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»Was ist das?« murmelte Charity.

»Rühr dich nicht!« sagte Kyle erschrocken. »Sie wollen nur die Eier. Sie wollen nichts von uns.«

»Eier?«

Kyle deutete auf die beiden pulsierenden Kokons. Charity begriff erst jetzt, was sie vor sich hatte. Was die vier Ratten erbeutet hatten, war nichts anderes gewesen als die Kokons, aus denen die jungen Ameisen schlüpften und die diese Krieger aus irgendeinem Grunde beschützten. Verwirrt, aber auch fasziniert von dem Anblick, der sich ihr bot, sah sie zu, wie zwei der Barbaren neben dem aufgeplatzten Kokon auf die Knie sanken und mit vorsichtigen Bewegungen begannen, die zerrissene Hülle weiter zu öffnen.

Darunter kam eine relativ kleine, spinnengliedrige Ameisengestalt zum Vorschein. Sie bewegte sich zuckend. Ihre Glieder, die noch weich und biegsam waren, als beständen sie aus Gummi, peitschten durch die Luft und trafen einen der Männer. Trotzdem zuckte er nicht einmal zurück, sondern wich nur mit einer geschickten Bewegung den schnappenden Mandibeln der jungen Ameise aus und hob sie unter sichtlicher Anstrengung in die Höhe. Die beiden anderen untersuchten in der Zwischenzeit den zweiten Kokon und atmeten erleichtert auf, als sie feststellten, daß er nicht beschädigt war.

Charity senkte endgültig ihre Waffe. Sie hoffte, daß die Barbaren die Bedeutung der Geste begriffen. Wortlos sahen sie zu, wie die vier Männer den Kokon und die junge Ameise zurücktrugen und wieder hinter den Reihen der anderen verschwanden, doch machten die Barbaren keine Anstalten, sich zurückzuziehen.

Charitys Blick wanderte aufmerksam über die Gesichter der zerlumpten Gestalten. Unter all dem Schmutz waren es ganz gewöhnliche menschliche Gesichter - bis auf die Augen.

Es waren seltsame Augen, deren Blick sie verwirrte. Sie glaubte plötzlich zu wissen, warum Hartmann und seine Begleiter solche Angst vor diesen Gestalten hatten.

Diese Männer und Frauen vor ihr waren ... unheimlich. Sie waren Wilde, die auf ein fast steinzeitliches Niveau herabgesunken waren. Aber ihre Augen waren nicht die Augen von Wilden. Ein geheimes Wissen lag in ihnen.

»Verschwinden wir von hier«, flüsterte Hartmann. »Solange sie noch friedlich sind.«

Kyle rührte sich nicht, und Charity schüttelte hastig den Kopf. Sie spürte, daß sie jetzt nicht gehen konnten. Sie würden es nicht zulassen.

Langsam, mit klopfendem Herzen und zitternden Händen, hängte sie ihr Gewehr über die Schulter, streckte die Arme aus und drehte die leeren Hände nach oben; eine Geste, die so einfach und eindeutig war, daß selbst diese primitiven Barbaren ihre Bedeutung erkennen mußten. Dann machte sie einen Schritt auf die Krieger zu.

»Ich weiß nicht, ob ihr mich versteht«, sagte sie mit übertriebener Betonung und mit großen Pausen zwischen den einzelnen Worten. »Wir sind nicht eure Feinde.«

»Sind Sie wahnsinnig geworden?!« keuchte Hartmann.

Charity ignorierte ihn. Die Blicke aus fünfzig dunklen, aufmerksamen Augenpaaren folgten ihr und schienen tief in ihr Innerstes zu blicken. In ihrem Hals saß plötzlich ein bitterer Kloß; ihr Herz raste wie ein kleines, außer Kontrolle geratenes Uhrwerk.

Trotzdem zitterte ihre Stimme nicht, als sie fortfuhr: »Wir haben die Ratten vertrieben. Hier - seht ihr?« Ganz langsam bewegte sie den rechten Arm zur Schulter, berührte den Lauf des Laserstrahlers und deutete dann auf den verbrannten Kadaver der Riesenratte.

Noch immer reagierten die Krieger nicht. Und doch hatte Charity das Gefühl, so gründlich gemustert zu werden wie niemals zuvor in ihrem Leben. Irgend etwas war mit diesen Menschen geschehen; sie war plötzlich ganz und gar nicht mehr sicher, daß man ihnen nur ihre Kultur und ihre Intelligenz genommen hatte. Sie spürte im Gegenteil, daß sie im Gegenzug etwas dafür bekommen hatten. Etwas, das so fremd und unverständlich war, daß sie es vielleicht niemals begreifen würde.

»Wir sind eure Freunde«, sagte sie noch einmal, sehr langsam und sehr betont.

Ganz langsam hob sie die Hand, berührte mit den Fingerspitzen die rostige Metallschneide des Speeres, den der erste Krieger vor ihr in der Hand trug, und drückte sie mit sanfter Gewalt herab. Sie hörte, wie Hartmann hinter ihr ungläubig die Luft einsog, aber zu ihrer Erleichterung sagte er nichts.

Plötzlich senkten sich auch die Waffen der anderen Barbaren ein Stück.

Charity trat aufatmend zurück und wandte sich um. Selbst Kyle blickte sie ungläubig an, aber mit Ausnahme Hartmanns und seiner beiden Soldaten hatten alle ihre Waffen gesenkt.

»Tun Sie endlich das Gewehr weg, Sie Narr!« sagte Charity zornig. »Sie sehen doch, daß sie uns nicht angreifen werden.«

Der Ausdruck in Hartmanns Augen war blanke Wut, aber nach einem letzten, kurzen Zögern senkte auch er sein Gewehr und gab den beiden Männern hinter ihm mit einer Geste zu verstehen, es ihm gleichzutun. Felss gehorchte sofort, während Lehmann trotzig die Lippen schürzte und die Waffe erst senkte, als Kyle ihn drohend ansah.

Charity wandte sich wieder zu den Barbaren um. »Versteht ihr unsere Sprache?« fragte sie.

Sie hatte nicht ernsthaft mit einer Antwort gerechnet, aber sie war auch nicht sehr überrascht, als der Mann, zu dem sie gesprochen hatte, ein unbeholfenes Nicken zur Antwort gab. »Wir sind nicht eure Feinde«, sagte sie zum wiederholten Mal. »Wir wollen nichts von euch. Wir wollen nur gehen.«

Der Blick dieser dunklen, seltsam leeren Augen blieb weiter auf ihr Gesicht gerichtet, aber der Mann rührte sich nicht. Charity hob den Arm und deutete in einer weit ausholenden, langsamen Geste erst auf sich, dann auf die anderen. »Wir wollen fort«, sagte sie noch einmal. »Laßt uns gehen, und niemandem wird etwas geschehen.«

Zwanzig, dreißig Sekunden wartete sie vergeblich auf eine Antwort. Schließlich wertete sie das Schweigen des Mannes als Zustimmung und drehte sich langsam herum. »Gehen wir«, sagte sie. »Aber ganz vorsichtig. Keine hastigen Bewegungen.«

Doch als sie einen Schritt machen wollte, trat ihr der Barbar in den Weg. Der Speer in seiner Hand war nicht erhoben, aber seine Bewegung war so eindeutig, daß Charity stehenblieb.

»Bitte, laßt uns gehen«, sagte sie. »Wir wollen nichts von euch. Wir wollen nur zu unseren Leuten.«

Der Mann rührte sich nicht, aber wie zur Antwort auf Charitys Worte trat eine zweite Gestalt neben ihn, und plötzlich kam auch in die übrigen Barbaren Bewegung - jeweils zwei oder drei von ihnen stellten sich hinter Skudder, Net und die anderen, während die übrigen einen weiten Kreis um sie bildeten.

»Bravo!« sagte Hartmann böse. »Das war wirklich genial, Captain Laird. Wenn wir je eine Chance hatten, mit diesen Wilden fertig zu werden, dann haben Sie sie gerade verspielt.«

Charity ignorierte ihn. Sie war verwirrt.

Der Mann, mit dem sie bisher gesprochen hatte, hob plötzlich den Arm und legte die Hand mit gespreizten Fingern auf die Brust. »Jared«, sagte er. Seine Stimme klang ungelenk; das Sprechen schien ihm Mühe zu bereiten, als wäre es etwas, das er vor langer Zeit einmal gelernt, aber niemals gebraucht hatte.

»Jared?« wiederholte Charity. »Ist das ein Name?«

Der Mann nickte. Seine Hand deutete in westliche Richtung. »Kommen.«

»Wir sollen mit euch kommen?« vergewisserte sich Charity.

»Kommen«, wiederholte Jared.

»Das geht nicht«, sagte Charity vorsichtig. »Wir können euch nicht begleiten.«

Erneut deutete Jared nach Westen, diesmal mit einer ungeduldigeren, fast befehlenden Geste. »Kommen«, sagte er zum dritten Mal.