„Welche Geschwindigkeit habt ihr?“
„So an die zweitausend in der Stunde.“
„Fliegt diese Membran mal an mit einer Geschwindigkeit von zwanzig oder fünfzig Kilometern pro Stunde.“
„Wird gemacht, in Ordnung.“
Sven senkte die Geschwindigkeit und machte eine tiefe Wendung. Der Zeiger des Geschwindigkeitsmessers senkte sich immer weiter. Bis zu der vibrierenden, glasklaren Hülle waren es noch etwa fünf Kilometer, aber die Maschine kam nicht weiter an sie heran, obwohl der Geschwindigkeitsmesser fünfundzwanzig Kilometer pro Stunde anzeigte.
„Sie läßt uns nicht weiter heran“, sagte Sven. „Der Motor arbeitet, aber wir stehen auf der Stelle.“
„Geht auf Null“, bat Erli.
„Hab’ ich gemacht“, erwiderte Sven. „Wir werden langsam zurückgedrückt. Das Triebwerk für den Horizontalflug ist vollkommen ausgeschaltet.“
„Schön. Geht mal ungefähr zehn Kilometer zurück, erhöht eure Geschwindigkeit und fliegt durch wie beim ersten Mal.“
„Was glaubst du, Erli, was das gewesen ist?“
„Ich weiß es nicht, Henry. Irgendeine Energiebarriere. Vielleicht werden wir noch dahinterkommen, welche Ursachen sie hat, wie sie beschaffen ist, aber vorläufig müßt ihr euch so durchschlagen.“
„Wie hoch wird sie sein?“
„Ich denke, sehr hoch. ›Veilchen‹ ist ja auch gegen etwas aufgeprallt, als wir auf dem Eremiten gelandet sind.“
„Ja, das ist richtig“, meinte Sven. „Es ist ein ähnliches Gefühl. Nur, daß wir da kräftig durcheinandergeschüttelt worden sind.“
„Wenn die Verbindung wieder abreißt, fliegt ihr ohne weiter.
Bis zur zweiten Basis habt ihr noch ungefähr eine Stunde.
Kurz gesagt, in vier Stunden erwarten wir euch wieder im Äther.“
„Abgemacht. Also sechzehn Uhr dreißig“, sagte Henry abschließend. „Alles Gute.“
„Euch dasselbe.“
„Ich erhöhe jetzt die Geschwindigkeit“, sagte Sven.
11
„Für ein paar Stunden stehe ich jetzt zur Verfügung“, sagte Traikow. „Eva kann mich hier vertreten. Was kann ich tun?“
„Die Energiespeicher müßten nachgesehen werden.“
„Das übernehme ich.“
„Ich wollte eigentlich mal sehen, was sich auf dem Gelände der Zentrale alles tut. Ich brauche dazu ein Mehrzweckmobil.
Lauf zu Eva und stell ihr das Taschenfunkgerät an einen gut sichtbaren Platz, dazu eine kurze Mitteilung, damit sie nicht in Aufregung gerät und uns nicht sucht. Nimm die Verbindung mit mir auf, sooft du irgend kannst, besonders dann, wenn du etwas Ungewöhnliches, Unerklärliches feststellst, und sei es auch nur die geringste Kleinigkeit.“
„Ich habe verstanden, Erli. Ich gehe.“
„Wart mal! Der Äquator dieses Planeten läuft doch durch die Zentrale?“
„Ja.“
„Hat jemand schon mal daran gedacht, die imaginäre Äquatorlinie zu markieren? Kann ich sie auf dem Gelände der Zentrale nicht irgendwie finden?“
„Die Linie des Äquators ist durch kleine Pflöcke markiert.
Das hat Stap gemacht; er hatte etwas übrig für derartige Sachen.“
Sie gingen gemeinsam hinaus zum Aufgang der Zentrale.
Traikow wandte sich der Unterkunft Evas zu, Erli kletterte auf das Dach eines Mehrzweckmobils, öffnete die Luke und stieg hinein. Er prüfte die Steuerung der Maschine. Es war alles in Ordnung.
Die Maschine heulte wütend auf und raste in großem Bogen um das Gebäude der Zentrale. Nach ein paar hundert Meter Flug brachte Erli das Mehrzweckmobil zum Stehen und sprang auf den Rasen. Er lief noch ein Stück zu Fuß, betrachtete aufmerksam das Gras und orientierte sich nach der Gebäudekuppel.
Schließlich fand er, was er suchte: Im Abstand von einigen Metern waren jeweils fünfzig Zentimeter hohe Holzklötze in die Erde gerammt. Früher waren sie einmal mit hellroter Farbe gestrichen, damit sie sich vom Gras gut abhoben. Doch von der Farbe war keine Spur mehr zu sehen. Bei der geringsten Berührung fielen die Klötzchen um. Erli hob ein paar dieser ehemaligen Holzklötze auf und verstaute sie behutsam im Gepäckraum der Maschine. Er kletterte wieder in sein Fahrzeug, schob die Vorderwand in die Höhe, damit er gute Sicht hatte, und ließ das Mehrzweckmobil auf dieser festgelegten Linie mit mäßiger Geschwindigkeit entlanggleiten. Sehr bald traf er auf riesengroße, umgefallene, halb verfaulte Bäume.
Auf dem Terrain der Zentrale konnte es so große Bäume überhaupt nicht geben. Sie hätten gar nicht so rasch heranwachsen können, weil sie sich ja aus Samen von der Erde entwickeln mußten.
Er fuhr etwa einen Kilometer auf der Strecke entlang und fand danach endgültig seine Annahme bestätigt, daß die Mannschaft von „Veilchen“ im Gebiet um die Äquatorlinie nicht etwa ein paar Tage nur abwesend gewesen war, sondern mindestens einige Jahrzehnte. Er würde den Zeitraum genauer bestimmen können, sobald er nach seiner Rückkehr zur Zentrale die erforderlichen Analysen im Labor vorgenommen haben würde.
Er hätte sich auch sofort entschlossen zurückzukehren doch der schwarze Selva-Streifen am Horizont nahm seine Aufmerksamkeit voll in Anspruch. Er schien ihm außerordentlich hoch zu sein.
Mit hoher Geschwindigkeit fuhr er nun vorwärts, drückte das Gras und kleine Büsche nieder, ließ beim Durchqueren kleiner, künstlich angelegter Flüsse und Seen Fontänen um die Maschine aufspritzen, flog Böschungen hinauf und ließ sich in blühende Talsenken gleiten. Allmählich veränderte sich der Pflanzenwuchs. Er wurde immer wildnisartiger. Aber das verwunderte ihn gar nicht so sehr, weil nur der mittlere Teil des Parkes kultiviert war, alles andere hatte man der Natur überlassen. Natürlich hatte man den Pflanzengleitern den Zutritt verwehrt. Hier gab es lediglich Pflanzen von der Erde, kultivierte oder verwilderte.
Als ihn von der Verbotslinie nur noch hundert Meter trennten, wurde ihm klar, weshalb ihm der Selva-Streifen am Horizont so unnatürlich hoch vorgekommen war. Die einzelnen Pflanzen waren nicht höher als fünf Meter, doch sie waren aneinander hochgeklettert. Es war ein unheimlich drohendes, mehrstöckiges Pflanzengeflecht, so daß man einzelne Pflanzen darin überhaupt nicht unterscheiden konnte. Es war ein scheußliches Gewirr von Wurzeln, Stämmen und Zweigen.
Erli kletterte aus dem Mehrzweckmobil und ging dicht an die Verbotslinie heran. Jetzt erst sah er, daß es sich um abgestorbene Pflanzen handelte, die von der Nordseite des Parkes in riesigem Halbkreis auf der Verbotslinie aufgetürmt waren. Der Wall war mindestens hundert Meter hoch. Welche Kraft hatte einen solchen toten Gürtel anlegen können? Eigentlich nur ein fürchterlicher, noch nie dagewesener Orkan, dessen Gewalt man sich schwer vorstellen konnte. Der Orkan war offensichtlich von Norden her gekommen und hatte, als er auf die undurchdringliche Verbotswand gestoßen war, seine Trophäen an dieser Stelle liegengelassen.
Wie hatte sich aber ein derartiger Orkan entwickeln können?
Auf dem Eremiten herrschte solch ein mildes Klima, ohne stürmische Winde.
Hier stieß er auf die Frage, was mit dem Kraftfeld dort geschehen war, wo es von der Äquatorlinie durchkreuzt wurde.
Wieder setzte er sich in die Maschine und fuhr an dem Wall entlang, dessen Höhe sichtlich abnahm, je mehr sich das Fahrzeug dem Schnittpunkt näherte. Als er sah, daß dort alles in Ordnung war, sagte er sich, daß wahrscheinlich an dieser Stelle die errichtete Sperrmauer aus den Speichern riesige Energiemengen geholt hatte, um die Bresche zu schließen, und sie war intakt geblieben.
So verhielt es sich hier in der Zentrale, deren Energiespeicher praktisch unerschöpflich waren. Was aber war von den Basen übriggeblieben, falls über sie ein solcher Orkan hinweggebraust war? Vielleicht zehn Minuten lang saß er im Gras im Schatten des Mehrzweckmobils und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Was hatte er in diesen drei Stunden in Erfahrung gebracht?