß sich alle für den Flug zu den Basen fertigmachen sollten. Daran waren wir in periodischen Abständen von früher her gewöhnt. Es wunderte sich also niemand. Die Vorbereitungen wurden getroffen. Am zehnten Tag waren dann nur noch Esra, Jumm und ich auf der Zentralstation. Alle anderen waren mit Hubschraubern zu den Basen geflogen.“

„Alle außer euch dreien?“

„Ja.“

„Auch Osa ist zu ihrer Basis geflogen?“ fragte Henry beiläufig.

„Ja. Man hat versucht, sie zum Hierbleiben zu überreden, doch sie bestand darauf, daß man sie ebenfalls wegschickte.“

„Wann hätten sie alle zurück sein müssen?“

„Am neunzehnten; außer denen natürlich, die ständig auf den Basen leben.“

„Was hatte Stakowski vorgeschlagen?“ fragte Sven.

„Das weiß ich nicht. Ich habe nur gehört, wie Esra zu Jumm gesagt hat, Stakowski wolle beweisen, was eine Schaukel sei.“

„Eine Schaukel?“ fragte Sven zurück.

„Was für eine Schaukel?“ wollte Erli wissen.

„Das weiß ich nicht.“ Eva zuckte die Achseln. „Esra und Jumm saßen in dem Raum, wo das Regelungspult war, also im Stab. Von dort aus gibt es Verbindung zu allen Basen. Da ist auch der Computer. Sie hatten mich nach Kaffee geschickt, einem ganz gewöhnlichen Kaffee. Ich war hinuntergegangen, denn der Kaffee stand in Thermosbehältern in der Bar. Ich hatte einen genommen und mich wieder nach oben begeben.

Das alles hatte nicht länger als zwei Minuten gedauert, so war es mir jedenfalls vorgekommen. Als ich in den Pultraum kam, waren Esra und Jumm nicht mehr da. Dort, wo sie gesessen hatten, sah ich zwei Skelette und Stücke zerrissener Kleidung…“ Eva bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schüttelte den Kopf. „Das ist furchtbar.“

Sven hockte sich auf den Rand der Couch und löste die Hände des Mädchens vom verweinten Gesicht. „Was war dann?“

„Ich war erschrocken. Ich konnte mir nicht erklären, was hier passiert war. Das war am schlimmsten. Ich nahm mit allen Basen gleichzeitig Verbindung auf, aber niemand antwortete.

Die Funkanlagen funktionierten nicht. Ich verließ die Kuppel und schlug die Tür hinter mir zu. Vielleicht gelingt es mir, sie vom Sektor der Außenverbindung zu erreichen, hoffte ich; denn von dort aus ist die Verbindung des Pultes doppelt so stark. Aber auch da gab es keine Antwort. Und mir wurde bewußt, daß ich auf diesem Planeten vollkommen allein war, ohne zu wissen, was mit den anderen geschehen war und was mit mir bereits im nächsten Moment, in der folgenden Minute passieren würde.

Ich allein war übriggeblieben. Das war grauenhaft. Ich raffte mich auf, in den Raum mit dem Hauptpult zu gehen. Die Materialien mußten in Ordnung gebracht werden, denn ihr mußtet ja auf den Eremiten kommen! Ich war verpflichtet, euch den Auftrag zu erleichtern, wenigstens irgendwie zu helfen. Aber der Rechenautomat gab nichts von sich, er war leer, keine einzige Information war darauf! Als hätte ihn jemand absichtlich gelöscht. Die Bänder der registrierenden Anlagen waren verschwunden. Alles war verrostet, zersplittert und zerstört.

Nicht ein einziges Dokument war übriggeblieben, mit dessen Hilfe man sich hätte ein Bild darüber verschaffen können, was auf den Basen in jenen zwei Stunden vor der Katastrophe getan worden war. Ihr werdet dort überhaupt nichts vorfinden.“

Eva schwieg.

„Erzähl weiter, Eva. Wir sind jetzt fünf“, sagte Sven.

„Da setzten bei mir die Halluzinationen ein. Ich glaubte den Verstand zu verlieren. Davon wurde mir dann noch übler, noch grauenvoller. Manchmal sah ich Esra und Jumm. Sie laufen im Zentralgebäude umher. Immerzu streiten sie. Aber sie können ja gar nicht hier sein, weil sie doch tot sind. Trotzdem laufen sie hier herum. Ist das der Irrsinn? So viel kann ein Mensch nicht aushalten. Welchen Tag haben wir heute?“

„Den dreiundzwanzigsten.“

„Der Wahnsinn hat demnach zwölf Tage gedauert. Sehe ich aus wie eine Verrückte?“

„Du bist völlig gesund, Eva“, sagte Nikolai. „Du bist nur sehr müde.“

„Ich fürchte mich.“

„Jetzt brauchst du keine Angst mehr zu haben, Eva.“ Sven legte seinen Arm um ihre Schulter. „Hast du in deinem Bericht nichts Wesentliches weggelassen?“

„Nein… Ich bin so müde.“

„Eva, du wirst sofort einschlafen. Du mußt dich ausruhen.“

„Ihr werdet mich doch nicht allein hierlassen? Bestimmt nicht?“

„Eva, du wirst allein hierbleiben müssen. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Das mußt du verstehen.“